Foto: Damian Paderta

„Wir haben hier Künstler und was habt ihr?“

am 25. August 2015 | in faktor kunst 2013, Public Residence: Die Chance | von | mit 0 Kommentaren

Silas Falk Strotkötter ist 14 Jahre alt und lebt seit seiner Geburt in der Dortmunder Nordstadt. Im Rahmen von „Public Residence“ hat er an verschiedenen Aktionen teilgenommen, u. a. an der Theatergruppe der Kielhorn Förderschule, die von Olek Witt angeboten wurde. Teresa Grünhage hat ihn am 18. Juni 2015 getroffen und mit ihm über seine Erlebnisse gesprochen.

Silas, wie hast du damals von „Public Residence“ erfahren?

Ich gehe öfters zu den Youngsters bei Borsig11 und habe dort schon an verschiedenen Angeboten teilgenommen. Dort habe ich das erste Mal etwas von „Public Residence“ gehört. Aber so richtig habe ich es erst verstanden, als Amanda vom Verein dann einmal bei uns zu Hause war und meiner ganzen Familie etwas über das Projekt erzählt hat. Sie hat unser Interesse geweckt.

An welchen Angeboten hast du dann teilgenommen? Hast du dabei besondere Aufgaben übernommen?

Ich habe bei sehr vielen Dingen mitgemacht. Zum Beispiel habe ich Dorothea bei ihrer „Befreiungsbier-Aktion“ geholfen und die Flaschenetiketten aufgeklebt. Frank habe ich bei seiner Bierbrauaktion unterstützt. Da war ich sogar fünf Mal dabei. Einmal musste er die Brautonne ausspülen. Wir haben sie dann zu mir nach Hause getragen und dort in der Badewanne ausgespült. Danach war die Badewanne voller Hopfen. Als ich das Wasser mal nach dem Baden abgelassen habe, hat es sehr ekelhaft gerochen. Nun ist der Geruch zum Glück wieder weg. Ich habe da vorher nicht drüber nachgedacht, dass es so stinken könnte, als ich das Frank angeboten habe. Und dann habe ich noch bei den Faltaktionen mitgemacht, die Frank veranstaltet hat. Falten macht mir aber nicht so richtig Spaß. Bei den Filmvorstellungen im Ladenlokal „103“ war ich auch ein paar Mal. Aber meistens bleibe ich nur 10 Minuten, weil der Film mich dann langweilt. Ich kenne die Filme, die gezeigt werden, fast alle.

Vor zwei Wochen war das Abschlussfest. Dort habe ich dich bei der BBQ-Performance von Dorothea Eitel getroffen. Wie hat es dir dort gefallen?

Das BBQ war super. Eigentlich war es ja erst einmal nur ein Barbecue. Aber das, was Dorothea aus einem einfachen BBQ gemacht hat, war super cool. Mir hat das gezeigt: Du musst einfach das nehmen, was da ist und daraus etwas machen. Diese Idee ist super. Wenn Dorothea grillen möchte, das dann als Kunst bezeichnet und es dann plötzlich auch zu Kunst wird, ist das toll. Das hat sie geschafft. Wir haben mit Töpfen Musik gemacht und mit Essen wurde getanzt. Auch ihr Kostüm mit dem Salat in den Haaren hat allen gefallen. Es war ein riesen Theaterstück, in dem plötzlich jeder mit auf der Bühne war, obwohl es keine Bühne gab. Mir hat diese Kunst am meisten gefallen. Und wir als Publikum konnten mitmachen und Teil des Ganzen werden.

Du hast dann plötzlich mit Dorothea getanzt. Wie kam es dazu?

Sie hat getanzt und mich angeschaut. Ich fühlte mich in die Performance reingezogen und habe mich dann darauf eingelassen. Ich dachte mir, warum schaut sie mich so an, soll ich jetzt etwas machen? Was mache ich jetzt?! Und dann war ich plötzlich mitten drin.

Das war toll, wie du das gemacht hast! Hast du schon einmal vor „Public Residence“ Theater gespielt oder getanzt?

