Zur Feier des 25-jährigen Jubiläums der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft hielt Dr. Karl-Heinz Imhäuser, Vorstand der Carl Richard Montag Förderstiftung, einen Vortrag über soziale Innovationen und wie partizipative Kunst einen Beitrag dazu leisten kann.
„Ich möchte mit meinen Ausführungen anknüpfen an das im Raum befindliche Thema Diamanten. Diamanten können, wie Sie vielleicht wissen, künstlich aus Kohlenstoff hergestellt werden. Dabei ahmen Pressen so groß wie ganze Einfamilienhäuser bei 1.500 Grad Celsius den Vorgang nach, mit dem die Natur Diamanten formt. Mit viel Druck und wenig Geräuschen wird Kohlenstoff zum begehrten Edelstein.
Ich möchte Ihnen in 20 Minuten einen kleinen Argumentationsdiamanten herstellen, in dem ich zunächst das Material aufbereite, aus dem dieser Argumentationsdiamant besteht. Am Schluss werde ich das alles in einer Conclusio zusammenpressen, so dass zunächst in der Kürze der Zeit eher ein Roh- denn ein geschliffener Diamant entsteht, der aber voraussichtlich seinem Anspruch entsprechend hart genug sein dürfte, um für den Diskurs des heutigen Abends seine Wirkung zu tun. Keine Sorge, es wird keine haushohe Presse eingesetzt und auch kein Temperaturbeschleuniger.
Beginnen wir mit dem ersten Bestandteil des Argumentationsdiamanten: Da geht es um das Kerngeschäft der Stiftung mit Namen Kunst und Gesellschaft, die mit ihren Aktivitäten, das heißt konkret durch ihr Handeln, zu so etwas wie sozialer Innovation beitragen will, kann, oder das satzungsgemäß auch soll.
Ich zitiere aus einer neueren sozialwissenschaftlichen Veröffentlichung mit dem Titel „Soziale Innovation im Fokus“: Handeln, heißt es da, „ist immer schon mit der Fähigkeit ausgestattet, auf die soziale Praxis einzuwirken. Die relative ‚Offenheit‘ der Praxis aufgrund der Überlagerung unterschiedlicher Wissensordnungen ermöglicht eine Transformation von Praxismustern im Sinne einer sozialen Innovation.“[1] So weit so gut, aber wie genau passiert diese Transformation aus der „Überlagerung unterschiedlicher Wissensordnungen“?
Die zentralen Fragen einer Transformation von Praxismustern im Sinne einer sozialen Innovation beziehen sich laut dieser Publikation auf die notwendigen institutionellen Rahmenbedingungen für soziale Innovationen (fett unterstrichen und damit ein Merkposten auch für Sie, für den weiteren Gedankengang: Es wird um die notwendigen institutionellen Rahmenbedingungen für soziale Innovationen gehen müssen).
Weiterhin gilt es, die konkreten Prozesse, wie soziale Innovationen entwickelt, getestet, verbreitet, transformiert und institutionalisiert werden, genauer in den Blick zu nehmen. Innovation ganz generell, und damit auch soziale Innovationen, sind immer nur vorläufiges Ergebnis vielschichtiger sozioökonomischer Aktivitäten. Bei sozialen Innovationen kommen nicht, wie bei technischen Innovationen, Wissenschaftler und Ingenieure in den Blickpunkt. Sondern es kommt nunmehr „die Person des Vermittlers, des Interpreten in den Blick, dessen neue und bislang wenig kodifizierte Aufgabe darin bestehen müsste, die verschiedenen Akteure des Wandels innerhalb einer Gesellschaft miteinander in Beziehung zu bringen.“[2]
Fragt sich nun: Wer sind die Akteure des Wandels innerhalb einer Gesellschaft, die durch den Vermittler miteinander in Beziehung zu bringen wären? Hier möchte ich als Zeugen Peter Senge, den Erfinder der sozialen Innovation namens „Lernende Organisation“ aufrufen. Er gilt als einer der einflussreichsten Management-Vordenker. Dieser Peter Senge schreibt in einem seiner neueren Werke, wer seines Erachtens Anführer des Wandels sind:
