Foto: Teresa Grünhage

Und was bleibt?

am 06. Dezember 2016 | in Mitmachstadt, Perspektive Umbruch | von | mit 0 Kommentaren

Das Projekt Mitmachstadt in Düren ist nun schon eine Weile her. Aber sobald ich mir die Fotos am Computer anschaue, tauche ich wieder mitten ein und stelle mir Fragen, die mich immer wieder zu neuen Geschichten führen. Geschichten einer Stadt, die es nie geben wird, auch wenn es sie einmal gab. Aber nur in Miniatur und nur drei Monate lang.

Wie würde es sich in einer Stadt leben, in der Orte zusammenkämen, die so nie zusammenfinden würden? In der sich die Dimensionen von Straßenzug zu Straßenzug verändern. Eine Stadt in der das Spiel mit Unordnung und Ordnung an der Tagesordnung steht. Ein Spiel mit Erinnerungen, Imagination und Utopien.

Der Elefant neben dem Friedhof

In meinem Kopf verweben sich Erinnerungen an Gebäude und Elemente einer Stadt aus Ton mit persönlichen Geschichten von Menschen, die ihre Tonarbeiten und damit ihre Wahrnehmung vom Leben in dieser Stadt geteilt haben. Da gab es den Elefanten. Ein Mann, der mit Kindern und Enkelkindern am vorletzten Tag gekommen war, hatte ihn geformt und setzte ihn dann auf eine Straße in der Nähe einer Kirche. „Warum gerade ein Elefant?“, wollte ich von ihm wissen. Er erzählte mir von seiner Hochzeit. Da er sein Leben lang im Zirkus gelebt habe, habe er bei seiner Hochzeit mit seiner Braut auf einem Elefanten gesessen und sei auf seinem Rücken bis vor die Kirche geritten. Dieser Elefant stand nun neben einer Kirche aus Ton an die Mauer eines Friedhofs gelehnt, der in der zweiten Woche des Projektes gebaut worden war. Die Erbauerin hatte sich fragte, warum es in der Stadt noch keine Menschen aus Ton gäbe. Ihre eigene Antwort war der Friedhof. In den folgenden Tagen wurde dann die Stadt von anderen Teilnehmenden doch noch mit Menschen und Tieren aus Ton bevölkert.

Die Mitmachstadt im September. Foto: Eberhard Weible

Die Mitmachstadt im September. Foto: Eberhard Weible

Auf jedem Foto und jedem Teil der Stadt lassen sich neue Geschichten finden, die entstanden sind aus sieben Tonnen Ton, einer freien Fläche und aus der Möglichkeit, Zeit und Material im Überfluss zu nutzen und den Ideen dabei freien Lauf zu lassen. Diese Möglichkeit nutzten 500 Menschen, die über drei Monate verteilt auf das Gelände der ehemaligen Forensik des LVR-Klinikums Düren kamen um zunächst „erstmal zu schauen“, aber dann im Gespräch mit uns das „erstmal schauen“ schnell aufgaben und lieber „mitmachten“.

An den letzten Tag des Projektes erinnere ich mich wie gestern. Ein noch recht warmer Septembertag an dem der Bau an der 8×4 Meter großen Tonstadt als abgeschlossen gefeiert wurde. Alle Menschen, die drei Monate lang an der Stadt gebaut hatten waren eingeladen, letzte Blicke auf das Gesamtwerk zu werfen, letzte Bauten zu setzen. Es wurden Geschichten ausgetauscht über Orte aus Ton, über Gebäude die gewachsen sind. Immer wieder wurde mir die Frage gestellt, was denn nun mit der Stadt passieren würde.

Finissage. Foto: Eberhard Weible

Finissage. Foto: Eberhard Weible

Vorbei. Was bleibt?

Was bleibt von einer gigantischen Tonstadt, die auf Grund ihrer Größe niemals in einen Brennofen passen würde? Was bleibt von den wunderbar geformten Elementen, die auf Grund der sehr durchwachsenen Wetterlage dieses Sommers teilweise in starke moosbewachsene Schieflage geraten waren? Ein gebrannter Teil? Oder vielleicht ein Guss aus Aluminium?

