Der Fotograf Yves Gellie dokumentiert in seinem Fotobuch „Human Version“ die Labore dieser Welt, in denen humanoide Roboter entstehen. Der Mensch arbeitet dort daran, ein Wesen nach seinem Ebenbild zu schaffen. Während des Artist Talks bei „Welt im Umbruch“ zeigt sich, welche hoch komplexen Themen über das Medium Foto und Fotobuch transportiert werden können.
Die Ähnlichkeiten sind unverkennbar: Beine, Arme, ein Rumpf, ein Kopf mit einem Gesicht, Augen, Mund. Oft sogar noch eine Nase. Aber man merkt beim Betrachten der Fotos von Yves Gellie, dass es eine Nase gar nicht mehr braucht, um einen menschlichen Eindruck der Roboter zu bekommen, die aus den Fotografien den Blick zu erwidern scheinen.
Zum Verwechseln ähnlich
Ein Foto zeigt einen solchen Roboter – mit Nase! – gelassen auf einem Schreibtisch sitzend. Inmitten eines chaotischen Labors. Er hängt an zwei Bändern und scheint zu lächeln, obwohl er nackt ist. Knochen, Gelenke, Innereien und Adern sind zu sehen. Trotzdem erweckt er den Eindruck, als ob er jede Sekunde zum Leben erweckt werden würde und aufspringen könnte. Allein seine Form scheint unser Gehirn zu zwingen, ihm menschliche Eigenschaften zuzuschreiben. Warum, fragt Gellie, bauen wir Roboter in menschlicher Gestalt?
Ein anderes Foto unterstreicht die Frage des Fotografen. Es zeigt zwei Gestalten nebeneinander auf Stühlen. Auf den ersten, zweiten und dritten Blick gleichen sie sich wie eineiige Zwillinge. Ein Roboter sitzt neben seinem Erbauer. Gesichtsausdruck, Haare, Sitzhaltung, Kleidung – alles ist eins zu eins kopiert. Aber wer von beiden ist der Mensch, wer der Roboter?
Roboter ersetzt Mensch
Neben seinem Fotobuch hat Yves Gellie auch Videos mitgebracht, die er gemeinsam mit seinem Kollegen Maxime Jacobs bei seinen Arbeiten zum Thema produziert hat. Sie zeigen Orte, an denen humanoide Roboter schon heute eingesetzt werden.
Der erste Film zeigt ein Pflegeheim für Demenzkranke. Ein kleiner Roboter spricht mit den Patientinnen und Patienten und macht Bewegungsübungen mit Ihnen. Der zweite Film berichtet von einem Jungen, der über viele Wochen im Krankenhaus bleiben muss. Damit er die Schule nicht verpasst und weiter Kontakt zu seinen Klassenkameraden haben kann, geht ein Roboter für ihn in den Unterricht. Der Junge ist per Videokonferenz über einen Monitor am Kopf des Roboters zum Lernen und Spielen anwesend.
Beide Filme zeigen, wie humanoide Roboter Aufgaben von Menschen übernehmen, zu denen diese nicht in der Lage sind, z.B. selbst in die Schule zu gehen. Der Pflegeroboter des ersten Films kann in Zukunft vielleicht nicht nur bei Pflegenotstand aushelfen. Die Patientinnen und Patienten scheinen oft auf den Roboter offener zu reagieren als auf einen menschlichen Besuch. Das Duisburger Publikum scheint überrascht. Ein Roboter, der einfacher eine Beziehung zu einem Menschen aufbauen kann als ein anderer Mensch?
Die Diskussion mit dem Publikum zeigte ganz schnell, dass die Entwicklung humanoider Roboter kein technischer Fortschritt ist, der in einem luftleeren Raum geschieht. Sofort werden künstliche Intelligenz, Virtual und Augmented Reality und kybernetische Organismen genannt, die dieselben philosophischen und gesellschaftlichen Fragen berühren wie der humanoide Roboter.
Künstliche Intelligenz im humanoiden Körper
Gibt es denn wirklich einen qualitativen Unterschied zwischen dem Pflegeroboter aus dem Film und Wolfgang von Kempelens bereits 1769 produzierten „Schachtürken“*, fragt ein Teilnehmer. Der Roboter tue auch nur, was ihm seine Programmierung befiehlt. Indirekt werde er also genauso ferngesteuert wie der Roboter, den für den kranken Jungen in die Schule geht. Es gebe eine Grenze zur KI, die noch nicht überschritten sei.
