Foto: Joanna Kischka

Die guten Fragen lassen sich nur mit Gegenfragen beantworten – Ein Feedback zum Fotobuch

am 25. Oktober 2017 | in Perspektive Umbruch, Welt im Umbruch | von | mit 0 Kommentaren

Die einzigartige Atmosphäre im „Lokal Harmonie“ in Duisburg ist geprägt von schummrigen blauroten Theaterlichtern und requisitenähnlichen Überbleibseln stattgefundener Kunstprojekte: eine Kanzel neben der Bühne, ein Käfig im Ladenfenster und Worte an den Wänden, die man nicht versteht – ein Ort, den ich mir so hätte nicht ausdenken können. Hier findet am 20. und 21. Oktober 2017 die Abschlussveranstaltung von „Welt im Umbruch Duisburg ‘17“ statt: Feedback Fotobuch beginnt am Freitagabend mit dem weltweit ersten „photobook-dummy dating“, bei dem sich Teilnehmende verschiedener Fotobuch-Workshops gegenseitig kennenlernen und über ihre selbstgemachten Fotobücher sprechen können.

Ein Dutzend Augenpaare von Karl Marx, die an der Wand rechts vom Eingang hängen, schauen uns dabei zu. Karl, hier geht es um Teilhabe nicht ums Zuschauen!

Obwohl ich selbst kein Fotobuch im Rahmen der Workshops erstellt habe, bin ich gespannt auf das “photobook-dummy dating“ und ziehe eine Memorykarte mit einem Froschbild, um meiner ersten Gesprächspartnerin, die auch einen Frosch gezogen hat, in dieser Runde gegenüberzusitzen. Über die kleinen Kärtchen schmunzeln alle etwas und freuen sich über die liebevollen Details, die uns durch den Abend begleiten.

Die Glocke läutet: 1,5 Minuten Zeit zu sprechen. Dann ist mein Gegenüber an der Reihe. Danach rücken alle einen Platz weiter. Die Stimmung ist laut, heiter und enthusiastisch. Es geht ein wenig zu wie auf der Börse, mit dem feinen Unterschied, dass die durcheinander Redenden am Ende ein paar Drinks und ein leckeres, vielfältiges zentralafrikanisches Buffet serviert bekommen, anstatt einer Aktie. „Vielfältig“ ist eine gute Beschreibung für das Angebot von „Welt im Umbruch“ – doch was sagen die Besucher dazu, die heute ihre Meinungen und Eindrücke teilen?

Der Fotobuch-Brunch bot Anlass, sich mit anderen Teilnehmenden über seine Lieblingsbücher auszutauschen. Foto: Joanna Kischka

Die Erfahrung – Selbst einmal Autor sein

Wie kamen die Fotobuch-Workshops eigentlich an und welche Erfahrungen haben die Teilnehmenden dabei gemacht?

Die Buchergebnisse sind so unterschiedlich, wie ihre Themen, die sie behandeln – von der Nordkoreareise, sensiblen Beziehungsgeschichten, Tauben und Blumen oder der Flucht, Hoffnung und dem Neuanfang. Ich bin beeindruckt von den individuellen und sorgfältig zusammengestellten Geschichten. Ein Teilnehmer erklärt mir in 1,5 Minuten, er habe gelernt, dass Bilder nicht nur eine Geschichte erzählen, sondern viele unterschiedliche, je nachdem, wie man sie in Beziehung zueinander sieht.

Da rauscht mir eine bekannt klingende These von Markus Schaden, dem Mitbegründer des PhotoBookMuseums, durch den Kopf , die er in vielen Gesprächen während des Projekts unermüdlich einbringt: „Wir haben die Höhle verlassen und können jetzt doch schon mal einen ganzen Satz bilden.“ Wenn er von „Satz“ oder auch „Grammatik“ spricht, meint er die Verbindung einzelner Elemente (Bilder) zu einem Gesamtkonstrukt (Fotobuch). Kann das Fotobuch ohne gesprochenes bzw. geschriebenes Wort ebenso Kontexte und Geschichten erzählen, wie wir sie aus der Literatur kennen?

