Foto: Joanna Kischka

Kunst als anteiliger Prozess. Zum Geburtstag der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft

am 18. Dezember 2017 | in Diskurse, Gemeinschaftsraum | von | mit 0 Kommentaren

Auf der 25-Jahr-Feier der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft blickt der freie Kurator Dr. Johannes Stahl auf die Partizipation in der Kunst – von Polyklet bis Hatsune Miku.

„„Anteile“, „teilnehmen“, „teilhaben“: das sind schöne Worte, weil sie facettenreich sind. Wir nehmen Anteil am Schicksal von Mitmenschen, haben eventuell Anteile an Gesellschaften und achten dann auf Shareholder Values oder befinden uns unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, beispielsweise eines Symposiums, eines Preisausschreibens oder einer Geburtstagsfeier.

Für die Bildende Kunst ist Teilnahme ein nicht ganz unwichtiges Thema. Eine antike Anekdote erzählt vom berühmten griechischen Bildhauer Polyklet, der versprach, öffentlich bei zwei Statuen je unterschiedlich zu arbeiten. Bei einer wollte er jeden Hinweis und Vorschlag aus dem Publikum beherzigen, bei der anderen nur nach eigenem Gutdünken vorgehen. Das Resultat war voraussehbar: Das Publikum lobte das Resultat seiner individuellen Vorgehensweise, die partizipative Variante fiel in der Anekdote durch.

Spätestens Marcel Duchamp widersprach diesem Rankenwerk um die Lösungen des einsamen Genies. „Ce sont les regardeurs qui font les tableaux.“ Der Betrachter wird – je nach Betonung des Satzes – zum notwendigen Mitakteur, ja sogar zum Vollender des künstlerischen Prozesses. Als Gedankenkonstrukt mag man das gewiss akzeptieren – wer würde abstreiten, dass ein eigener Anteil am Bild nötig ist, wenn man ein Kunstwerk betrachtet? Aber wie ist das in materieller Hinsicht?

Häufiger entstanden seit dem frühen neunzehnten Jahrhundert partizipative Werke im Zusammenhang mit Kriegsanleihen. In der Regel ging es darum, Geld oder Gold zu spenden. Dafür durfte man einer hölzernen Figur einen Nagel hinzufügen, sodass auch materiell eine Rüstung entstand – nicht nur kriegswirtschaftlich, sondern auch bildlich und mental. Man hat darüber gestritten, ob solche temporären Monumente die besten Kunstwerke ihrer Zeit sind, aber sie standen in deutlichem Gegensatz zur gängigen individuellen Herstellung von Kunstwerken.

 

Theodor Graf Hartig (Idee), Josef Müllner (Ausführung), 1914. Lindenholz, Eisennägel. Wien, Rathausarkaden. Foto: Johannes Stahl

Theodor Graf Hartig (Idee), Josef Müllner (Ausführung), 1914. Lindenholz, Eisennägel. Wien, Rathausarkaden. Foto: Johannes Stahl

Im Werk von Joseph Beuys tauchen häufiger partizipative Prozesse auf. Seine „Intuitionskiste“ von 1968 war als offene Edition bis zu seinem Tod sehr niedrigpreisig zu haben und hängt heute an ausgesprochen vielen und sehr unterschiedlichen Orten. Eine geschlossene und eine offene Linie sowie das Wort „Intuition“ auf dem Boden einer offenen Holzkiste: Sie bringen nicht zuletzt das Potenzial des Betrachters und Anteilseigners an einer „sozialen Plastik“ in eine knappe und poetische Form.

Sein Erfolg mit der Plastik „7000 Eichen“ ist bis heute in vielen Städten sichtbar geworden – und Alltag. Vielleicht ist es sogar gut, dass man auf den Ursprung in einem Kunstkonzept nicht mehr achtet, wenn man einen Basaltstein neben einem inzwischen beträchtlich gewachsenen Baum sieht. Vielleicht gehörte er ja auch gar nicht zu diesen 7000 Eichen mit Preis, Zertifikat und Patenschaft.

Sein darauffolgendes ambitioniertes Projekt „Gesamtkunstwerk Freie und Hansestadt Hamburg“ ist ein weiteres Kapitel in dieser überaus verkürzten Zusammenschau partizipativer Kunst. Immerhin ging es Beuys um die Sanierung der Spülfelder in Hamburg-Altenwerder, einem bis auf eine schmale Denkmalinsel abgerissenen Stadtteil Hamburgs, auf dessen Grund seit 1979 teilweise mit Kadmium, Blei, Quecksilber und ähnlichem hoch belasteter Schlick aus Elbvertiefungen abgelagert wurde.

Die Verknüpfung dieses „Gesamtkunstwerks“ mit dem offiziellen Namen der Elbstadt markiert eine Teilnahme sowohl am Kunstwerk als auch am ökologischem Umbau der Metropole, die wahrscheinlich scheitern musste. Der Bürgermeister sprach in einem Machtwort der bereits begonnenen Arbeit den Charakter als Kunstwerk ab. Hamburg wurde nie zum Gesamtkunstwerk. Jedoch bleibt nach der Alternative zu fragen: Wer ist heute Anteilseigner der Spülfelder, in wirtschaftlicher und gestalterischer Hinsicht sowie in ökologischer Verantwortung?

