Foto: Ruth Gilberger

Ich schmecke was, was du nicht siehst

am 01. August 2019 | in Neuland, Wagnisse des Neuen | von | mit Ein Kommentar

Eine Nacherzählung von Ruth Gilberger

 

2. Wohnzimmergespräch mit dem Düsseldorfer Künstler Oliver Gather in seiner temporären Wohnung in der Hauptstraße 18, das er im Rahmen von „Neuland“ in Mönchengladbach-Rheydt allen Interessierten anbietet. Ein heftiges Gewitter mit großen Hagelkörnern verzögert unsere Ankunft bei ihm im 2. Stock über der Vapers Lounge, einem Fachgeschäft für elektronische Zigaretten und Zusatzbedarf. Draußen dampft der Asphalt mindestens genauso wie der Innenraum des Geschäftes.

Wir bringen als Gastgeschenk einen upgecycelten Schlips und einen Pfirsich mit und trinken den Pfefferminztee ohne den Hagel als Eiswürfelersatz aber mit mindesten der gleichen Menge Zucker und bulgarischem Naschwerk. In dem kleinen Wohnzimmer steht neben der Zeichnung, den Schwarzweißfotos und den bunten Vogeltellern vom ersten Gespräch ein großer Beamer.

Foto: Ruth Gilberger

Der im Folgenden beschlipste Künstler berichtete den Anwesenden den Stand seiner künstlerischen Untersuchungen in der Hauptstaße im Allgemeinen und im Besonderen in der Vapers Lounge. Eine erste filmische Fassung möchte er den Besucherinnen und Besuchern präsentieren, um anschließend ins Gespräch zu kommen. Leider ist dabei keiner der Protagonisten des Filmes aus der Vapers Lounge anwesend; es gibt viel zu tun und es ist Samstagnachmittag.

Den 10-minütigen Film zu beschreiben, ist nicht einfach, in dem Wissen darum, dass eine Rekonstruktion des Inhalts und der Handlung immer auch eine Dekonstruktion ist  – deshalb assoziativ und ohne den Anspruch auf Vollständigkeit:

 

Der Film

Englische Sprachfetzen.

Spacige Filmmusik zu Dosen und Paketen mit Totenköpfen, die in einer Sammlung von Dosen, Flaschen und Fläschchen nach einer bestimmten Ordnung aufgereiht scheinen.

Digitale Registrierkasse mit englischsprachigem, totenkopfberingten Protagonisten: „Do you need an invoice?“

Sphärischer Gesang mit undefinierbaren Alphabetfetzen zu einem viereckigen Gerät mit Tülle, an dem mit einer Pinzette gefummelt wird.

Das Ding knistert und qualmt. An seinem Ende finden sich kleine glühende Spiralen.

Es qualmt aus diesem handgranatenähnlichen Ding, auf dessen Ende grüner Schleim auf Watte getropft wird. 

Ein Mann wird sichtbar, der scheinbar zu sich murmelt: „Kappe drauf, Luftzufuhr eingestellt, und dann kann es losgehen.“

Portrait dieses Mannes mit Irokesenschnitt, der an dem Ding zieht und eine große Menge weißen Rauch inhaliert.

Ein langsamer Schwenk führt durch den Innenraum mit einem silbrigen Trockenblumengesteck vor lila Wänden, lila Tassen, einem indischen Bild mit Schrift.

Der Mann: „Ich rauche Bratapfel. Das ist frischer Apfel mit Zimt und Donut. Das dampf‘ ich seit letztem November.“

Es gibt auch viele andere reagenzglasähnliche Flaschen mit Beschriftungen wie Phantasmagoria, Dark Burner, tote Tante, Vanille Kipferl, Vampire Vape und Big Mouth.

Die Musik hängt… und bleibt trotzdem rhythmisch treibend, schwebend, irritierend und latent unheimlich.

Ein Buddha, Reste von Deko, ein Paar Flügel mit echten grauen Federn, eine Gipsmadonna mit flammend Herz.

Ein kleiner schlafender Hund im Korb, zusammengerollt.

Tätowierte Arme.

Patronenhülsen.

Ein Aquarium mit leeren Flaschen.

Das optische Flaschengeschüttel findet seine klangliche Entsprechung.

Dialogfetzen: „Was ist das?“– „Psycho Unicorn“ – „Nehme ich gerne.“

Bratapfel wird inhaliert.

Vapire Vape auf dem T-Shirt.

Entspannt Sitzende mit Engel und Dampf in der beschrifteten Vapers Lounge.

Männer hinter Dampf.

Auch eine Frau.

Ineinander verwobene Stimmen, die mit Störgeräuschen wabern.

Nebel.

Ein rasselndes Saugen.

Ausklingender Sirenengesang – dunstig, sehnsüchtig, irritierend, tragend.

Filmstill: Oliver Gather

Resonanzen

Während des Filmes wurde ein Riesenteller Kekse und ein gefühltes Kilo Zucker von einer noch nicht volljährigen Einzelperson konsumiert, ansonsten war es während der Vorführung wirklich still – für so ziemlich alle Anwesenden jedenfalls in der Gattung „Film“ auch hörbar „Neuland“ – denn es blieb auch erstmal still. Dann kam die erste Anmerkung: „Erinnert mich irgendwie an Steven Spielberg – kennst du den?“ und damit war der Beginn gemacht für eine gemeinsame lebendige filmische Nachbesprechung, bei der es um Geschmäcker, um Rauch und Rauchwaren, um Sucht und (Sehn-)Süchte ging. Und dazu hatten wirklich alle etwas beizutragen.

Fortsetzung folgt

Wenn sich auch über Geschmack bekanntlich hervorragend streiten lässt, tuen sich bei der Qualität von Geschmäckern erstaunlich konstante Parallelen auf: Kirschstreusel, Bratapfel und Vanillekipferl gibt es nicht nur in fluider Form in Fläschchen in der Vapers Lounge, sondern auch real auf dem Tellerchen: gegenüber bei der Konditorei Heinemann – Fortsetzung folgt. Wir sind alle sehr gespannt.

Filmstill: Oliver Gather

1 Antworten zu Ich schmecke was, was du nicht siehst

  1. , howdy ho Oliver, das ist nicht viel Rauch um nichts, sondern eher ein GehirnGeschmackserlebnis .hoffe ich kann mich mal dazu gesellen.
    LG Hermann Josef Sauren

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