Foto: Teresa Grünhage

Über die Kunst, bei der es kein falsches Rezipieren gibt

am 06. Februar 2015 | in faktor kunst 2013, Public Residence: Die Chance | von | mit 0 Kommentaren

Seit Anfang November 2014 lebt die Choreographin, Tänzerin und Sängerin Dorothea Eitel nun als Künstlerin des Projektes „Public Residence: Die Chance“ in Dortmund am Borsigplatz. Teresa Grünhage hat Dorothea Eitel getroffen und mit ihr über das Leben am Borsigplatz, über ihre Ideen und über bereits durchgeführte Projekte gesprochen. Das Interview fand am 7. Dezember 2014 statt.


Teresa Grünhage: Dorothea, du hast dich für „Public Residence“ mit einem Konzept für deine künstlerische Arbeit vor Ort beworben. Welche Idee hattest du?

Dorothea Eitel: Ursprünglich hatte ich die Idee, einen Glaspavillon zu errichten, der als Treffpunkt dienen sollte. Ein Strang des Konzeptes sollte es sein, nach den Expertisen der Menschen zu fragen und einen Expertenaustausch zu starten. Ein zweiter Strang wäre es gewesen, die Menschen zu fragen, woran es ihnen mangelt, was ihnen fehlt, was sie brauchen, um diese Dinge dann künstlerisch zu transformieren. Man könnte ja zum Beispiel dem Bürgermeister eine Botschaft auf performativem Weg übermitteln. Das Ziel dieser Idee wäre gewesen, den Menschen zu zeigen: Es fehlen euch selbst vielleicht die Ressourcen, aber eigentlich sind diese doch vorhanden. Vielleicht gibt es einen Nachbarn, der genau das hat oder das kann, was ihr braucht. Ein Austausch könnte also einen Mangel beheben.

Nun bist du später in das Projekt eingestiegen und lebst erst einen guten Monat am Borsigplatz. Was planst du nun, vor Ort umzusetzen?

Die Ursprungsidee ist zeitlich nun nicht mehr umsetzbar, aber ich habe jede Menge neuer Ideen. Eine Idee, die ich gerne umsetzen möchte, ist das Projekt E.D.K. Die Abkürzung steht für Einsatzzentrale für Dorotheas Kunstaktionen. Diese Einsatzzentrale bietet den Service von ARTrequest und ARTprivat an. So kann beispielsweise durch ARTrequest eine Kunstaktion an einer von Bewohnern vorgeschlagenen Stelle im öffentlichen Raum angefragt werden oder man bestellt mit ARTprivat die Kunst zu sich nach Hause.

Die Einsatzzentrale soll ein Ort werden, an dem künstlerisch gearbeitet wird und zur selben Zeit Treffpunkt für die Bewohner sein. Über die zwei Fragen, was die Anliegen der Bewohner mit Kunst zu tun haben und was meine Kunst mit ihnen zu tun hat, erhoffe ich mir, mit den Bewohnern in einen intensiven Austausch zu kommen. Ihre Anliegen sind Basis für die Aktionen, die ich hier am Borsigplatz auf Anfrage umsetze.

Foto: Dorothea Eitel

Foto: Dorothea Eitel

Und dieser Einsatz wird dann mit den „Chancen“ bezahlt? Was sind denn diese „Chancen“ für dich? Wie würdest du diese Währung des Projektes beschreiben?

Zunächst einmal bin ich grundsätzlich der Meinung, dass Kunst frei zugänglich sein sollte, um mögliche Hemmschwellen zu vermeiden. Aber genau: Die Anwohner könnten einen solchen Einsatz mit den „Chancen“ bezahlen. Allerdings würde ich nicht direkt von „bezahlen“ sprechen, auch wenn die „Chancen“ momentan oft so verstanden werden. Für mich sind die „Chancen“ aber eine Währung der Wertschätzung. Wertschätzung der Künstler für die Anwohner und Wertschätzung der Anwohner für die Künstler und die Kunst. Immer wenn sich jemand Zeit nimmt, etwas erzählt, anregt, Ideen einbringt, bei einer Aktion oder Vorbereitung dabei ist, Kunst rezipiert, seine Expertise einbringt – handwerklich, beratend, vernetzend – dann kann das durch die „Chancen“ wertgeschätzt werden. Sie könnten also sowohl an Anwohner auf dieser Ebene vergeben werden, als auch an die Künstler. Die „Chancen“ könnten die Menschen dazu herausfordern, selbst aktiv zu werden und sich kreativ und mit ihren Fähigkeiten einzubringen. Die Projekte sollen Verständnis und Neugier für zeitgenössische Kunst schaffen und die Anwohner können die Kunst mit dieser Währung auch wieder unterstützen. Und dabei würde ich die Währung nie im Sinne von Geld denken, sondern von Wertschätzung und Anerkennung. Die „Chancen“ stehen für mich für Vertrauen, Verantwortung, Vernetzung und Verbindlichkeit. Die Anwohner vertrauen einem Künstler und einer Idee.

