Dortmunder Schwarzbräu – Dierdrauen in Bortmunb

am 27. März 2015 | in faktor kunst 2013, Public Residence: Die Chance | von | mit 0 Kommentaren

Nachbarschaftliches Bierbrauen mit Alkoholabhängigen …? Frank Bölter, Public-Residence-Künstler, erlebte mit seiner Aktion auf dem kleinen Borsigplatz in Dortmund Wunder über Wunder. Das Rezept dafür … – anbei.

05.12.2014, 10.43 UHR
BierBrauen14.12.1Aufhängen von Plakaten an Bäumen, Elektrokästen und Mauern rund um den „kleinen Borsigplatz“. Auslegen von Postkarten und persönliche Ansprache von Personen auf und um den Platz im Dortmunder Norden, um Begeisterung zu schüren für die Idee des gemeinschaftlich selbstgebrauten Bieres. Einladung der täglich auf dem Platz und im anliegenden Kiosk, der Bäckerei und im Friseurgeschäft anzutreffenden Personen.

08.12.2014, 16.05 UHR
Aufhängen von Plakaten an Bäumen, Elektrokästen und Mauern rund um den kleinen Borsigplatz. Auslegen von Postkarten und persönliche Ansprache von Personen auf und um den Platz im Dortmunder Norden, um Begeisterung zu schüren für die Idee des gemeinschaftlich selbstgebrauten Bieres.

17.18 UHR Jana Erlenkamp bemerkt, ein untergäriges leichtes Schwarzbier wäre der Situation auf dem kleinen Borsigplatz angemessen. Amanda Bailey schmunzelt, dem Verein Machbarschaft Borsig11 ist es egal. Nicht verschwiegen werden soll, dass die beiden Damen für diesen tätig sind.

10.12.2014, 11.17 UHR
Aufhängen von Plakaten an Bäumen, Elektrokästen und Mauern rund um den kleinen Borsigplatz. Auslegen von Postkarten und persönliche Ansprache von Personen auf und um den Platz im Dortmunder Norden, um Begeisterung zu schüren für die Idee des gemeinschaftlich selbstgebrauten Bieres.

Wolfgang, dem der kleine Borsigplatz gehört, wie er zu verstehen gibt, behauptet, während er das Plakatieren beobachtet: „Da kann ja jeder kommen!“ – „Ja, bitte doch“, wird erwidert.

11.12.2014, 13.28 UHR
Abholen des Brau- und des Läuterbottichs im Gewerbehof beim „Dortmunder U“, dem Lager des Vereins Brautum e.V., der sich bereit erklärt hat, die Aktion „Dortmunder Schwarzbräu – Selber Brauen“ mit dem notwendigen Brauequipment zu unterstützen. Neben den Bottichen werden ein Thermometer, ein zum Bottich passendes Sieb und ein Ablasshahn mit ausgeliehen. „Alles da, aber kein Bier“, beschwert sich André Körnig vom Verein Machbarschaft Borsig11 auf der Rückfahrt über die Trockenheit am Steuer.

12.12.2014, 11.17 UHR
Aufhängen von Plakaten an Bäumen, Elektrokästen und Mauern rund um den kleinen Borsigplatz. Auslegen von Postkarten und persönliche Ansprache von Personen auf und um den Platz im Dortmunder Norden, um Begeisterung zu schüren für die Idee des öffentlichen Bierbrauens.

14.12.2014, 11.03 UHR
Auftritt von Bierkönigin Jana Erlenkamp, Public-Residence- Prinzessin Amanda Bailey und Lakai Frank auf dem kleinen Borsigplatz in der Dortmunder Nordstadt zum erneuten Aufhängen von Plakaten an die den Platz umgebenden Mauern und wiederholten Auslegen von Postkarten auf Bänken des Platzes und Fensterbänken der Nachbarn zur öffentlichen Einladung zum gemeinschaftlichen Bierbrauen, Beginn heute um 11 Uhr. Es wurden auch heute wieder sämtliche Plakate von unbekannt entfernt und die ausgelegten Postkarten entwendet oder in die Büsche geworfen.