Das gesellschaftliche Potenzial des Fotobuches auszuloten und es als künstlerisches Medium einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ist das, was sich das PhotoBookMuseum und die Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft mit dem Projekt „Welt im Umbruch“ zur Aufgabe gemacht haben. Dazu entwickelten die Projektpartner partizipative Formate, die Angebote machen, das Medium kennenzulernen, es selbst zu erproben und sich dabei zu gesellschaftlich relevante Themen mit anderen Teilnehmenden und dem Projektteam auszutauschen. „Welt im Umbruch“ bietet die Chance, neue Ebenen der Kommunikation anzustoßen, weg von dem flüchtigen einseitigen Bilderkonsum oder einem steifen Museumsbesuch. Ein progressiver Schritt.

Präsentation der Fotobuch-Dummys. Foto: Katharina Nitz

Doch welche Bildsprache sprechen wir denn ?

Dazu merkt Anja Pietsch vom Verein „SocialVisions e.V.“ in einer späteren Diskussion am nächsten Programmtag an, dass unterschiedliche Kulturen diverse Sehgewohnheiten innehaben und das kollektive Bildgedächtnis sich deutlich unterscheidet. Wenn man also das „Bilderlesen“ lehren wolle, müsse man sich auch darüber bewusst sein und die Frage stellen, wie und was wir eigentlich weshalb auswählen.

Wie bewertet man Fotobücher, die nicht einfach dazu da sind, die persönlichen Erinnerungen zu konservieren? Ist es möglich sie zu kategorisieren? Einen eigenen Kriterienkatalog für das Medium Fotobuch erstellten die Studierende des „buchlabors“ der Fachhochschule Dortmund. Es ist gar nicht so einfach, sich über die formalen Aspekte hinaus, ein Regelsystem zu erarbeiten, das die subjektive Sicht außer Acht lässt.

Henk Wildschut präsentiert sein Langzeitprojekt „Ville de Calais“. Foto: Joanna Kischka

Die Teilnehmenden der Fotobuch-Workshops haben bereits an den eigenen Bildern erfahren, wie es sich anfühlt, aus einer Bilderflut zu selektieren, um einen Fokus auf das Wesentliche zu lenken. Während des Dummy-Datings präsentieren einige stolz die Ergebnisse ihrer Arbeit und erläutern begeistert, wie sie vorgegangen sind. Andere beichten den Schmerz, die Lieblingsbilder aussortiert zu haben, um die vorrangige Aussage ihres Buches nicht zu verwischen. Doch diese kann man zu Hause ja auch wieder einkleben. Hier trifft die persönliche Geschichte der Teilnehmenden auf die professionelle Erfahrung im Umgang mit Bildmaterial durch das Team. Ich finde, selbst Autorin zu sein, das ist eine der grundlegenden Erfahrungen, die man machen sollte, wenn man Autorenschaft begreifen will.

Mit diesem Aspekt beschäftigt sich auch der aufschlussreiche Vortrag von Anja Schürmann von der Universität Düsseldorf, der unter anderem die Fragen aufwirft: Wie wird Geschichte konstruiert und wie konstruieren Fotobücher Geschichte? Erstaunlich, dass sie auf den Trend verweist, das Unsichtbare, das nicht Greifbare bekomme aktuell besondere Aufmerksamkeit in der Fotobuchszene. Nicht weniger beeindruckend lässt uns Henk Wildschut, der mit dem Buch „Food“ in der Ausstellung des Projekts im Sommer zu sehen war, in seine künstlerischen Strategien eintauchen, die ihn immer wieder andere Bildsprachen und Buchformen für seine Themen finden lässt. Er zeigt auf, dass die Fotografie als auch die einzelnen Buchkonzepte Alternativen zu dem Mainstream der Berichterstattung erschaffen können. Ein gutes Beispiel dafür: sein neuestes Buch „Ville de Calais“, das 2017 den renommierten Fotobuchpreis Prix du Livre Arles in Arles gewonnen hat und schon jetzt ein einzigartiges zeitgeschichtliches Dokument zur Migrations- und Stadtgeschichte in Europa ist . Auf jeden Fall anschauen!