Was machst du mit den „Chancen“, wenn du sie von den Anwohnern bekommst?

Ich hole den Menschen die Kunst ins Quartier und fliege quasi Künstler und Kunst ein. Dafür brauche ich selbstverständlich Geld. Die Chancen kann ich bei Borsig 11 gegen Geld eintauschen und zum Beispiel die Reisekosten anderer Tänzer, die ich einlade, bezahlen. Natürlich auch Materialkosten, die in der künstlerischen Arbeit entstehen, können damit bezahlt werden.

In einigen deiner Projekte spielt die Frage nach dem Wert der Kunst und nach der Abhängigkeit von Kunst und Geld eine große Rolle. Zum Beispiel hast du schon einmal die Besucher einer Performance entscheiden lassen, ob sie mit Geld den Eintritt bezahlen oder mit einem Deal die Arbeit der Künstler unterstützen möchten – z.B. durch Essen oder Raumausstattung. Am Borsigplatz bist du nun von einem Geschäft zum nächsten gezogen und hast mit Tanz bezahlt (Video). Haben sich die Verkäufer in den Geschäften auf eine solche Währung eingelassen?

Ja! Absolut! Bis auf zwei Geschäfte konnten wir mit Tanz bezahlen. Ob Kaffee, etwas Brot oder auch eine neue Frisur im Friseursalon: Wir haben mit Tanz bezahlt! So gab es eine Verkäuferin, die sagte, sie würde Geld zahlen, wenn sie zur Performance ginge, aber in ihrem Geschäft könne nicht mit Tanz bezahlt werden. In einem anderen Geschäft wiederum hat sogar ein Kunde spontan mit mir getanzt. Und ich erinnere mich noch gut an das Dönergeschäft: Während wir getanzt haben, hat der Verkäufer Zwiebeln geschnitten. Wir haben unsere Bewegungen an den Sound und Takt des Zwiebelschneidens angepasst. Das ist Kunstkommunikation und Partizipation!

Partizipation und Kunst: Wie passt das für dich zusammen? Wie lässt du Menschen an deiner Arbeit teilhaben?

Ich verstehe Partizipation so, dass ich Menschen konfrontiere und sie reagieren müssen, wie bei dem Guerilla-Café (Video). Oder so, dass ich Menschen mit ihrem eigenen Expertentum einbeziehe. Eine Köchin, kann z.B. in einer Performance als Köchin miteinbezogen werden. Ich will mit Ideen anderer Menschen arbeiten und mit Komplizenschaften. Es geht mir nicht darum, dass die Anwohner zu Künstlern werden, sondern ich nutze das, was sie können, binde sie als die Experten ein, die sie sind, ohne dass sie sich das Expertentum aneignen müssen, das ich habe.

Letzte Woche hast du mit einer Tänzerin aus den Niederlanden als „Blind Date“ in einem leeren Ladenlokal an der Oesterholzstraße getanzt (Video). Ihr seid euch vorher nie begegnet und seid dann im Tanz aufeinandergetroffen. Das Verhältnis von Improvisation und geplanter Abfolge war für alle Zuschauer offen. Gab es denn vorher eine gemeinsame Idee und eine grobe abgesprochene Struktur?

Wir haben vorher geskypt und hatten beide ein grobes Thema im Kopf. Vor Ort haben wir gemeinsam den Raum hergerichtet. Das war es. Mehr Vorbereitung gab es nicht und dann ging es los. Ich habe das Video von der Performance nun geschnitten und ich bin beeindruckt, dass es zwischen der Tänzerin und mir so harmoniert hat. Es gibt auch viel Reibungspotenzial, aber im positiven Sinne. Wenn man nur harmonisch miteinander arbeitet wird es langweilig. Es ist immer die Frage, ob es eine Basis gibt, mit den Unterschiedlichkeiten harmonisch umzugehen. Die gab es.