Die heute wenig bekannte Performance- und Musikgruppe „Minus Delta t“ markiert einen weiteren Punkt in dieser verkürzten Betrachtung von Beteiligungsszenarien. Aus der Punk-Bewegung stammend haben sich die Protagonisten zusammengetan, um ein Großprojekt zu stemmen: den Transport eines riesigen Steins per LKW bis nach Bangkok. Von 1982 bis 1984 dauerte dieses tatsächlich realisierte Vorhaben, und dafür gab „Minus Delta t“ Aktien heraus – gewiss nicht zum ersten Mal in der Kunstgeschichte, aber für eine im Punk wurzelnde Gruppe ungewöhnlich. Darüber, inwieweit ein Shareholder-Anteil etwas mit kultureller Teilhabe zu tun hat, kann man bis heute nachdenken.

Ein Teil dieser Formation tauchte auf der Documenta9 1992 in Kassel als „Van Goch TV“ auf – und versuchte mit ihrer „Piazza Virtuale“ ein interaktives Beteiligungsfernsehen ins Leben zu rufen. 25 Jahre später weiß man genauer, wie erfolglos diese partizipativen Bestrebungen für die inzwischen weitläufige Landschaft privater und öffentlicher Sender waren.

Eine sehr praktische Umsetzung von Beteiligungsszenarien führt die seit langem in Deutschland lebende Japanerin Takako Saito vor Augen. Ihren „You and Me Shops“ geht es um die kommunikative Seite eines Handels. Den Marktstand prägt eine ansprechend arrangierte Anzahl einfacher kleiner Gegenstände natürlicher Herkunft wie getrocknete Zwiebelschalen, Kastanien, Holzstücken. Nach sehr moderaten Preisen gestaffelt, bietet Saito verschieden große weiße Pappteller als Grundlage der Aktion an. Gemeinsam arrangiert man die im Laden ausgesuchten Materialien auf den Papptellern und fixiert diesen Zustand mit Klebstoff. Schließlich signieren Künstlerin und Kunde das Produkt als bleibendes Resultat, das der Käufer mitnehmen kann. Angebot, Preisangabe, Kundeninteresse, Äußerung der Kaufabsicht, Kauf inklusive Bezahlung und Übergabe der Ware vollziehen sich in einigermaßen gewohnten Formaten. Geht der Kunde auf das Angebot ein, ergibt sich eine Mischung zwischen klassischem Produktkauf und kunstpädagogischer Dienstleistung. Auswahl und Arrangement der Ingredienzien sind dabei Aufgaben des Kunden; die Künstlerin schaut dabei zu. Takako Saitos „You and me Shop“ erzeugt eine materialisierte künstlerische Dienstleistung, die in der Freisetzung der eigenen kreativen Sprache des Kunden besteht: der Shop als Workshop.

Aus dem Sortiment einfacher, billiger Materialien aus Natur oder Konsumwelt entsteht nicht zuletzt mit den beiden Signaturen, die zum Deal gehören, ein Werk. Saitos Arbeit macht auf spielerische Weise Ernst mit der Feststellung Duchamps. Das vorgegebene Behältnis des Papptellers bindet augenzwinkernd die Tradition des gerahmten Kunstwerks ein. Die vom Kunden festgelegte Konstellation der Materialien entwickelt auch sonst alle Züge des über die Form definierten abgeschlossenen Kunstwerks. Es trägt persönliche Züge, weist in Dimensionen des Freundschaftsbildes, in welchem zwei Maler sich im gleichen Bild gegenseitig porträtieren, – oder des gemeinsamen Selfies.

Gleichzeitig nutzt Saito die Kultur des Takeaways. Die Mitnehmtüte trägt den aufgesprühten Produktnamen „TAKAKOS“, Imbiss-spezifische Elemente wie Pappteller, Einwegbesteck, Serviette sind gesetzt. Hier liegt eine besondere Spannung dieser mehrfach variierten Shops: Sie tragen die Züge der Konsumkultur und fordern zugleich eine Aktivität, die den üblichen Rahmen des raschen Konsums sprengt. Mitnahmeeffekte sind auch bei Shareholdern sehr beliebt. Allerdings dürfte es aus verschiedenen Gründen schwerfallen, die Erzeugnisse aus Saitos Shops wieder abzustoßen.

Ein letzter Gedanke gilt den sogenannten sozialen Netzwerken, denn für sie wird die Beteiligungsmöglichkeit vieler immer wieder als besonderes Merkmal hervorgehoben. Was am Begriff stört, ist jedoch, dass es ausschließlich private Firmen sind, die diesen Begriff dominieren. Mit ihnen geht man bei Benutzung ein Vertragsverhältnis ein. (Bei Streitigkeiten ist der Gerichtsstand in der Regel in Kalifornien). Schon bei der bloßen Nennung eines dieser Kommunikationsgiganten hat man den Shareholder-Value der Unternehmen bereits wieder ein ganz klein wenig vermehrt.

Haben nun die kommunikativen Möglichkeiten neuer Medien nicht zu mehr Partizipation geführt? Man kann sehen, dass eine offene Beteiligung vieler für Wikipedia funktioniert, immerhin ein gemeinschaftliches Unterfangen und in Form einer gemeinnützigen Stiftung. Aber gilt das auch für die Nutzung einer kommerziellen Software für eine künstliche Stimme? Wenn die mit klaren Gewinnabsichten im Auftrag von Crypton Future Media geschaffene Kunstfigur Hatsune Miku des japanischen Illustrators KEI und ihre Stimme (das eigentliche Produkt) durch die Beteiligung vieler inzwischen beinahe den Status einer lebenden Person entwickelt hat: Wären „Teilhabe“, „Teilnahme“ oder „Anteilnahme“ noch angemessene Begriffe?“

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