Foto: Jule Osten

Wie so was von so was kommt – Summercamp 2017

am 04. Oktober 2017 | in Diskurse, Summercamp | von | mit 0 Kommentaren

Das Summer Camp der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft vernetzt Studierende aus den Bereichen Kunst, Kultur und Gesellschaft und soll bei der eigenen Ideenentwicklung unterstützen. Jule Osten war in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal dabei und berichtet im Folgenden über ihr Flohmarktprojekt „A_FLEA“, das sie im Rahmen ihrer Teilnahme an den letzten beiden Summer Camps präsentieren und darüber hinausgehend weiterentwickeln konnte.

28. Juli 2017

Ich sitze im Zug nach Köln. Bereite meine letzten Bilder für meinen Beitrag für das Summercamp 2017 vor. Meine Augen wenden sich vom Innenraum des ICE642 in Richtung der vorbeiziehenden Landschaft. Ein Jahr zuvor ging die Reise ebenfalls zum Summercamp. Damals allerdings mit dem Zielbahnhof Wuppertal. Genauer: Utopiastadt. Für ein Wochenende, das noch immer fest in meiner Erinnerung verankert ist. Doch erst im Blick zurück zeigt sich, wie sehr sich diese Zeit noch immer in Gegenwart und Zukunft ausdehnt.

 

31. Juli 2016

Summercamp 2016. Tag 3. Nach vielen interessanten Beiträgen und Begegnungen stehe ich nun auf der Seite der Vortragenden. Erzähle von meinem Projekt A_FLEA, das ich basierend auf meiner langen Erfahrung in der Flohmarktorganisation in einem Kunst- und Kulturverein in Bremen entwickelt habe. Ein Flohmarktkonzept, das ich in unterschiedlichen Städten aufführe und das seinen ganz eigenen Marktregeln folgt.

Die drei wichtigsten:
a) eine Standfläche wird gegen eine hausgemachte Essensspezialität vergeben (als visuelles Abbild der jeweiligen Landesküche und Beispiel von Bereicherung durch Diversität)
b) ausschließlich gebrauchte Gegenstände dürfen angeboten werden (da nur diese nostalgischen Wert und/oder persönliche Geschichten in sich tragen können)
c) keine vorherige Preisauszeichnung der Artikel (um einen Dialog zwischen Verkäufer und Interessenten zu implizieren)

Ich zeige Bilder vom Beginn meiner eher zufälligen Tätigkeit als Flohmarkorganisatorin in meiner Heimatstadt Bremen.

Foto: Jule Osten

Foto: Jule Osten

Die Märkte dort dienen mir als Art Labor, in dem ich mit Tageszeiten, Räumlichkeiten und Ideen spielen kann.

Foto: Jule Osten

Foto: Fraher

Ich klicke weiter durch meine Bildersammlung und es folgen Momentaufnahmen von einem sehr erfolgreichen Markt aus Detroit, USA im Spätsommer 2015

Foto: Jule Osten

Foto: Nolan Skipper La Framboise II

und einem sehr viel weniger erfolgreichen, aber sehr lehrreichen in Bernau bei Berlin vom Frühsommer 2016.

Foto: Michael Winkler

Foto: Michael Winkler

In der Aneinanderreihung der Bilder zeigen sich Unterschiede, Fiaskos und Erfolgserlebnisse. Die Passagen, die ich aus meiner Recherche über das Phänomen „Flohmarkt“ aus der soziologischen, historischen und philosophischen Perspektive verlese, helfen die Vielschichtigkeit zu verstehen.

 

Foto: Jule Osten

Foto: Jule Osten

Vor allem will ich zeigen, dass es um sehr weit mehr gehen kann, als um den reinen Warenaustausch. In der urbanen Soziologie spricht man in Bezug auf Flohmärkte z.B. auch von einem Raum der Kommunikation, oder dem eher seltenen Fall eines privat-öffentlichen Ortes. Für mich persönlich liegt das Potential in der Einzigartigkeit dieses temporären Ereignisses – dort wo so viele private Habseeligkeiten in einem öffentlichen Areal zu betrachten sind, wo sich Schichten der eigenen Erinnerung mit denen der Anderen überlagern. Wo Fachsimpeln auf Klönschnack trifft. Antikes auf Nippes. Eine Begegnungsstätte für Flaneure und Schnäppchenjäger. Alt und jung. Tratschtanten und Eigenbrötler.

