Lange Zeit beschäftigte sich Boris Eldagsen mit der Serie "Poems", die noch "traditionell" rein als digitale Bildbearbeitung ohne Künstliche Intelligenz erstellt wurde. Foto: Klaus Kadel-Magin

Alles eine Frage von Relationen: Fragen zur Ausstellung von Boris Eldagsen „Zurück in die Zukunft“ – Retrospektive 1988-2023

am 04. April 2024 | in Allgemein, Relationen | von | mit 0 Kommentaren

Ohne die langjährig bestehende Beziehung zwischen dem Pirmasenser Künstler Klaus Kadel-Magin, der für uns im Sommer 2023 während des Projektes PS: Pflasterstein Paradies als Künstler und redaktioneller Begleiter tätig war, und dem international tätigen Fotografen Boris Eldagsen, hätte es nie das reich bebilderte Interview zwischen den beiden über Fotografie und KI in der ersten Ausgabe unserer Zeitung gegeben (PS: Pflasterstein Paradise [2023] (montag-stiftungen.de). Avisiert wurde hier auch schon die kommende Einzelausstellung von Boris Eldagsen, kuratiert vom Kunstverein Pirmasens e. V.­, in dessen Vorstand Klaus Kadel-Magin auch tätig ist.

Die nun bis zum 8. April laufende, als Retrospektive konzipierte Ausstellung im Forum Alte Post in Pirmasens birgt für interessierte Besuchende viele Überraschungen. Orientiert an verschiedenen biografisch wichtigen Zeiträumen eröffnen sich facettenreiche und unerwartete Einblicke in ein Feld von Relationen, in denen Boris Eldagsen die Komplexität der Verbindungen von Kunst und Leben sowohl im analogen wie digitalen Raum multimedial verschränkend sichtbar macht und nachhaltige Impulse liefert, die eigenen Sichtweisen zu überdenken.

Anlässlich des gemeinsamen Rundgangs durch die Ausstellung konnte ich Klaus-Kadel Magin (KKM) zur Genese, zum Konzept und zu den Wirkungen der Ausstellung zu befragen.

Eine noch analog produzierte Serie aus den 1990er Jahren von Boris Eldagsen. Foto: Klaus Kadel-Magin

RG: Wie kam es zu dem Ausstellungsanlass und der inhaltlich, formal und visuell überzeugenden Konzeption?

KKM: Der im vergangenen Jahr komplett neu gewählte Vorstand des Kunstvereins wollte als erste große Ausstellung des Vereins eine richtig zugkräftige Ausstellung mit einem Thema, das alle beschäftigt. Boris Eldagsen stand sowieso ganz oben auf der Liste meiner Wunschkandidaten. Die Alternative wären Grafiken von Picasso gewesen. Wir entschieden uns auch wegen der Diskussion um Künstliche Intelligenz (KI) für Boris Eldagsen. Und er sagte nach einem Tag Bedenkzeit gleich zu. Die Konzeption der Ausstellung geschah im engen Austausch mit dem Künstler, den Vorgaben der Stadt, die wir Punkt für Punkt erweitern konnten, um letztlich praktisch freie Hand zu haben. Bei ersten Gesprächen hieß es beispielsweise, dass Fototapeten gar nicht möglich seien. Jetzt sind fast 100 Quadratmeter Wand tapeziert. Die Art der Hängung hat Boris Eldagsen anhand der Grundrisse und eines Films durch die nackten Räume am Computer entwickelt. Danach haben wir anschließend tapeziert und gehängt. Das Ergebnis ist genau genommen ein eigenes Kunstwerk aus dem Zusammenspiel zwischen den einzelnen Elementen Foto, Tapeten, Video und Fahnen.

Kurz bevor die Arbeit mit der Künstlichen Intelligenz seine Aufmerksamkeit komplett beanspruchte, hat Boris Eldagsen noch viel mit Künstlern aus anderen Kontinenten über das Internet gearbeitet. Bei dieser Arbeit mit einem Künstler aus Bangladesh. Foto: Klaus Kadel-Magin

RG: Was verbindet dich mit Boris Eldagsen?

KKM: Ich lernte ihn 1987 bei der Ausstellung „Kunstprozesse“ in der damals noch unrenovierten Alten Post kennen. Die Räume waren noch genauso, wie sie von der Post in den 1970er Jahren verlassen wurden. Das Kunstseminar Metzingen hatte die Ausstellung organisiert, die damals für Pirmasenser Verhältnisse ganz neue Kunstformen zeigte und für viel Aufsehen sorgte. Aus den Workshops bei „Kunstprozesse“ folgte die Gründung des gleichnamigen Vereins in Pirmasens, der sich in einer früheren Schuhfabrik (was sonst in Pirmasens) Atelierräume anmietete. Die nutzte ich bis 2009 für meine Malerei und Boris Eldagsen bis zu seinem Studium in den 1990er Jahren. Wobei er immer wieder zurückkam und sich an Aktionen wie dem „Festival junger Kunst“ beteiligte.

In den ersten Jahren seiner künstlerischen Tätigkeit hat Boris Eldagsen viel gezeichnet und in Ermangelung von Modellen eben oft sich selbst. Foto: Klaus Kadel-Magin

RG: Warum wählt Boris Eldagsen als kuratorisches Konzept die Retrospektive?