Orientierungslos oder Selbstbestimmt

Neben der Analyse der Workshops sind auch die anderen Angebote von „Welt im Umbruch“ Thema der Feedback-Session am Freitag. Das offene Ausstellungskonzept aus Schiffscontainern, Paletten, Rahmenprogramm und nicht zuletzt dem Café Courage hat genau den treffenden Rahmen geschaffen, um in Austausch zu kommen – ein bewegendes Konzept im Duisburger Innenhafen. Dieser stelle ohnehin ein Ort der Bewegung dar und lädt gleichzeitig zum Verweilen ein, berichtet mir ein Besucher am Thementisch „Ausstellung“, als ich ihn nach seinem Eindruck frage.

Anja Schürmann stellt besondere Highlights aus der Geschichte des Fotobuches vor. Foto: Joanna Kischka

Manchen erschien das Angebot von 22 Fotobüchern, Katalogwerkstatt, Umfrage und Café überwältigend, ja fast schon lähmend, anderen wiederum eher abwechslungsreich und inspirierend.

Vom Meerschweinchen, der Gymnastikgruppe bis hin zum Familienausflug – das Spektrum der Besucherinnen und Besucher war großartig vielfältig.

Um diese sehr unterschiedlichen Zielgruppen erreichen zu können, müssen die gewohnten Strukturen verlassen werden. Für mich ist genau das die besondere Stärke des Projekts „Welt im Umbruch“: ein Rahmen, in dem Begegnungen unterschiedlichster Art stattfinden konnten und Gespräche über die Welt der Bilder und die Welt im Umbruch mit Menschen geführt wurden, die man sonst nie getroffen hätte. Denn es geht letztendlich ja nicht alleine um das Medium des Buches, sondern um die Menschen, die dieses als Ausdrucksmittel oder als Zugang zu neuen Horizonten erleben und nutzen können. So geht es eigentlich nie um ein Medium an sich, sondern um dessen Potenzial, die Gesellschaft lebendig zu gestalten und Diskurse anzuregen.

Ich habe in keinem anderen Kontext so viele unterschiedliche Ansichten über die Begrifflichkeit des „Umbruchs” gehört, wie im Rahmen dieser Ausstellung – Ist er stetig oder radikal? Meint er „Transformation” oder „Wandel”? Sind wir Opfer oder Akteure? All das waren Fragen, die uns begleitet und an Bedeutung gewonnen haben.

Teilnehmende beim „Dummy Dating“. Foto: Katharina Nitz

Die spannendste Frage bleibt: Wie geht es weiter?

Wie kann das Projekt, Inspiration sein, nachhaltige Schnittstellen zwischen Kunst und sozialer Arbeit hervorzurufen? Wer trägt die Idee und das Projekt in die Zukunft?

Mich hat es in meiner Arbeit als Fotografin und Kunstvermittlerin in jedem Fall angeregt, meine bisher gelernten Erfahrungen im Umgang mit Kunst und gesellschaftlichen Prozessen zu hinterfragen und interdisziplinär zu erweitern.

Die Veranstaltung Feedback Fotobuch wie das Projekt an sich bot viel Gelegenheit, festgesteckte Räume, Fachszenen und Komfortzonen zu verlassen. Schauen wir doch einmal bei den anderen herein, damit wir nicht allein auf unseren „Inseln“ verbleiben, sondern gemeinsam handeln. Der öffentliche Raum im Duisburger Innenhafen, der von „Welt im Umbruch“ als Ausstellungs- und Programmstätte genutzt wurde, war bereits ein vielversprechender Anfang. Im abschließenden Round-Table sind sich alle Teilnehmenden einig: Es sollten viel häufiger solche neuen Wege gegangen werden, die das Fotobuch einer breiteren Öffentlichkeit näherbringen. Das wurde in diesen zwei Tagen sehr deutlich.

Merken

Merken

Merken

Merken

Merken

Merken

Merken

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

« »