Ein letztes Bild. Ende des Vortrag. Noch Fragen?

Nein, ich weiß noch nicht genau, wie die Reise weitergeht. Wohin und ob überhaupt. Die niedrigen Besucherzahlen in Bernau geben mir noch immer zu denken. Die Resonanz auf meinen Vortrag hier und heute hingegen ist sehr bestärkend. Wie dieses gesamte Wochenende. Selten bin ich umgeben von so vielen Menschen, die sich ähnlichen Fragen widmen und zu doch ganz unterschiedlichen Antworten kommen. Allerdings neigt sich auch diese Utopiablase schon bald dem Ende zu. Ein wenig Zeit bleibt mir nach dem Mittagessen allerdings noch und so geselle ich mich zu Lena Skrabs, Vienne Chan und Rebecca A. Layton und ihrer Aktion „Enjoy your new life“. Ohne wirklich zu wissen, worum es geht, setze ich mich an den kleinen Tisch und beobachte geschäftiges Getippe auf der anderen Seite. Rebecca schaut von ihrem Laptop auf und fragt nach meinem Namen und meiner Identität. Ich verharre in Gedanken. Stille. Nachdenken. Schon wieder tausend Möglichkeiten.

Foto: Teresa Grünhage

Ich lese die bereits gedruckten Visitenkarten, die vor mir auf dem Tisch ausgebreitet sind: Tine Hens, Tree Planter. Thomas Winkel, Zeitvertreiber. Man kann also alles sein und gleichzeitig auch wieder nichts. Ich hingegen bekenne mich: Jule Osten, Flohmarktorganisatorin. Während ich für viele diese Identität schon lange trage, ist mir mit diesem Wochenende bewusst geworden, wie sehr sie mir steht. Und schon schnellt aus dem Drucker meine neue alte Identität. Ganz klar und schlicht. In schwarz auf weiß.

 

9. August 2016

Pünktlich um drei klingelt es an meiner Tür. Ich höre bereits die Schritte im Treppenhaus und schon steht sie vor mir. Susanne Bosch. Als Künstlerin war sie zum Summercamp eingeladen und ich freue mich, dass die oft gut gemeinten „Auf Wiedersehen“, die man sich zum Abschied entgegen schallt, zumindest manchmal in Erfüllung gehen. Gemeinsam mit meinem Hund gehen wir nach einem kurzen Küchenschnack zu dritt wieder zurück in den öffentlichen Raum. Während wir so entlang des Maybachufers in Berlin Neu-Kölln mäandern, reden wir über dies. das. jenes. welches. Und da Susanne meinen Beitrag im Summercamp verpasst hatte, erzähle ich ihr auch noch kurz von dem Flohmarktprojekt. Es ist ein schöner Nachmittag. Entspannt und gleichzeitig spannend. Ohne bestimmtes Ziel, einfach ein schönes Wiedersehen.

 

19. Oktober 2016

Eine E-Mail in meinem Postfach von einem mir unbekannten Absender: Britt Jürgensen. Betreff: Anfrage zu A_FLEA. Nur flüchtig überfliege ich zunächst den Text „Susanne Bosch ist eine gute Kollegin und Freundin und hat Dich und Deine Arbeit vorgeschlagen für ein Projekt an dem ich schon länger arbeite. … PARKWERK ist ein Nachbarschaftsprojekt in Dinslaken Lohberg, entstanden in Kooperation mit Jeanne van Heesweijk, bei dem ich die künstlerische Leitung trage… in der nächsten Saison würden wir gerne einen PARKWERK Flohmarkt entwickeln und die Recherche und Umsetzung eines Prototyps als Kommission vergeben.… Hättest Du nächste Woche Zeit mit mir zu skypen?“

 

28. Juli 2017

Summercamp 2017. Freitag. Ankunft in Köln. Mit Neugier schaue ich in die unbekannten Gesichter und mit Freude in die mir Bekannten. 2016 war das Thema Umbruch. Und die Entscheidung meine künstlerische Praxis mit der Kuration von Flohmärkten zu vertiefen war sehr wohl ein persönlicher Umbruch. In diesem Jahr geht es im Summercamp um das Thema Arbeit und noch am ersten Abend bin ich mit meinem Beitrag an der Reihe: Et kütt wie et kütt. Eine Art Fortsetzungsbericht. Wieder klicke ich durch Fotos. Erzähle von meinen nächsten Schritten, die nach Wuppertal folgten. Von den Veränderungen im Konzept. Wie ich aus vermeintlichen Fehlern Rückschlüsse ziehen konnte. Wie ich nun jedem Ort neu begegnen kann ohne neu anfangen zu müssen. Inhaltlich und visuell. Und wie ich analog zu einem Theaterstück weiß, welche Rollen zu besetzen sind, welche Requisiten benötigt werden. Wie das Bühnenbild sich zusammen setzt und wie sich die bespielte Fläche aufteilt.