Wie nahe wir allerdings dieser Grenze schon zu sein scheinen, zeigen nicht nur die Berichte über Computer, die Großmeister in dem schachähnlichen Brettspiel Go besiegen, sondern auch Experimente, in denen Computer beim Handeln bluffen, obwohl dies nicht Teil ihrer Programmierung war.
Wie eine Welt aussehen kann, in der die Menschen diese Grenzen überschritten haben, zeigen uns Asimov, Dick und Co. Ein Teilnehmer nennt die Asimovschen Robotergesetze, die sicherstellen sollen, dass ein Roboter nicht die Hand gegen seinen Erbauer erhebt. In den bekannten Science-Fiction-Geschichten passiert das ja nur allzu oft. Und auch hier zeigt Yves Gellie, wie nah sich Wirklichkeit und Fiktion bereits gekommen sind.
Fiktion und Realität: Das Fotobuch als Gesprächspartner
In einer Installation im Stadtraum hat er Plakate mit Fragen bedruckt, die sich Robotiker und Informatiker heute im Rahmen ihrer Arbeit stellen. Und da geht es nicht nur um Regeln für Roboter. Haben sie vielleicht auch Rechte – vergleichbar mit Menschenrechten oder vergleichbar mit den Rechten von Tieren? Kann ein Roboter mit einem anderen Roboter befreundet sein? Sind Roboter unsere Sklaven? Dürfen Roboter entscheiden, ob und wann sie töten? Würde ein Mensch sein Leben für einen Roboter riskieren?
Gerade bei der letzten Frage scheint den meisten Zuhörerinnen und Zuhörern ein klares „Nein“ auf der Zunge zu liegen. Doch Gellie erklärt, dass auch dieses Szenario schon Realität ist. Soldaten haben im Einsatz bereits ihr Leben riskiert bei dem Versuch, einen Bombenentschärfer-Roboter zu retten. Die Soldaten hatten eine entsprechend tiefe Bindung zur Maschine aufgebaut. Als Resultat wurden die nächsten Bombenentschärfer hässlicher gebaut, um ihnen so viel Menschliches und Freundliches zu nehmen, wie möglich.
Die sachlichen Fotos im dokumentarischen Stil von Yves Gellie vermögen es, bei Ihren Betrachterinnen und Betrachtern all diese Fragen und Assoziationen auszulösen. Was ist noch Fiktion, was schon Wirklichkeit? Was ist dabei gut und erstrebenswert, was bedrohlich? Und was sagen die Entwicklung von humanoiden Roboter, Künstlicher Intelligenz und Virtuellen Welten über den Menschen und unsere Gesellschaft aus? Die Antworten liefert Gellie nicht mit, aber er beginnt den Dialog.
Human Version
von Yves Gellie
„Die Zukunft ist jetzt“ denkt man vielleicht beim Ansehen dieses Fotobuches des französischen Fotografen Yves Gellie. Er besuchte weltweit die wissenschaftlichen Labore zur Entwicklung sogenannter „humanoider Roboter“ und Androiden. Dies sind Roboter, die Menschen nachempfunden sind und in den unterschiedlichsten Bereichen vom Militär bis zum Haushalt eingesetzt werden. Während seiner Recherchen wird ihm klar: die Roboter-Technik ist längst nicht mehr die größte Herausforderung, sondern die ethischen und moralischen Fragen, die sich aus einem Leben mit Robotern ergeben. Eine davon ist: Haben Roboter Rechte?
*Schachtürke oder kurz Türke ist die umgangssprachliche Bezeichnung für einen vorgeblichen Schachroboter, der 1769 von dem österreichisch-ungarischen Hofbeamten und Mechaniker Wolfgang von Kempelen konstruiert und gebaut wurde. Der Erbauer ließ bei den Zuschauern den Eindruck entstehen, dass dieses Gerät selbständig Schach spielte. Tatsächlich war darin aber ein menschlicher Schachspieler versteckt, der es bediente.
Quelle: Wikipedia