BierBrauen14.12.3Am benachbarten Kiosk treffe ich auf Wolfgang, selbsternannter Bürgermeister des Blocks, der, entgegen seiner Gewohnheit, an seinem üblichen Platz auf der Bank des kleinen Borsigplatzes zu sitzen, Hansa Export aufzunehmen, heute überraschend sein fremdgebrautes Bier vor dem Kiosk stehend genießt. Neben ihm steht wie immer auch seine Petrella, ebenfalls ausgestattet mit einer andere-Leute-reichmachenden-Flasche Hansa Export: „Wann kommt das Fernsehen?“, fragt sie leidlich lächelnd aber besorgniserregend bekümmert. „Die kommen natürlich nicht, das war nur‘n Scherz, weil das Fernsehen sonst ja immer bei allem dabei ist!“ „Ach so“, meint sie: „Weil, deswegen kommt nämlich heute keiner zum Brauen!“ „Die wollen nämlich alle nicht ins Fernsehen“, gibt Wolfgang zu bedenken. „Aber heute wollen doch immer alle um jeden Preis ins Fernsehen“, wird trotzig erwidert und, um dem Gespräch eine andere Richtung zu geben, erfreut ergänzt: „Sehr sympathisch, das mal einer nicht ins Fernsehen will, ist ja selten heutzutage.“ „Wenn Fernsehen kommt, kommen wa nicht!“, stellt Petrella noch einmal abschließend heraus und verhindert den Themenwechsel. „Aber es ist doch mit Absicht das Wort FernSEHEN auf dem Plakat so komisch geschrieben. Es wird auch kein Sender oder TV-Format genannt, damit klar wird, dass das nicht ernst gemeint ist“, wird auf Petrellas seichte Rüge von Wolfgang eingegangen. „Klarer ist bei uns was ganz anderes!“, behauptet der Bürgermeister dann und zeigt auf seine Jackentasche, in der sich ein Flachmann befindet.

„Klar ist mir nur: Ich wäre jedenfalls schon mal da!“, wird so verunsichert behauptet, das an dieser Stelle der Gebrauch des Konjunktivs mehr als angebracht ist. „Wir wären dann jedenfalls schon mal weg“, stellt Petrella barsch fest und verlässt mit Wolfgang in den Kiosk gehend die Bühne.

11.09 UHR Beim Scannen des kleinen Borsigplatzes fällt auf, dass dieser heute ausnahmsweise von den drei Vollweisen aus dem Abendland in Vollendung, von dreieinhalb gepflegt wirkenden älteren Herren besetzt wird, die auf die begrüßende Frage: „Hallo, aber was wollt Ihr edlen Herren denn hier?“ mit: „Wir konnten den kleinen Borsigplatz nicht finden, sind aber immer seinem Stern gefolgt. Heute wird doch hier das Dortmunder Schwarzbier aus der Traufe gehoben, oder etwa nicht?“ antworten. Der Bemerkung „Ich habe noch nie Bier gebraut, Ihr müsst das machen!“ wird leicht überrascht über die hohe Dichte an Braufachleuten ergänzend hinzugefügt: „Ich wollte eigentlich nur mal schauen, wer so kommt.“ Brauen sei das kleinste Problem, wird kühn von einem der Brauweisen behauptet: „Wir kriegen den Hopfen schon gegoren und das Kind getauft, wie man unter echten Braukennern so sagt“.

Sie erläutern, der eine hätte ein Leben lang etwas mit Weihrauchgas gemacht und gleich eine Flasche mitgebracht, der andere wäre mindestens seit Jahrzehnten Experte im Hobbybrauen mit der Zusatzausbildung zum Biersommelier und hätte Malzmyrrhe dabei, ein Dritter habe sein Leben gar im sauerländischen Warstein regiert, einem doch allseits bekannten Ort, der seinen Namen der gleichnamigen Brauerei zu verdanken habe, der weitere Dritte habe sogar ein Leben lang neben einer namhaften Brauerei gewohnt und dabei auch noch seine Frau Katja kennengelernt. Ein letzter Dritter könne ausschließlich seinen königlichen Hopfen am Aussehen erkennen und hätte auch gleich seinen Goldsaft dabei.

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Als dann sämtliche Brauutensilien von den heiligen drei Trinkhähnen eingesammelt, Sudtopf und Läuterbottich aufgestellt sind, entbrennt zwischen den drei heiligen Hobby-Braukronen gleich der Kampf um die Macht am Gasherd, die Vorherrschaft am Brautopf und um die richtige Braurezeptur. Das ruppige Gezänk wird jäh unterbrochen, indem auf einmal beinah alles in Flammen steht. Nach 60 Schrecksekunden, einhergehend mit dem Satz: „Wir sind hier im Pott, da geht’s schon mal‘n bisschen rauer zur Sache!“, stattet man sich jedoch endlich und gemeinsam auf Anraten von der sich selbst zur Schaubrauleiterin ernannten Jana Erlenkamp mit dem ersten Brinkhoff’s Nr. 1 aus und widmet sich dem Fachgesimpel über dessen bittersüßen Nachgeschmack im unteren Rachenbereich nach dem Genuss des vierten Bieres dieses eher „höherklassigen Exempels eines besseren Massenproduktpalettensortiments“, so Altbraumeister Malte Hopfen-Pflücker, und dem Löschen der „Brandes“.