Foto: Jule Osten

Foto: Jule Osten

Mit 100% Freude berichte ich davon, wie ich nun beauftragt bin in Dinslaken auf einem ehemaligen Zechengelände einen ersten Flohmarkt gemeinsam mit einem Team des Parkwerk zu organisieren. Während des Flohmarkts vermittle ich mein Wissen und Erfahrung, so dass ein lokales Team den „Parkmarkt“ im Anschluss eigenständig fortführen kann. Ich berichte von der völlig in Vergessenheit geratenen Geschichte, wie es zum ersten Flohmarkt in Deutschland am 8.4.1967 durch Aktionskünstler Reinhard Schamuhn kam und welche Rolle 20 Liter Seine-Wasser und 2 Stewardessen dabei spielten.

Foto: Annette Schamuhn

Foto: Annette Schamuhn

Dass ich gerade von einem weiteren erfolgreichen Flohmarkt aus Detroit zurückgekehrt bin.

Foto: Jule Osten

Foto: Jule Osten

Dass es im August für einen Flohmarkt nach Dublin ging, den ich dort gemeinsam mit zwei Künstlern initiiere und im Frühjahr 2018 möglicherweise nach Kobe, Japan reise. Dass ich noch immer auf der Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten bin. Dass ich auf einige Fragen noch immer keine Antwort weiß, aber sie wahrscheinlich im Prozess finden kann

Foto: Michael Higgins

Foto: Michael Higgins

 

3.10.2017

Für diesen Tag war der Flohmarkt im Parkwerk in Dinslaken geplant.

Foto: Jule Osten

Foto: Jule Osten

Ohne das Summercamp2016 und Susanne Bosch hätte dieses Datum für mich eine andere Bedeutung. Denn wohl kaum hätte ich sonst die Bekanntschaft mit Britt Jürgensen und dem Team des Parkwerk gemacht und somit wiederum nicht die vielen „Sehenswürdigkeiten“, Besonderheiten und Kenntnisse der Menschen in Lohberg kennengelernt. Auch der Teckelklub Dinslaken würde an diesem Tag nicht zusammen kommen für eine Vorführung mit ihren geliebten Dackeln. Senazi würde wohlmöglich allein in seiner Werkstatt schrauben und nicht auf dem Gelände des Bergpark sein Wissen anbieten um Fahrräder, Mopeds und Rollatoren zu reparieren. Manch Dinslakener würde sich an diesem Tag sicherlich nur halb so schön fühlen, ohne die Möglichkeit zu einem Besuch in Mukaddes‘ Schönheitssalon. Die eingeladenen Musiker würden vielleicht wo anders zu hören sein. Die Schränke und Keller in den Wohnungen wären noch immer voll mit ungenutzten Dingen. Und vor allem würden sich viele Nachbarn, Freunde und Fremde nicht kennenlernen oder wiedersehen.
Ohne das Summercamp 2017 würde ich an diesem Tag nicht Aude Bertrand begrüßen können, die ich in diesem Jahr kennengelernt habe. Leider haben auch wir gegenseitig unsere Vorträge verpasst, da immer mehrere Angebote gleichzeitig stattfinden. Hätte ich gewusst, dass sie in ihrer Dissertation und Diskussion über das Parkwerk und Jeanne van Heesweijk reden wird, hätte ich mich sicherlich dazu gesellt. Aber manche Dinge weiß man vorher einfach nicht. Und dennoch, welch ein Zufall. Oder vielleicht auch nicht. Oder auch egal. Zeigt es doch aber vor allem, wie wichtig Wochenenden wie ein Summercamp sein können, damit unbekannte Verbindungen sichtbar werden und einzelne Punkte, Personen und Ereignisse sich zu einem Großen und Ganzen verbinden können.

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