Zeichnung von Theresa Herzog

Verwebte Zeitstränge im Maria-Lenssen-Garten

am 28. September 2020 | in Allgemein, Resonanzen, Wagnisse des Neuen | von | mit 3 Kommentaren

Das Projekt „Resonanzen“ ist nun bereits einige Monate in vollem Gange. Im Verlauf dieser Zeit hat sich der ein oder die andere vielleicht auch immer wieder gefragt, was der Projekttitel „Resonanzen“ überhaupt sagen will. Vielleicht aber auch nicht. Ich hab mich das viele Male gefragt. Fast jeden Tag, an dem ich zur Zentrale fuhr, hatte ich auch den Gedanken in mir, der Begriffsklärung heute vielleicht ein Stück näher zu kommen.

Es gibt eine Vielzahl an Erklärungsansätzen, beispielsweise aus der Physik oder Soziologie, welche den Begriff auf dem Gebiet ihrer wissenschaftlichen Disziplin mit Inhalt füllen. Aber ehrlich gesagt klangen diese Ansätze, welche ich gelesen habe um der Sache etwas näher zu kommen, bisher für mich immer sehr abstrakt.

Ich hatte die gesamte Zeit das wage Ziel vor Augen, dass dieses Projekt der Montag Stiftung für Kunst und Gesellschaft letztlich Antworten liefern und den Begriff der „Resonanz“ auf künstlerische Art mit Inhalt füllen würde. Ich stellte dieses Ziel durchaus auch zur Disposition: Ist es nicht äußerst naiv eine solche „Erkenntnis“ von einem Projektformat zu erwarten, welches über einen so langen Zeitraum mit so vielen unterschiedlichen Personen zusammenarbeitet und somit beständig an anderer Stelle wieder „neu“ ansetzen muss?! Und sollte das überhaupt das Ziel und Anspruch eines künstlerischen Projektes in Gesellschaft sein?
Und ja, gegebenenfalls war diese Erwartungshaltung naiv, aber dennoch spülte die Hitzewelle, zusammen mit der Schaffenskraft der Bildhauerin Nicola Schudy und allen tatkräftigen Helfern im August zusammen mit Kauri auch eine „Erkenntnis“ im Maria-Lenssen-Garten an. 

Die gesamte Zeit hatte ich bisher schon Momente und Geschichten gesammelt, fotografierte, filmte und zeichnete und wusste lange nicht, dass sich diese verschiedenen Zeitpunkte und -stränge des Projektverlaufs überhaupt einmal und dann auch noch ausgerechnet hier, auf so einfache und sinnvolle Art zusammenfügen würden.

Eintrag 83: Mitte August, gefühlte 43°, Maria-Lenssen-Garten, Rheydt.

Trotzdem ein Dutzend Leute vor Ort sind, ist es ganz ruhig hier. Ich lehne an einen Baum in der Mitte des Parks. Die hochgelegenen Baumwipfel der, wie ich eben gehört habe 200-Jahre alten Bäume, wiegen sich in einer leichten Brise, von der hier unten leider nichts zu spüren ist. Diese kleine Parkanlage wirkt wie der herrschaftliche Garten einer Villa oder eines Elite-Internats. Tatsächlich befindet sich direkt angrenzend ein großes Berufskolleg. Die Schüler nutzen den Park anscheinend auch als Pausentreffpunkt. Vielleicht sind es die riesigen Bäume, welche den Garten so imposant wirken lassen. Oder der kleine klassizistische Pavillon, der sich zwischen einigen der beeindruckenden Bäume versteckt und wirkt, als wäre er ein Überbleibsel und Relikt längst vergangener Zeiten. An den Park angrenzend steht außerdem dieses alte Schwesternheim im Bauhausstil, welches heute vorrangig als Wohnheim für die Schüler des Berufskollegs genutzt wird.
Dazwischen eine Wiese. Ein auffallend kleiner, aber stämmiger Baum, ein paar Bänke und ein Mülleimer.

Dass diese Idylle teilweise trügt und so ihre Schattenseiten hat, fällt zunächst keineswegs auf. Die Wiese ist mehr gelb als grün. Sie scheint die Hitze diesen Sommers nicht gut verkraftet zu haben. Die Wiese wird durch dichtes Gebüsch begrenzt, in welchem nach monate- und vielleicht auch jahrelangen Passierens derselben Pfade ein System an Parallelwegen zu den „offiziellen“ Wegen des Gartens entstanden ist. Diese Abwege sind gesäumt von Taschentüchern und Spritzenkanülen.

Eintrag 84: Im Weben liegt die Ruhe

Zwischen den riesigen Bäumen des Gartens haben das Projekt-Team und Nicola Schudy ihr Lager aufgeschlagen. Aus ein paar Böcken und Tischen haben sie eine Outdoor-Werkstatt, oder viel mehr ein Outdoor-Atelier erbaut und arbeiten hier nun mit vereinten Kräften an den Matten, welche sich nach und nach um das bereits aufgebaute metallene Grundgerüst legen und „Kauri“ formen sollen.
Viel mehr als das benötigte Material und etwas zu trinken gibt es hier nicht und sollte es auch nicht geben. Wie ich in der Projektzentrale vergangene Woche aufgeschnappt hatte, sollte sich in diesen Wochen allein auf das Weben der Matten konzentriert werden. Ein paar Personen sitzen auf den Parkbänken und plaudern. Ein paar andere rasten im Schatten hinten am Pavillon. Nicola feilt an der bisherigen Konstruktion. Vier Rheydter weben an den großen Tischen. Es ist auffallend ruhig.
Die Grundidee von Nicola Schudy war es, einen besonderen „mobilen Resonanzraum“ zu schaffen. Dafür entwickelte sie aus der Technik eines früheren Projektes die gewebte Mattenstruktur für Kauri.