Er ist der Meinung, dass es „sich schwer vorhersagen lässt, welche Menschen sich zu Anführern entwickeln. … Häufig sind es aufgeschlossene Pragmatiker, Menschen, denen die Zukunft am Herzen liegt, die jedoch mit Misstrauen auf schnelle Lösungen, gefühlsbetonte Wundermittel oder oberflächliche Antworten für komplexe Probleme reagieren. … gemäßigt durch Bescheidenheit, was die Veränderungen betrifft, die ein Einzelner bewirken kann. … Dazu gehören Personen, die eine lange akademische Ausbildung absolviert haben, und solche, die durch die Schule des Lebens gegangen sind. … Sie sind einfach ganz normale Menschen … Sie haben einen Blick für die größeren Systeme, in denen sie arbeiten. Sie fördern Beziehungen und bauen kreative Teams und Netzwerke auf. Sie haben außergewöhnliche Ziele, aber sie nehmen sich nicht selbst als allzu wichtig. Und sie verfügen sowohl über eine ‚hohe organisationale Intelligenz‘ als auch über hohe emotionale und kognitive Intelligenz: Sie haben ein Talent dafür, die Themen aufzugreifen, die den Menschen in einer Organisation am wichtigsten sind, und die unterschwellige kollektive Vorstellungskraft und Energie freizusetzen, die in jedem Einzelnen und in den zwischenmenschlichen Beziehungen schlummern.“ [3]
Nehmen wir nun an, dass eine Stiftung wie die Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft und insbesondere die für sie verantwortlich Handelnden zu eben dieser Akteursgruppe solcher Anführer des Wandels und der sozialen Innovationen gehören! Und genau deshalb auch die oben beschriebene Rolle des Vermittlers einnehmen kann, der die Akteure des Wandels innerhalb einer Gesellschaft in und mit ihren partizipativen Projekten aufspürt und miteinander in Beziehung bringt. Ich finde, es lohnt sich, das so zu denken. Weil ich sie in dieser Beschreibung gut verorten kann. Insbesondere da, wo sie, wie beispielsweise im Projekt Mitmachstadt in Düren, auf eine Institution und deren Umfeld einwirken, weil sie mit ihren spezifischen Mitteln der Kunst fest im Auge hat, Wandel und soziale Innovation anzustoßen.
Warum sind soziale Innovationen vermutlich das entscheidende Handlungsmoment im 21. Jahrhundert, um die ökologischen und ökonomischen katastrophalen Folgen unseres vor allem auf technischen Innovationen fußenden Fortschrittsmodells zu bewältigen? Prof. Uwe Schneidewind, Leiter des Klimainstituts in Wuppertal, beschreibt das in seinem Buch „Transformative Wissenschaft“ so: „Viele der kommenden gesellschaftlichen Herausforderungen sind sozialer und institutioneller und weniger technologischer Natur. Sie sind zunehmend auf soziale denn alleine auf technologische Innovationen angewiesen.“[4]
Ich fasse zusammen, was im ersten Schritt an Material zusammengetragen wurde: Die Bewältigung der Herausforderung für die großen Themen unseres 21. Jahrhunderts sind primär und unmittelbar sozialer und institutioneller Natur und damit angewiesen auf soziale Innovationen.
Ich komme damit zum zweiten Bestandteil meines Argumentationsdiamanten.
Hierzu finde ich Material beim großen amerikanischen Organisationstheoretiker und Professor für Management und politische Wissenschaften, James G. March. Er gilt als einer der Großen seines Fachs und wird gerade in Deutschland wieder einmal neu entdeckt. Ich möchte zwei Konzepte vorstellen, die er in den Begriffen „Slack“ und „Foolishness“, zu Deutsch „Schlupf“ und „Torheit“, verdichtet hat.
Bekannt ist March für die humorvolle und wenig lautstark vorgetragene, aber wohl deshalb vielleicht umso wuchtiger daherkommende, komplette Zerlegung des zweckrationalen Modells von Organisationen. Es besagt in aller gebotenen Kürze nicht weniger, als dass die Idee, dass Organisationen Zwecken folgend rational handeln, schlicht Unsinn ist. Rationalität ist für ihn kein Konzept, um das Handeln von Organisationen auch nur annähernd angemessen verstehen zu können. Das Gegenteil von rationalem Handeln sei das, was man an allen Ecken und Enden in Organisationen finde, wenn man genauer hinschaut.