Schon während des Projektes hatte auch mich diese Frage beschäftigt. Während die Stadt immer größer wurde, wurden auch die dokumentarischen Ideen immer gigantischer. Aluminium-Güsse, Ton-Brände, wie wäre es mit Bronze? Oder ein gescanntes Modell, das dann in eine 3D-Simulation transformiert wird, mit VR-Brillen durchschreitbar und digital neu erfahrbar werden könnte? Heute wäre alles möglich. Aber braucht es das? Würde es den Teilnehmenden des Projektes noch mehr mitgeben, als sie es durch das Projekt erfahren konnten?

Am Tag des Abrisses

Am Tag nach der Finissage rückte ein Team des FabLabs der Hochschule Rhein-Waal aus Kamp-Lintfort an und erfüllte uns den Traum, von dem jeder Bildhauer bestimmt schon einmal geträumt hat: Die Stadt wurde über einen recht langwierigen Prozess gescannt und somit zumindest digital gesichert. Ein sehr beruhigender Prozess, der, wenn die Daten gesichert sind, zu einem Stadium der Wiedergeburt in jeglicher Größenordnung und Dimension führen könnte. Im nächsten Schritt entnahmen wir der Stadt einzelne Elemente, die gebrannt werden sollten, damit die entsprechenden Urheberinnen und Urheber eine Erinnerung behielten.

Die Stadt wird gescannt. Foto: Teresa Grünhage

Die Stadt wird gescannt. Foto: Teresa Grünhage

Dann kam der unweigerliche Moment der manuellen Abrissbirne. Wir begannen mit Hammer, unseren eigenen Händen und Schaufeln die Stadt dem Erdboden gleich zu machen. Auch entsetzte Ausrufe herbeieilender Menschen, die teilweise an der Stadt mitgebaut hatten, konnten uns nicht aufhalten. Kann das nicht bleiben? Muss das sein? Kann man es nicht brennen? Neben dem Trümmerfeld verbrachten wir intensive Gesprächen über Vergänglichkeit und Abschied.

Hat nicht gerade das Temporäre seine Magie?

Ein Trümmerfeld. Besorgte Teilnehmende. Ein Teilnehmer unterstütze uns tatkräftig bei den Abrissarbeiten und strahlte dabei über das ganze Gesicht. Das Team des FabLabs hatte am Vortag eine seiner im Projekt entstandenen Figuren gescannt und ihm als Überraschung eine über Nacht aus dem 3D-Drucker geborene Miniatur in einer strahlend blauen Plastikfassung mitgebracht.

Druckfrisch: Ein 3D-Druck der Plastik von Leonard Ehmke. Foto: Teresa Grünhage

Druckfrisch: Ein 3D-Druck der Plastik von Leonard Ehmke. Foto: Teresa Grünhage

Nun stand ich vor einer leeren Fläche. Bis auf ein paar Tonreste auf dem Boden sah eigentlich alles so aus wie vorher, wie vor vier Monaten, als ich zum ersten Mal den Hof der ehemaligen Forensik betrat. Aber es hatte sich etwas verändert. Immer wieder kamen Teilnehmende des Projektes in den Abbautagen vorbei. Einerseits sehnsüchtig nachfragend, wann denn das nächste Projekt stattfinden würde, aber auch immer wieder freudestrahlend, von ihren Erfahrungen im Projekt berichtend. Grüße und Winken auf dem Gelände der Klinik, Verabredungen der Teilnehmenden untereinander. Das Projekt hatte unglaublich viel kommunikative Anlässe geschaffen und ein wichtiges Gefühl vermittelt: Das Bewusstsein von Freiheit. Freiheit im Tun, Denken, Fantasieren, Erschaffen und die Freiheit, eigene ästhetische Entscheidungen treffen zu können und sich dabei selbst zu vertrauen.

Die Freiheit, die sich in Straßenzügen aus Ton auf einer Fläche von 34 Quadratmetern entwickelte, verwandelte den Ort des Geschehens und Gestaltens in eine soziale Skulptur. Auch wenn materiell zunächst nur voneinander gelöste Teile der Tonstadt bleiben, so bleibt allen Beteiligten etwas ganz Besonderes: Die Erfahrung, gemeinsam ein so großes Werk errichtet zu haben und dabei eigene Entscheidungen eingebracht zu haben. Die Erfahrung etwas formend verändern zu können. Und die Erfahrung, dass jeder für diesen Prozess wichtig ist. Das bleibt.

Abrissarbeiten. Foto: Teresa Grünhage

Abrissarbeiten. Foto: Teresa Grünhage

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