„Ein Wunder, das nichts passiert ist!“, behauptet der gerade aufscheinende „Stern-vom-Borsigplatz“-kioskbesitzende-Anwohner Kemal, dessen Beschwerde mit der Information: „Wir brauen nur, wir verkaufen nichts!“, beschwichtigend abgewiesen wird.

Kemal entschwindet in die gleiche Richtung, aus der er zuvor kam, nachdem er uns mit einer Camel-Zigarette und der Bemerkung versorgt hat, er müsse jetzt zu seinen Kühen.

BierBrauen14.12.2212.28 UHR Als der Hopfen gerupft und das Malz aufgerieben ist, sind plötzlich auch die Wogen zwischen den Platzhirschen der Hobbybraukunst geglättet. Die mit allen Wassern der Braukunst gewaschenen älteren Herrschaften verschwinden mit dem Auftauchen von dem heute Morgen etwas formlosen Joelle, der mit einer Flasche Dortmunder Kronen in der einen und einer tiefen Schnittwunde in der anderen Hand auf den kleinen Borsigplatz wankend die Bühne betritt.

Umsorgt wird er in der Runde aufgenommen und sensibel mit den Worten: „Los, mach mit!“ zum Schwarzbier-Mitbrauen ermuntert. Das kalte Bier der linken wird ihm kurzerhand gegen den warmen Griff des Sudbottichs getauscht und fürsorglich nach den Ereignissen um die schwere Blutkruste der anderen Hand gefragt: „Ach, da hat mich einer geschubst, da ist die Bierpulle in der Jackentasche kaputt gegangen. Ich musste die Scherben ja dann irgendwie aus der Tasche kratzen…“, führt Joelle den Sachverhalt erhellend aus. „Zum Glück hat man zwei Hände!“, ruft Heil H.-Biermann, ein kürzlich in die Nordstadt deportierter Kenner des deutschen Reinheitsgebots, im Vorbeigehen, der sich nur kurz erkundigt, wann endlich mit dem Ausschank zu rechnen sei.

Mit der Information, dass es dazu wohl heute nicht mehr kommen wird, ist auch seinem Aufenthalt auf dem kleinen Borsigplatz jede Rechtsgrundlage entzogen: „Bis dahin bin ich ja verdurstet!“, sieht man ihn noch schimpfend um die Ecke Richtung großer Borsigplatz davontrotteln.

13.49 UHR Wie aus dem Nichts tauchen plötzlich zwei ernstzunehmende Nachbarn auf, die sich auf Nachfrage tatsächlich als Nachbarn, und nicht als gegenwärtig ihren Beruf ausübende Ordnungsamtsmitarbeiter mit dem Auftrag, illegale Brauaktionen aufzuspüren und im Hopfenkeim zu ersticken, entpuppen. (Der trinkfreudige und inzwischen eifrig im Bottich rührende Quartiersbewohner Roland St. fragt vorsichtshalber hintergründig testend und trocken, ob er mal auf die Toilette der unmittelbaren Anwohner dürfe. Er muss dann plötzlich doch nicht, als ihm tatsächlich das nachbarliche Klo angeboten wird.)

Es kommt dann noch dicker, als dieser angeblich auf den Namen Mattes hörende Nachbar plötzlich heimlich, den übriggebliebenen Treber oder geschroteten Malzteig nach Ablass des Suds aus dem Bottich in eine Plastiktüte zu füllen beginnt und mit den Worten: „Ich komme später wieder!“ ohne weitere Erklärung verschwindet.

BierBrauen14.12.11Die weiter vor sich hin Köchelnden tragen noch verschiedenste, aber zwecklos gewordene Verwendungsmöglichkeiten für den soeben abhanden gekommenen Getreideteig von Gesichtsmaske bis Dünger zusammen, als ein neuer Akteur still und leise in die Runde der heute gegründeten Braugemeinde tritt.

