Perspektive Armut: Studierende engagieren sich für gesellschaftlichen Wandel

am 25. März 2015 | in Dialog und Teilhabe, Perspektive Armut | von | mit 0 Kommentaren

Wo empfinden Sie sich als reich? Wo verspüren Sie bei sich einen Mangel? Was haben Sie zu verschenken oder: was würden Sie gerne teilen? Woran würden Sie gerne teilhaben? Was sollte sich für Sie in der Gesellschaft wandeln? Und: Was kann hierbei die Kunst?

Diese unerwarteten Fragen von mir an die Anwesenden der Einführungsveranstaltung der Ausschreibung „Perspektive Armut 2015: Partizipative Kunstprojekte als Möglichkeit gesellschaftlichen Wandels“ und die Reflexion der jeweiligen Antworten machten die Komplexität des Themas sicht- und spürbar.

Studierende, Dozenten und Interessierte waren am 14. März 2015 im Seminarraum II der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft zusammengekommen, um der Präsentation der Preisträgerinnen und Preisträger des vorausgegangenen studentischen Wettbewerbs „Perspektive Armut 2014“ beizuwohnen. Die Fortführung dieses erfolgreichen Praxisprojekts 2015 ist der zweite gemeinsame Versuch der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft und der Alanus Hochschule, im universitären Kontext dieses globale wie zeitlose Thema interdisziplinär und multiperspektivisch zu diskutieren, zu reflektieren und durch Wettbewerbsbeiträge zu gestalten.

Mehr zu dem Projekt finden Sie hier.

Ziel des Praxisprojektes für alle Protagonisten der Projekte ist, unter Berücksichtigung der aktuellen Relevanz des Themas Armut, gesellschaftliche Wirklichkeit gestaltend zu verändern und damit eine Antwort zu finden auf die Frage, welche Rolle und Verantwortung die Künste hinsichtlich eines gesellschaftlichen Wandels einnehmen können.

Virulent bei der Beschäftigung mit dem Thema wird das zentralste Vermögen der Künste und eine ihrer zeitlosen Aufgaben (jedenfalls in den westlichen Kulturen): auf etwas hinzuweisen, es sichtbar zu machen und gleichzeitig darüber hinauszuweisen.

Das Thema Armut ist vor allem in der bildlichen Darstellung in vielen Kulturen über einen großen Zeitraum künstlerisch dokumentiert, wobei sie den gesellschaftlichen Intentionen nach – von idealisierend über dokumentarisch bis hin zu schockierend realistisch – changiert und somit unterschiedliche Sichtweisen auf das Thema freilegt. Dass es jedoch immer wieder aufgegriffen wird, zeigt, in welchem Maße das Thema in der Gesellschaft eingebettet ist.

Perspektive Armut_Obdachloser

Dabei reicht die Bandbreite der thematischen Darstellung von existenzieller, also lebensbedrohlicher Armut, über geistig-kulturelle Armut und über alle Jahrhunderte hinweg auch wieder zu freiwilliger Armut als dem willentlichen Verzicht auf ökonomische Güter: Armut ist immer auch eine Zuschreibung und abhängig vom gesellschaftlichen Kontext.

Im künstlerischen Kontext wird das Thema Armut zudem mit durchaus unterschiedlichen Zielen thematisiert: Zum Beispiel verschiebt sich die (christliche) Ikonografie des Heiligen Martin von einer kanonisierten religiösen Einbindung hin zu einer säkularisierten kindgerechten „Eventkultur“ (zumindest im mehrheitlich katholischen Rheinland) für Kindergärten, Grundschulen und kirchlichen Einrichtungen, so dass der Heilige Martin einen erstaunlich transkulturellen und überkonfessionellen Bekanntheitsgrad erlangt hat.

Die aktuellen Interessen von Kunstschaffenden an dem Thema Armut (mit einhergehendem impliziten oder expliziten Wunsch nach gesellschaftlichem Wandel) sind wesentlich differenzierter hinsichtlich der eingesetzten kommunikativen und ästhetischen Strategien.

Als wesentliches Element seien hier die künstlerischen Formen von Partizipation genannt, die mit dem Begriff des Teilens auch wieder auf das alte Bild des Heiligen Martins rekurrieren, aber häufig einen provokativen und/oder emanzipativen Anspruch haben, der sich nur in der Wirklichkeit überprüfen und einlösen lässt, indem gemeinsam Wirklichkeit gestaltetwird.

Als exemplarische Beispiele für gesellschaftlich transformatorische Kunstprojekte zeigte ich auf der Einführungsveranstaltung unter anderem: das Zentrum für Politische Schönheit, Berlin mit ihrer provokanten Aktion „Erster Europäischer Mauerfall„, WochenKlausur, Wien mit der „medizinischen Versorgung Obdachloser“ und die The Silent University, Amsterdam/Hamburg mit ihrem Aufbau von Kunstprojekten in Europa, die über „Plattformen zum Wissensaustausch“ als Hochschule mit Flüchtlingen als Dozenten agieren.

Sri Ketan Rolf Tepel, der an der Veranstaltung teilnehmende (Lebens)Künstler aus Köln, konnte anschließend aus seiner Perspektive und aktueller Erfahrung der Vernichtung seines temporären Theaters auf dem „ParaDies-Gelände“ in Köln berichten, wie innerer Reichtum und vorhandenes kulturelles und symbolisches Kapital dann doch immer wieder an (post-) kapitalistischen und städtischen Realstrukturen zu scheitern drohen.

Trotzdem und vielleicht auch gerade deshalb teilten alle Anwesenden der Veranstaltung ein grundsätzliches Vertrauen in die Wirkmächtigkeit der Künste. Exemplarisch für die Verflechtung von zeitgenössischer Kunst und gesellschaftlichem Wandel und der daraus resultierenden Verantwortung für alle Beteiligten sei der Gründer der Wochenklausur Wolfgang Zinggl zitiert: „Es gibt für die Gegenwartskunst gesellschaftliche Aufgaben auch jenseits der Behandlung von Oberflächen. Es dürfte die lohnendere Arbeit sein, vor den Oberflächen die tragenden Konstruktionen zu verbessern.“

Fotos: Ruth Gilberger

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