Getanzt habe ich vorher nie. Bei dem Tanz mit Dorothea habe ich sie einfach nachgeahmt. Das hat ganz gut geklappt. Ich kann sehr gut Menschen nachmachen. Das ist aber auch manchmal ein großer Nachteil, weil ich so auch Ticks von Leuten übernehmen kann und mir angewöhne. Ich gucke mir also gute wie schlechte Dinge ab.

Auch Theater habe ich vor dem Theaterprojekt mit Olek nur einmal bei einem Musical in der Schule vor langer Zeit gespielt. Das war ehrlich gesagt ein bisschen besser organisiert als das Theaterprojekt von Olek. Wir haben nämlich damals schulfrei bekommen. Wir hatten eine richtige Bühne und Kostüme. Bei dem Projekt von Olek war das leider nicht so. Ansonsten fand ich die Idee von ihm aber super! Auch, dass er unsere Schule ausgesucht hat.

Als Amanda euch damals zu Hause von Public Residence erzählt hat, hast du da schon verstanden, was es mit den Chancen auf sich hat?

Ich habe es, glaube ich, als erster gecheckt. Meine Mutter hat erst nicht verstanden, was der Verein damit wollte. Jetzt hat sie sogar schon ein eigenes Projekt umgesetzt und einen Monster-Workshop angeboten, bei dem jeder Monster malen konnte. Es wurden viele Chancen dafür ausgegeben, aber auch viele wieder eingenommen. Wir haben ja für den Monster-Workshop eingekauft und ein paar Dinge wie Leinwände sind übriggeblieben, die wir mit nach Hause nehmen durften. Das ist super, denn wir malen zu Hause sehr viel.

Was machst du mit deinen Chancen? Wie benutzt du sie?

Ich habe am Anfang wie jeder hier 100 Chancen bekommen und dann immer, wenn ich geholfen habe, welche verdient. Ich gebe meine Chancen immer zu Hause ab. Wir haben mittlerweile schon 3.000 Chancen. Meine Schwester möchte ein eigenes Projekt hier umsetzen und dafür braucht sie Chancen und zwar ganz schön viele.

Wow, was hat deine Schwester denn vor?

Kennst du diese Steine, die hier im Boden eingearbeitete wurden? Da steht z. B. „BVB. So und so viele Tore geschossen“ drauf. Das will meine Schwester auch machen. Sie möchte, dass auf Steinen im Boden Kindernamen stehen und seit wann sie am Borsigplatz leben. Das möchte sie in der Straße am Ladenlokal machen. Wenn ich also neue Chancen verdient habe, gebe ich sie ihr. Ich finde ihre Aktion cool und plane gerade keine eigene. Ich kann ja bei ihr mithelfen. Wir haben die E-Mail-Adressen vom Verein Borsig11 zu Hause und so können wir den Verein ansprechen. Wir tauschen die Chancen dann z. B. in Marmorplatten um, arbeiten dort die Namen der Kinder ein, lassen die Straßen aufreißen und fügen dort die Steine ein. Ich finde die Idee cool, deshalb unterstütze ich meine Schwester.

Wie alt ist deine Schwester?

12 Jahre.

Hast du das Gefühl, dass sich bei dir etwas verändert hat durch das Projekt?

Ich konnte im letzten Jahr entdecken, dass ich lieber etwas darstelle, als zu malen. Wenn ich mich zwischen Tanz und Malen entscheiden müsste, würde ich lieber Tanzen.

Was sich auch verändert hat: Ich habe unglaublich viele neue Menschen kennengelernt. Auch viele andere Kinder. Das Coole an den Aktionen ist, dass es nun etwas gibt, wo man einfach mal hingehen kann. Es sind auch ganz viele Eltern von Mitschülern, die dorthin gehen und so auch Klassenkameraden von mir. Ein Vater sitzt zum Beispiel im Lokal „103“ öfters auf der Couch und redet mit den Leuten. Dann gehe ich auch vorbei, setze mich zu ihm und rede mit ihm, bevor ich zu den Youngsters gehe. Auch, dass es jetzt das Ladenlokal gibt, ist super. So gibt es einen neuen Treffpunkt. Und unsere Monster-Leinwände hängen dort immer noch an der Wand. Manche sind sehr gut, die sind von den Kindern. Die von den Erwachsenen sind echt albern. Muss ich ganz ehrlich sagen. Die Erwachsenen haben sich gar keine richtige Mühe gegeben und die Monster nicht einmal richtig angemalt. Kinder haben mehr Phantasie!