March führt daher zwei Konzepte ein, um unter anderem zu erklären, wie ohne Rationalität als Grundkonstante organisationalen Handelns dennoch nicht nur Chaos, sondern immer wieder Neues entstehen kann.
Das erste Konzept findet sich verdichtet im Begriff des „Slacks“. Es ist ein schwierig ins Deutsche zu übertragender, vielschichtig-changierender Begriff. Bei March wird er oft mit „Schlupf“ übersetzt. Schlupf ist im Deutschen verbunden mit schlüpfen, wie beispielsweise ersichtlich bei der Ableitung „Schlüpfer“. Die Übersetzer haben versucht, solcherart Assoziationen zu vermeiden, in dem sie Schlupf konnotieren mit der Anbindung an die Mechanik wie z. B. den durchdrehenden Reifen auf glitschigen Untergrund.
Ich bin der Sache weiter nachgegangen und habe zwei Übersetzungsangebote gefunden, die mir für die Sache zielführender erscheinen. Die erste Übersetzung, mit der ich arbeiten möchte, übersetzt „Slack“ mit Ressourcenüberschuss. Der Überschusszustand kann sich auf unterschiedliche Ressourcenarten beziehen, wie Finanzen, Investitionsgüter, Personen, Informationen, Know-how etc. Der Nutzen von „Slack“ liegt nach Erkenntnissen der Organisationstheorie unter anderem darin, dass für Krisenfälle Puffer vorhanden sind, die dann angezapft werden können. Oder zugespitzt – wie es zu diesem Thema kürzlich in der FAZ zusammengefasst hieß: „Nicht alles, was überschüssig ist, ist auch überflüssig – und nicht alles, was „Slack“ ist, muss weg.“ [5] Wo wir – Klammer auf, assoziativ gar nicht weit weg sind vom Bonmot zum Beuysschen Fettfleck und der Frage: Ist das Kunst oder kann das weg, Klammer zu.
Nehmen wir Slack als Ressourcenüberschuss, dann liest sich March wie folgt: Slack ist eine wesentliche Komponente für die Fähigkeiten von Organisationen und Institutionen, Innovation – mithin Neues – hervorbringen zu können. Und wie entsteht nun dieser Slack, dieser Ressourcenüberschuss? Er entsteht nach March, und das interessiert mich besonders bezogen auf personellen Ressourcenüberschuss, durch die Beschäftigung von überqualifizierten Personen, durch einen quantitativen Personalüberhang (Mehrfachbesetzungen) und/oder durch hochmotivierte, z. T. hochbezahlte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Slack ist nach March auch das Ergebnis des Erfolgs organisationalen Handelns. Weil der Ressourcenabbau nicht so schnell nachziehen kann, wie die Ressourcen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern freigesetzt werden können, wenn etwas im Unternehmen nach zeit- und ressourcenintensiver Innovationsarbeit erfolgreich zum Abschluss gekommen ist. Weil eben in aller Regel nicht sofort neue Aufgaben gleicher Intensität eingespielt werden können. Organisationstheoretiker wie March und andere gehen daher davon aus, dass in jeder Organisation zu jeder Zeit ein gewisses Maß an Slack vorhanden ist.