Bist du mit der Performance und der Reaktion des Publikums zufrieden?

Ich hab mein Ziel des Abends erreicht. Es sind Menschen von außen aufmerksam geworden und noch in das Ladenlokal gekommen, haben sich am Ende des Stückes am Gespräch beteiligt und waren spürbar fasziniert. Auch dass die Zuschauer am Ende dem Stück so begeistert Titel vergeben haben, war super.

Im Anschluss an die „Blind-Date“-Performance bist du dann am nächsten Tag noch gemeinsam mit der Tänzerin Mariangela mit dem mobilen Guerilla-Café im Viertel unterwegs gewesen. Was habt ihr dort genau gemacht?

An drei verschiedenen Orten rund um den Borsigplatz haben wir zwei Klapptische und Klappstühle aufgestellt, mit Tischdecke, Kerze, Silberbesteck und Porzellan dekoriert und warme Getränke und Kuchen angeboten. Die Menschen waren eingeladen, Platz zu nehmen. Mariangela und ich haben getanzt, oft auch mit den Menschen, die wir dort getroffen haben. Es war eine Gelegenheit, über den künstlerischen Wert dessen zu diskutieren, was man sieht. Der erste Ort, an dem wir waren, war an der Ampel vor dem Büro von Borsig11, der zweite Orte der kleine Borsigplatz und der dritte direkt vor dem ConcordiArt. Wir haben dort drinnen performt, die Menschen saßen draußen. Am kleinen Borsigplatz habe ich mit Mohammed Salsa getanzt und die Leute, die auf den Bänken des Platzes saßen, haben den Rhythmus geklatscht. Später hat einer uns zu Reggae animiert. Die Menschen am Borsiglatz sind wahnsinnig offen und verstecken sich nicht. Es gibt unglaublich viele Möglichkeiten, die man nur nutzen muss. Das Viertel ist für das, was wir machen, perfekt.

Was möchtest du den Menschen am Borsigplatz mit deinen Performances mit auf den Weg geben?

Für mich stellt sich immer die Frage: Wie kann ich Brücken bauen, damit Menschen in der Lage sind, meine professionelle Kunst zu rezipieren. Ich mache politisches Tanztheater. Mein Ziel ist es nicht, weniger hohe Kunst zu machen, sondern den Menschen begreiflich zu machen, dass es kein falsches Rezipieren gibt. Was immer sie sehen und sehen wollen, beglückt mich, deshalb bin ich mit den Menschen im Gespräch. Meine Kunst soll sich auf einem hochprofessionellen aber nicht elitären Level bewegen. Ich mache Kunst für die Menschen und nicht für die Jury. Jeder Mensch hat eine Expertise in irgendeinem Bereich. Ich möchte die Menschen mit meiner Arbeit konfrontieren und sie mit ihrer Expertise einbeziehen. Mein Tanz bietet eine Projektionsfläche für die Alltagserfahrungen und Erlebnisse der Menschen. Jeder rezipiert auf seine eigene Art und Weise. Eigentlich ist es ja egal, was ich auf die Bühne bringe, jeder sieht das, was er sehen möchte. Welche Nuancen du siehst, liegt in deiner Verantwortung. Oft gibt es leider den Wunsch, dass das Thema, mit dem sich die Performance beschäftigt, auch so vertanzt wird, dass es für alle sichtbar wird und der Titel des Stückes einen Sinn ergibt. Dabei wird völlig vergessen, dass es multiple Wahrnehmungsebenen gibt. Eine für mich sehr wichtige Frage ist: Wie darf rezipiert werden? Muss das eins zu eins verstanden werden, was gerade getanzt wird? Oder reicht es nicht auch, wenn der Tanz in seiner ganzen Leidenschaft, Nonverbalität und Vielfältigkeit existieren darf, ohne gleich etwas Eindeutiges darstellen zu müssen?

Ich möchte die Menschen ermutigen, ihre Expertise in der eigenen Wahrnehmung zu erkennen. Der Stoff, den ich am Borsigplatz hinterlasse, ist also geistiger Natur.

Dorothea, herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Bild oben: Teresa Grünhage

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