Zeichnung von Theresa Herzog

Eintrag 90: Verwebte Zeitstränge im Maria-Lenssen-Garten

Noch einmal einen Schritt zurück: Auch, wenn es eine Vielzahl an kleinen Momenten im Projektverlauf der letzten Monate gegeben hatte, an denen verschiedenste „Resonanzen“ deutlich sichtbar, fühlbar oder hörbar geworden waren, fügten sich diese kleinen Situationen und Teile nun im Maria-Lenssen-Garten auf erstaunliche und unerwartete Art plötzlich zusammen.
Die einzelnen Künstler, die ihre Werke und Projekte im Rahmen des „Resonanzen“-Projektes in den vergangenen Wochen realisiert hatten, thematisierten alle, ausnahmslos äußerst spannende Aspekte des Phänomens der Resonanz. Und auch die einzelnen Teilnehmer entwickelten und teilten über die verschiedenen Impulse ihre eigenen Gedanken zum Thema. Der Bedeutungs- und Deutungsraum um „Resonanzen“ ist über die Wochen zunehmend angereichert worden und wuchs letztlich zu einem dichten Geflecht an Erlebnissen, Zeitsträngen und Bedeutungsebenen einzelner Personen, die sich alle in der Projektzentrale irgendwann einmal begegnet sind.
Auch wenn bei der Künstlerin Nicola Schudy zunächst vor allem die Struktur und Form der kreierten Resonanzmuschel „Kauri“ zentral gewesen war, fällt es mir nun wie Schuppen von den Augen, dass ausgerechnet diese Materialität auch ein perfektes Sinnbild für die Projektstruktur von „Resonanzen“ darstellt. Als ich Rupert, Grazia und der Mutter mit ihrem Sohn, deren Namen ich leider noch nicht kenne dabei zuschaue, wie sie gemeinsam an den Matten weben, scheint es, als webten sie nicht nur an dem Material für einen Resonanzraum, sondern an einem Raum aus einzelnen (Zeit-)Fäden und Resonanzen des Projektes selbst.

So viele Wochen hatten wir nun immer schon von dieser „Kauri“ gesprochen und doch die gesamte Zeit im Ladenlokal an unzähligen anderen Projekten gearbeitet. Auch wenn es „Kauri“ für die Projektteilnehmer einige Wochen vor Ort noch gar nicht gab und sie vielleicht auch noch längst nicht vorstellbar oder wichtig gewesen war, war doch „Kauri“ auch immer der Grund des Zusammenkommens. In dieser Zeit ist ein gedanklicher Raum um Kauri entstanden, der sich nun auf so bezeichnende Art materialisiert und manifestiert: Hier stehen diese unterschiedlichen Personen und arbeiten hochkonzentriert und mit ehrlicher Überzeugung an diesem gemeinsamen Projekt. Die Eindrücke des Projektes müssen bis zum jetzigen Projektzeitpunkt unglaublich verschieden gewesen sein, weil die Vielzahl und Verschiedenheit der Workshops zum Thema Resonanzen und der Künstler immens war!
Und doch: Für kurze Momente oder in einzelnen Fällen sogar für den gesamten Projektzeitraum ist eine Gemeinschaft unterschiedlichster Personen entstanden, die sich und ihre jeweiligen Eindrücke einbringen und einweben in das Geflecht von „Resonanzen“, wo sie letztlich doch irgendwie zu Einem zu werden.

3 Antworten zu Verwebte Zeitstränge im Maria-Lenssen-Garten

  1. Grazia Maria Teresa sagt:

    Liebe Theresa,
    Kauri war für mich das erste Projekt, dass ich auch sehr intensiv erlebt habe. Den Tag den du beschreibst, war einer der schönsten und bedeutungsvollsten Tage für mich im Maria-Lenssen-Park mit all den Begegnungen und dem Austausch. Am selben Abend war ich völlig erfüllt davon.
    Auch ist mir gut in Erinnerung geblieben, wie du unter dem Baum (in Verbindung mit der Natur) sasst und gezeichnet hast ganz versunken in dir und in dem was gerade bei dir zum Ausdruck kam. Das hat mich sehr beruehrt.
    Danke dafür und für die Workshops mit dir die darauf folgten.
    Liebe Gruesse

  2. Grazia M. sagt:

    Liebe Theresa, vielen Dank für deinen schönen Beitrag und den schönen Zeichnungen zur Cauri. Ich habe mich sehr darüber gefreut.

    Liebe Gruesse

  3. Grazia sagt:

    Liebe Theresa,
    Vielen Dank für deinen wertvollen Kommentar. Ich stimme dir in deiner Erkenntnis zu, dass Resonanz nichts abstraktes ist, sondern sich aus der Schwingungsenergie heraus einstellt und zum Ausdruck kommt.
    Kauri war für mich das erste Projekt, das ich auch sehr intensiv erlebt habe.
    Den Tag den du beschreibst, war einer der schönsten und bedeutungsvollsten Tage im Maria-Lessen-Park mit all den Begegnungen und dem Austausch.
    Auch ist mir gut in Erinnerung geblieben, wie du unter dem Baum (in Verbindung mit der Natur) sasst und gezeichnet hast ganz versunken in dir und und mit dem, was gerade aus dir zum Ausdruck kam.
    Danke, dass ich mich in deinen Worten -in Bezug auf Kauri – wiederfinden dürfte und für deine schoenen Zeichnungen. Die Ortsbeschreibung der Kauri hat mir gut gefallen.
    Liebe Grüsse
    Grazia

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