Slack ist für March eine begünstigende Bedingung für die Erzeugung von Neuem in Organisationen. Denn ungebunden Ressourcen, so March weiter, führen zu einem Nachlassen der Kontrolle, was wiederum das Experimentieren fördert und der frühen Sterblichkeit von Ideen entgegenwirkt.[6]
Zum letzten Punkt möchte ich den Bielefelder Professor für Soziologie und praktischen Organisationsberater, Stefan Kühl, zu Wort kommen lassen. Er übersetzt konsequent den Begriff Slack mit „Fettpolster“. Er schreibt: „Am deutlichsten wird dieses Konzept im Gedanken des ‚Slacks‘. Organisationen nehmen eine gewisse organisatorische Achtlosigkeit in Kauf, hoffend, dass sie dadurch Reserven für den Fall haben, dass plötzlich neue Anforderungen an sie herangetragen werden. Organisationen legen sich Fettpolster zu, lassen Redundanzen in ihren Prozessen zu, alles in der Hoffnung, dass die Mitarbeiter diese Ressourcen für Innovationen, Flexibilität und Wandel nutzen. Anders ausgedrückt: Organisationen riskieren bewusst eine „schlampige“ Gestaltung von Arbeits- und Entscheidungsprozessen, um dadurch über Möglichkeiten zu verfügen, mit zukünftigen Problemen zurechtzukommen. Es ist, als ob man zur Ermöglichung von Innovation und Wandel Organisationsgebäude mit langen Fluren, geräumigen, fehleranfälligen und langsamen Liften und nur wenigen, häufig verstopften Toiletten ausstattete – in der Hoffnung, dass die Mitarbeiter die so entstehenden Kontaktmöglichkeiten für kreative Prozesse nutzen.“ [7]
Slackpuffer sind also Ausdruck ungebundener Ressourcen, die die ausgedehnte Verfolgung neuer oder bisher unüberprüfter Ideen erleichtern, von denen sich ein kleiner Prozentsatz möglicherweise als außergewöhnlich gut erweist.
Damit sind wir beim zweiten Konzept von March, das sich im Begriff „Foolishness“ verdichtet. Er ist für ihn ebenfalls zur Erklärung des Entstehens von Neuem, mit anderen Worten von Innovation, brauchbar, die überlebt, sich festsetzen, etablieren kann. Foolishness ist viel eindeutiger ins Deutsche zu übersetzen mit dem Begriff der Torheit. Im Deutschen steht das Wort „Tor“, für „Dummkopf“ und verweist auf die weiter verwandten Wörter wie z. B. „Dusel“, „töricht, unwissend“, „unvernünftig“. Das zugrundeliegende Adjektiv bedeutet etwa „umnebelt, verwirrt“.[8]
March schlägt vor, sich an einer spielerischen Kinder-Logik zu orientieren und der allgegenwärtigen Technologie der Vernunft eine Technologie der Torheit an die Seite zu stellen (das heißt nicht diese zu ersetzen, sondern sie um dieses Moment zu ergänzen!): „Individuen und Organisationen müssen Wege finden, um Dinge zu tun, für die sie keine guten Gründe haben.“[9] Er plädiert für eine „Technologie der Torheit“ im Management. Diese läuft darauf hinaus, in der Organisation punktuell (nicht generell!) „Unvernunft“ walten zu lassen. Die Empfehlung ist, die Orientierung an der Zweckrationalität aufzugeben und in der Organisation Raum für Experimente, Erprobungen und Explorationen zu schaffen. Diese Verspieltheit – „Playfullness“ – widerspricht allen Vorstellungen von Zweckrationalität, aber sie kann zu Innovationen führen, die sich von einem Management gar nicht planen lassen.[10]
Um zu zeigen, dass solches Gedankengut tagesaktuell ist, möchte ich eine Autorin des Handelsblattes von vorgestern zum Thema „Innovationen demokratisieren“ zitieren:
„In diesem Zusammenhang lohnt es sich, einen Blick auf die Funktionsweise eines richtig guten Spielplatzes zu werfen. Der Spielplatz ist der erste Ort, an dem wir unsere Grenzen testen, sozialisieren, lernen, kollaborativ-kreativ zu sein, Risiken einzugehen und zu experimentieren. Man muss sich etwas trauen können, es muss ein wenig gefährlich sein, aber man sollte immer wieder die Möglichkeit haben herunterzuklettern, wenn es einem zu heikel wird. All das sind erstrebenswerte Eigenschaften einer gesunden und innovativen Organisation. Doch leider fehlt es den meisten Unternehmen an den menschlichen Plattformen, um diese Eigenschaften zu trainieren und auszubauen.“[11]
Der schon genannte Marchianer Stefan Kühl schreibt: „Da ein allzu striktes Beharren auf Zweck, Konsistenz und Rationalität die Fähigkeit einschränkt, neue Ziele und Zwecke zu (er)finden, neue Märkte zu erobern oder auch innovative Produktionswege zu beschreiten, sind ergänzende, scheinbar törichte Verhaltensweisen unbedingt zuzulassen und zu befördern.“[12]
Kommen wir nun zur Conclusio – also zum Zusammenpressen des vorgelegten Materials zur Erzeugung eines Diamanten, um mit ihm den heutigen Abend des Gemeinschaftsraums aus Anlass des 25-jährigen Bestehens der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft zu schmücken. Ist es nicht ein verführerischer Gedanke zu überlegen, ob nicht genau diese Konzepte des Fettpolsters und der Torheit erhellend sind und eine wunderbare Folie darstellen für die Beschreibung der Absicht und Wirkung partizipativer Kunstprojekte, die den Anspruch haben, soziale Innovation durch ihre Impulse mit anzustoßen?