KKM: Die Räume in der Alten Post sind sehr groß und bieten die einmalige Gelegenheit, zu zeigen, wo seine Kunst herkommt. Wie sich seine Ausdrucksformen entwickelt haben und dass er zwangsläufig als Künstler mit inszenierter Fotografie bei der Künstlichen Intelligenz landen musste. Wer in der Ausstellung die Anfänge mit Aufnahmen von Künstlerfreunden sieht und den späteren Verlauf, dem wird ganz klar, wieso er heute so arbeitet. Etwas anderes wird ganz deutlich in der Ausstellung. Boris Eldagsen und seine Kunst gibt es nicht getrennt von anderen Menschen. Die Arbeiten sind immer in Interaktion mit anderen entstanden.

Für diese Serie hat Boris Eldagsen aus einem Boot mit einer Digicam die Strandbesucher an einem Berliner See gefilmt. Die Personen sind so unscharf, dass es keine datenschutzrechtlichen Probleme gibt. Foto: Klaus Kadel-Magin

RG: Worin siehst du die Relationen zwischen den analogen Zeichnungen/Arbeiten und den späteren KI generierten Bildinhalten?

KKM: Die Atmosphäre, die von den Bildern ausgeht, ist typisch für Boris Eldagsen. Die Bilder ziehen den Blick des Betrachters in das Bild hinein. Was ihn dort erwartet, ist eine ambivalente Mischung. Vor allem ist es das Unbekannte, Neue und auch Beängstigende, das in allen Bildern zu finden ist. Seine Nachtfotos, die seit seinem Indienaufenthalt in den 1990er Jahren entstanden sind, ähneln in der Ästhetik Standbildern aus einem David-Lynch-Film. Würde David Lynch heute einen KI generierten Film drehen, würde dessen Ästhetik garantiert den Fotos von Boris Eldagsen ähneln.

Großen Raum nehmen in der Pirmasenser Ausstellung die Videoarbeiten ein, die Boris Eldagsen zusammen mit anderen Künstlern produzierte. Das Hintergrundfoto zeigt eine Performance, bei der die Besucher das Motiv nicht direkt sehen konnten. Erst auf der Kamera wurden die Linien sichtbar. Foto: Klaus Kadel-Magin

RG: The curator´s choice: was ist deine Lieblingsarbeit und warum?

KKM: Ganz klar die Poems und zwar im Zusammenspiel von einem groß auf Tapete aufgezogenen Poem mit vielen kleinen gerahmten Gedichten, die über die Tapete gehängt und aus ihr hinaus führen. Diese Serie lädt zum Träumen ein und macht genau das, was gute Kunst machen soll: Viele Fragen stellen.

Lange Zeit beschäftigte sich Boris Eldagsen mit der Serie „Poems“, die noch „traditionell“ rein als digitale Bildbearbeitung ohne Künstliche Intelligenz erstellt wurde. Foto: Klaus Kadel-Magin

RG: Zurück in die Zukunft oder – worin siehst du den Mehrwert der Ausstellung sowohl für den Künstler, wie für dich als Kurator und für die Kulturlandschaft in Pirmasens?

KKM: Für Boris Eldagsen war es klar die Möglichkeit, auszuprobieren wie eine Retrospektive von ihm funktionieren kann. Hier in Pirmasens wurde ihm der entsprechende Raum gegeben und die nötige Freiheit geschaffen. Wie 1987 als mit dem leeren Postgebäude einer Künstlergruppe der Raum für die Entfaltung gegeben wurde. Das entspricht einem Kunstkonzept von mir, das ich seit Jahren verfolge: Raum schafft Bewusstsein. Mit der Ausstellung hat Boris Eldagsen mit seiner Kunst eine neue Form von Bewusstsein schaffen können. Für mich als Kurator und Künstler konnte ich wieder etwas über Ausstellungskonzeptionen lernen. Die Idee einer großen Fototapete, aus der kleinere, gerahmte Bilder rausgehen, werde ich mit meinen Siebdrucken in einer der nächsten Ausstellungen umsetzen. Ich hatte schon länger nach einer Idee gesucht, wie ich meine Doppelbelichtungen von Bäumen mit den Siebdrucken kombinieren kann. Die habe ich jetzt gefunden.

Für die Kulturlandschaft in Pirmasens war es wichtig, zu sehen, dass ein hiesiger Künstler etwas leisten kann, das auch überregionale Zugkraft besitzt. Die Ausstellung spricht viele junge Menschen an, die weit über Rheinland-Pfalz hinaus anreisen, um sich die Kunst von Boris Eldagsen anzusehen. Die Ausstellung war auch zum richtigen Zeitpunkt in der Stadt. Aktuell wird diskutiert, ob es wirklich Sinn mach, innovative künstlerische Positionen und Projekte dem hiesigen Publikum anzubieten. Boris Eldagsen hat gezeigt, dass auch Kunst mit Anspruch in Pirmasens sehr gut funktionieren kann.

Eine der mit Künstlicher Intelligenz produzierten Arbeiten, bei der das Foto einer real existierenden Frau in das KI-Bild reingerechnet wurde. Foto: Klaus Kadel-Magin

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