Sprechstunde: Für ein großes Vorhaben braucht es Vertrauen

am 17. März 2015 | in faktor kunst 2013, Public Residence: Die Chance | von | mit 0 Kommentaren

Es könnte ein Drehbuch entstehen, ein Hörspiel oder gar Theaterszenen. Dazu lädt der Autor, Regisseur und Schauspieler Rolf Dennemann sonntäglich um 18 Uhr die Bewohner um den Dortmunder Borsigplatz ins „Ladenlokal 103“, in die Oesterholzstraße 103 ein. „Sprechstunden“ nennt Rolf Dennemann dieses Format, welches im Rahmen des Kunstprojektes „Public Residence: Die Chance“ stattfindet. Ein Raum wird geschaffen, der ein Bürgertreff ist, aber andere Wege geht. Austausch steht hier an erster Stelle: das Erzählen, Zuhören und Präsentieren. Die Kunst spielt dabei eine große, wenn auch unaufdringliche Rolle. So sollen Geschichten nah an der Lebensrealität der Bewohner und Besucher – wird Alltägliches – in Kunst verwandelt werden. Die Texte, die dabei entstehen, nennt er „Borsig-Blinks“.

25. Januar 2015, 18.00 Uhr

Erst mal muss der Gastgeber mit den Gästen warm werden. Es regnet bei etwa 3°C. Tags zuvor lag noch Schnee und es hätte einen romantischeren Eindruck gemacht, das Geräusch von Schuhen zu hören, die direkt nach Eintritt abgetreten werden, damit Schnee und Dreck nicht in den Raum getragen werden. Aber so ist es einfach nur trüb und die Lichtstrahler im Raum haben die Funktion, den Abend atmosphärisch aufzuladen – mit rosa, grünem und blauem Licht im Wechsel. Zum Warmwerden gehören auch die Stühle, Sessel und Sofas, die locker im Raum verteilt stehen, aber so, dass doch noch eine Art Podium erkennbar ist.

Es wurde getrommelt als gelte es, genau heute die Welt zu verändern. Rundmails, Rundschreiben, Postkarten, Flyer, Telefonate. Frau R. findet Spaß daran, per Direktansprache zu werben. Der Mensch, in seiner Hilflosigkeit bei der Direktansprache aus dem Nichts, macht fahrlässige Zusagen.

Der Autor, der Vortragende, sucht nach Vergleichsbildern und kommt sich vor wie bei der Wahlkampfveranstaltung einer moderaten Splitterpartei. Es geht um Information und Organisation. Ist das der richtige Termin, Sonntag 18.00 Uhr? Das ist das erste Thema und die Versammlung verabschiedet dies als gut. Allerdings meinte eine Besucherin, es sei schlecht für Tierliebhaber, weil zu der Zeit „Tiere suchen ein Zuhause“ im Fernsehen liefe. Sie selbst hat so einige viele Hunde.

Vertrauensbildende Maßnahmen nehmen ihren Verlauf. Zwei Kinder und nach und nach mehr und mehr Erwachsene eher älteren Semesters sitzen und lauschen konzentriert. Wir reden über Klischees, die wir brauchen, damit wir sie kippen können.

Wir wundern uns über Statistiken: Leichter Männerüberschuss am Borsig und günstigere Sterberate als im Rest-Dortmund.

Die meisten wohnen gerne hier, wird bestätigt. Wir plaudern über Fernsehsendungen und Fernsehmachen, über das Schreiben und das Hören. Der Redner, der Autor erläutert sein Vorhaben, Anekdoten und Geschichten zu sammeln, um daraus ein Episodendrehbuch zu schreiben. Er freut sich über das große Interesse.

„Wir werden kleine Kreise bilden.“

Wir suchen eine Hauptfigur, einen Helden oder eine Heldin. „Anhand eines Beispiels gehen wir das mal durch“. Wir einigen uns auf eine 28-jährige Frau, Designerin auf Hartz IV, 4 Zimmer, kreativ eingerichtet, ordentlich.

Wir werden Hausbesuche vereinbaren. „Meine türkischen Nachbarn kommen nicht hierher, aber wir werden bei Ihnen zu Hause reden…“

Wir legen fest: Ab dem 15.2. gibt es jeden Sonntag eine offene Sprechstunde.

Am Ende zeigt der Künstler einen Zusammenschnitt seiner Arbeiten als Schauspieler für Film und Fernsehen. Niemand geht vorzeitig.

Ziel sind mehrere Ergebnisse durch eine Aktion: Geschichten schreiben und lesen, Hörspielmaterial sammeln, Drehbuch entwickeln, Szenen schreiben und ausprobieren, Fotos und Filme sichten…

Der nächste „Kleine Termin“ ist Donnerstag, 5.2. um 18.00 Uhr. Es geht voran!

Borsig Blinks: Mahnungen

Ein älterer Türke großer Gestalt kommt auf mich zu. Ich stehe am Ecklokal im Eingang. Es regnet unentwegt. Drinnen läuft eine Aktion zur Kulturanimation. Der Mann spricht mich an und zeigt mir drei bereits nasse Schreiben. Deutlich lesen kann man den Briefkopf eines aus der Werbung bekannten Modeversands.

Es sind Mahnungen. Drei Mahnungen für drei Lieferungen. „Hab ich nicht bestellt. Hab ich nicht bekommen. Aber das hier.“ Er deutet auf seine Schreiben, schiebt sie übereinander. Ich sage: „Sie haben das nicht bestellt?“ Nein, sagt er. „Was ist das?“ Er deutet auf die Zahlen und ich erkläre ihm, dass es jeweils 10 EUR Mahngebühren sind, die auf den ursprünglichen Betrag aufgeschlagen werden. Das sei aber kriminell, sage ich noch. Er faltet die nassen Mahnungen wieder zusammen. Dann zeigt er mir noch einen Abholschein für ein Paket, der bei ihm im Briefkasten lag. Er will zur Polizei gehen morgen, sagt er. Ich sage: „Ja, tun Sie das, und zum Verbraucherschutz und zum Rechtsanwalt.“ Er steckt die Papiere in seinen Mantel, nimmt seine Krücke und geht weiter.

Foto: Guido Meincke

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