Ich meine, dass dies eine interessante Blickrichtung auf solche Projekte ist, weil doch genau eine Kunststiftung mit ihren einsetzbaren finanziellen Ressourcen aus einer breiteren gesellschaftlichen Perspektive einen Slack, einen Ressourcenüberschuss, ein Fettpolster darstellt, den die Gesellschaft sich selbst durch steuerlich freigestellte Unternehmensgewinne zur Verfügung stellt. Dieses Fettpolster ermöglicht wiederum, einen einsetzbaren personellen Ressourcenüberschuss in und für Projekte mit Partnern und deren Organisationen aufzubauen, die diese ohne die Kooperation nicht zur Verfügung hätten.
Das heißt, die Stiftung als gesellschaftlich erlaubtes und gewolltes Fettpolster, als Ressourcenpuffer, nutzt diesen, in dem sie da, wo sie dazu kommt, den Slack anderer erhöht. Wenn dann noch diese dazukommenden personellen Ressourcen der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft exzellente Menschen in ihrem Fach sind, erhöht das noch einmal den Umfang des Fettpolsters. Und dieses üppige Polster erleichtert dann mit hoher Wahrscheinlichkeit die ausgedehnte Verfolgung bisher unüberprüfter Ideen in partizipativen Kunstprojekten. Sind dann noch in der Umsetzung dieser Projekte genügend Momente von Torheit enthalten, konzeptionell vorgesehen, also Menschen dabei, die über solcherart Verspieltheit, Naivität, Ungezwungenheit, Angstfreiheit vor Offenheit und Ungebundenheit, mit anderen Worten der Unabhängigkeit in der Inanspruchnahme von Torheit verfügen, führt dieses, Hand in Hand mit dem durch den Slack verbundenen Nachlassen der Kontrolle, zur Erleichterung und Förderung von Experimentieren beim Hervorbringen sozialer Innovationen.
Nachdem wir am Anfang geklärt haben, welchen Bedarf an sozialen Innovationen unsere Gegenwart aufweist, kann zu den Aspekten ein weiterer Gedanke damit zusammengepresst werden: Nämlich, dass es die Aufgabe einer Stiftung wie der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft sein könnte, die oben beschriebenen Akteure des Wandels innerhalb einer Gesellschaft durch ihre partizipativen Kunstprojekte als vermittelndes Agens miteinander in Beziehung zu bringen. Es ist meines Erachtens zwingend, es in dieser klaren Argumentationsfigur zu denken. Das heißt, sich dieses Zusammenspiels bewusst zu sein, von Fettpolstern, Torheit und der Fähigkeit, als Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft durch partizipative Kunstprojekte Akteure des Wandels für das Anstoßen sozialer Innovationen zusammenzubringen.
Ich hoffe, das bis hierher Dargestellte ist für Sie anregend genug, in der ein oder anderen Weise vertiefend diesen Gedanken nachzugehen, die hier von einem Kunstdiskurs-Disziplinfremden vorgetragen wurden. Und dieses im Argumentationsdiamanten verdichtet zusammengepresste Material zu würdigen, als interessante Aspekte aus den Perspektiven anderer Disziplinen, um das Potenzial einer Stiftung wie der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft zu beleuchten.