Warum meinst du, dass Erwachsene weniger Phantasie haben als Kinder?

Man verlernt die Phantasie als Erwachsener. Auf meiner alten Schule (Realschule) zum Beispiel war der Kunstunterricht militärisch. Wir mussten einmal nur Striche zeichnen, die wir mathematisch berechnen mussten, und das ergab nachher das Bild. Und dann bekommt man eine Note dafür. Jedes Bild sah gleich aus. Kunst ist das nicht. Bei mir waren mal so kleine Abweichungen auf dem Bild und das gab dann eine schlechtere Note. Das hat nichts mit Kunst zu tun.

Malst du denn zu Hause gern?

Zu Hause malen wir sehr viel mit meiner Mutter. Momentan aber nur, wenn meine Mutter nicht arbeiten muss und frei hat. Wir haben tausende Farben zu Hause. Und überall sind Glitzersteinchen. Die Bilderahmen der Monster-Bilder sind auch voller Glitzersteinchen. Das ist immer schwierig, sie zu befestigen. Im Ladenlokal sind sie schon fast alle abgefallen. Aber kennst du den André vom Verein Borsig11? Der ist super, der klebt uns die Steine immer wieder auf. Das ist so cool! Das muss er ja gar nicht, aber er bückt sich da jedes Mal runter und repariert das, wenn wieder etwas abgefallen ist.

Wie war es für dich, bei dem Projekt mit Künstlern zusammenzuarbeiten?

Mit manchen Künstlern war es besonders spannend, etwas gemeinsam zu machen, mit anderen nicht so. Ich habe mich mit fast allen gut verstanden. Aber manche Künstler waren auch sehr schwierig, obwohl ich eigentlich schwierig seien sollte. Ich bin ja Kind und nicht sie. Sie waren manchmal zu selbstbezogen und ich hatte ein wenig das Gefühl, dass alles, was sie machen, in ihren Augen perfekt ist und das, was die Anwohner machen, für sie weniger wert ist.

Gibt es etwas, was dir besonders gut gefallen hat?

Mir hat fast alles sehr gut gefallen. Ein Freund von mir hat mal gesagt: „Du wohnst ja in der Nordstadt, das ist ja überhaut nicht gut dort.“ Da konnte ich jetzt sagen: „Ja, aber wir haben hier nun Künstler und was habt ihr?“ Er meinte darauf: „Einen Spielplatz.“ Und da ist doch klar, was besser ist! Klar, es stimmt schon, dass hier nicht alles gut ist. Ich habe schon als Kind Drogendealer gesehen. Aber nur deswegen kann man nicht sagen, dass das Viertel asozial ist. Man kann nicht einen Fleck anschauen und sagen: Der Rest ist auch so.

Und was hat dir nicht so gut gefallen?

Ein bisschen blöd fand ich, dass Kinder keine eigenen Chancen bekommen konnten. Immer mussten sie ihre Eltern oder großen Geschwister vorschicken, obwohl sie ja genauso bei den Aktionen der Künstler mitmachen.

Was würdest du dir wünschen, wie das Projekt weitergehen soll?

Ich weiß schon, was passiert. Aber wenn ich es nicht wüsste, würde ich es mir so wünschen, wie es jetzt passiert. Es haben sich schon ein paar Anwohner gemeldet, die die Künstler jetzt quasi vertreten wollen. Meine Mutter könnte das Kino auch im Garten anbieten. Da könnte sie auch tolle Filme mal für Kinder zeigen. Wichtig ist, dass immer mehr Leute kommen und die Nachbarschaft größer wird. Ich finde auch das Motto des Vereins „Machbarschaft“ cool. Man kann alles machen, wenn man will.

 

Foto: Damian Paderta

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

« »