Roland „Schweiz“ St. heißt den Neuankömmling in diversen heimischen Dialekten willkommen und versucht so, den offenbar bulgarisch stämmigen europäischen Mitbürger in die Gesellschaft einzuschweizeln. Man verständigt sich auf das Kommunizieren in reiner Bierseligkeit, ermuntert den offenbar an der Braukunst interessierten Mann, die Worte „Bier“ und „Prost“ zu lernen, als dieser in einer langen Weile plötzlich das Wort „Muzic“ hervorbringt. „Musik, ah Musik – Musik, Musik gut“, echot es aus beinah allen sonst noch anwesenden Mündern, als der bulgarische Mitbürger seine Stimme erhebt, um eine, wie er nachher unnachahmlich mit dem Wort „bulgarisch“ sagt, bulgarische Folklore in beinah vollendeter Virtuosität erklingen zu lassen.

„Ein Wunder, ein Wunder!“, tönt es abermals aus dem aus seinem Kiosk stürzenden Kemal, der im Folgenden eine glühende Danksagung wegen der großen Anzahl im Laufe des Brauvorgangs verkaufter Bierflaschen und Dosen diverser Sorten an uns richtet. In der Gruppe der öffentlichen Brauer wird daraufhin die These diskutiert, dass unser Vorhaben möglicherweise sein Ziel verfehlen könnte, als der bulgarische Europäer erneut das Wort „Muzic“ formuliert und ein weiterer, perfekt vorgetragener folkloristischer Minnesang über seine Lippen kommt, gefolgt von großem Applaus und großer Rührung im Sudbottich.

IMG_1351Jetzt vergessen wir mal diesen ganzen Fabulierkrampf um dieses schwülstige Ejakulat autorenkultureller Suche nach sprachperligen Finessen in Erinnerung an diesen einzigartigen Augenblick mit der Frage: Was soll man dazu noch sagen? – Außer: Danke für diesen großen Moment!, der in ungläubigem Staunen und langem Applaus endet. Der Rest wäre Schweigen, wenn nicht zu allem Überfluss, und als wäre dieses Glück im Alltag noch steigerungsfähig, in dieser Sekunde Mattes zurückkehrte, mit selbstgebackenen Brötchen aus dem Brauteigtreber im Gepäck, um den bulgarischen Sänger und sein Publikum damit zu speisen. Spätestens jetzt gibt das selbstgebraute Bier seine Hauptrolle ab, tritt hinter bulgarischer Folklore und selbsterzeugtem Gebäck zurück, wenn nicht gar in Vergessenheit.

Abermals kehrt der Kioskbetreiber seinem Gehäuse den Rücken, um ergeben zu vermelden, dass er soeben, was Wunder, eine ganze Kiste Brinkhoff‘s Nr. 1 verkauft habe, was die Verwunderung der Selbstbrauer nun nicht mehr steigern kann: Ausreichend Übersinnliches hat sich heute bereits auf dem kleinen Borsigplatz zugetragen.

Zum allem irdischen Überfluss kocht jetzt der Biersud über und bringt damit sich und den eigentlichen Grund unseres Zusammenseins wieder zu Bewusstsein: das gemeinschaftliche Bierbrauen, das nun seinen Abschluss findet. Die Hefe wird angerührt und in den bei diesen Temperaturen schnell abgekühlten Sud gekippt.

Fertig ist das selbstgebraute Bier dann um 18 Uhr 04! Ein Wunder, das der uns allen geläufige Autor Alltag scheinbar mühelos niederschrieb an diesem kalten Tag im Dezember 2014.

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Zum Schluss, nach einer Verneigung vor allen erdenklichen Formen scheinbar nutzloser Zusammenkunst und -kunft, einer weiteren vor der mehr als souveränen Leiterin dieses zweckgebundenen Rumhängens Jana Erlenkamp, hier das Rezept vom Dortmunder Schwarzbräu von derselbigen:

Zutaten für 27-28 Liter

Malz
5,5 kg Malz
0,65 kg Dortmunder Malz Typ I
0,21 kg Röstmalz Typ II

Hopfen
Bitterhopfen 15%
12 gr Northern Brewer
18 gr Tettnanger 4,4 % Ako
12 gr Tettnanger MA Hopfen

Hefe
11,5 gr Hefe W3470

Wasser
25 l Hauptguss
15 l Nachguss

Dank an Brauturm e.V., Machbarschaft Borsig11 e.V. und Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft

Fotos: Frank Bölter

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