Ich möchte die bisherigen Argumentationsspuren heute Abend mit einer kleinen Geschichte abschließen. Gute Geschichten sind ja wie kleine geschliffene Diamanten, die mit ihrem Funkeln die Gegenwart kaleidoskopisch-vielfältig beleuchten. Also zum Abschluss ein kleiner, schon fertig geschliffener Diamant. Eine Geschichte, die einen weiteren Aspekt offenbart, mit dem man das Wirken einer Kunststiftung beleuchten kann und die den Kreis der Begriffe aus dem Titel meines Vortrags schließt:
Partizipative Kunst als Krücke oder: Das 18. Kamel: „Ein Mullah ritt auf seinem Kamel nach Medina; unterwegs sah er eine Herde von Kamelen; daneben standen drei junge Männer, die offenbar sehr traurig waren. ‚Was ist euch geschehen, Freunde? ’ fragte er, und der älteste antwortete: ‚Unser Vater ist gestorben. ’ ‚Allah möge ihn segnen. Das tut mir leid für euch. Aber er hat euch doch sicher etwas hinterlassen? ’ ‚Ja’, antwortete der junge Mann, ‚diese siebzehn Kamele. Das ist alles, was er hatte. ’ ‚Dann seid doch fröhlich! Was bedrückt Euch denn noch? ’ ‚Es ist nämlich so’, fuhr der älteste Bruder fort, ‚sein letzter Wille war, dass ich die Hälfte seines Besitzes bekomme, mein jüngerer Bruder ein Drittel und der Jüngste ein Neuntel. Wir haben schon alles versucht, um die Kamele aufzuteilen, aber es geht einfach nicht. ’ ‚Ist das alles, was euch bekümmert, meine Freunde? ’, fragte der Mullah. ‚Nun, dann nehmt für einen Augenblick mein Kamel, und lasst uns sehen, was passiert. ’ Von den achtzehn Kamelen bekam jetzt der älteste Bruder die Hälfte, also neun Kamele, neun blieben übrig. Der mittlere Bruder bekam ein Drittel der achtzehn Kamele, also sechs; jetzt waren noch drei übrig. Und weil der jüngste Bruder ein Neuntel der Kamele bekommen sollte, also zwei, blieb ein Kamel übrig. Es war das Kamel des Mullahs; er stieg wieder auf und ritt weiter und winkte den glücklichen Bauern zum Abschied lachend zu.“
Dazu mein abschließender Kommentar: So, wie das achtzehnte Kamel, so braucht man partizipative Projekte mit den spezifischen Mitteln der Kunst als eine Krücke zur Herstellung sozialer Innovationen, die man wegwirft, wenn diesbezüglich die Projekte dazu beigetragen haben, dass alles klar ist.[13]
Vielen Dank für Ihr zugewandtes, freundliches, aufmerksames Zuhören!“
[1] Jürgen Howaldt, Michael Schwarz: „Soziale Innovation“ im Fokus. Skizze eines gesellschaftstheoretisch inspirierten Forschungskonzepts. Bielefeld 2010.
[2] Vgl. ebd.
[3] Peter Senge et al.: Die notwendige Revolution. Wie Individuen und Organisationen zusammenarbeiten, um eine nachhaltige Welt zu schaffen. Heidelberg 2011.
[4] Uwe Schneidewind, Mandy Singer-Brodowski: Transformative Wissenschaft. Klimawandel im deutschen Wissenschafts- und Hochschulsystem. 2. Auflage. Marburg 2014.
[5] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/ueberkapazitaeten-im-staatswesen-koennen-wichtig-sein-14111181.html
[6] James March: Zwei Seiten der Erfahrung: Wie Organisationen intelligenter werden können. Heidelberg 2016.
[7] Stefan Kühl: „James March. Die Zerlegung des zweckrationalen Modells der Organisation“. 19.05.2017. Working Paper 2017.
[8] Duden – Das Herkunftswörterbuch. 4. Aufl. Mannheim 2007 [CD-ROM].
[9] James March: Zwei Seiten der Erfahrung: Wie Organisationen intelligenter werden können. Heidelberg 2016.
[10] Ebd.
[11] Allissia Iljaitsch: „Innovation demokratisieren“. In: Handelsblatt, 20. November 2017, Nr. 223, S. 29.
[12] Stefan Kühl: „James March. Die Zerlegung des zweckrationalen Modells der Organisation“. 19.05.2017. Working Paper 2017.
[13] Aus: Lynn Segal: Das 18. Kamel oder die Welt als Erfindung. München 1988.