Der letzte Container vor dem Transport. Im Sommer geht es dann in den Duisburger Innenhafen. Foto: Teresa Grünhage

Der Blick zurück nach vorn: Bemerkenswertes zum Kick-off eines mobilen Ausstellungsprojektes

am 03. April 2017 | in Perspektive Umbruch, Welt im Umbruch | von UND | mit 0 Kommentaren

Noch vor wenigen Tagen standen wir gemeinsam mit Duisburgerinnen und Duisburgern ins Gespräch vertieft zwischen zwei Schiffscontainern mitten auf einer Brachfläche im Herzen Duisburgs. Vom Ort des Geschehens zurück am Schreibtisch in Bonn freuen wir uns auf die nächsten Programmpunkte in Duisburg. Doch bevor es weitergeht: Ein kurzes Innehalten mit einem Blick zurück.

Dass der Start unseres Projektes in Duisburg zu unserer vollsten Zufriedenheit verlief, steht uns ins Gesicht geschrieben. Von Anwohnenden, Duisburgerinnen und Duisburgern gab es viele positive Rückmeldungen und die Ausstellung im Sommer wird bereits gespannt erwartet. Wie lassen sich die Dynamiken und Prozesse dieses partizipativen Kunstprojektes beschreiben, die wir in den zwei Wochen unseres Kick-offs in Duisburg erlebt haben? Haben wir unsere Ziele erreicht? Welche Steine haben wir ins Rollen gebracht? Wie soll es weitergehen?

In der 2016 erschienen Publikation „Über die Teilhabe in der Kunst – Zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ haben wir vier wichtige Koordinaten für das Gelingen von partizipativen Kunstprojekten aufgespürt und ihre qualitativen Eigenschaften benannt, um daraus Faktoren für zukünftige Projekte generieren zu können, die die Arbeit an und in ihnen für alle Beteiligten erleichtern können. Diese sollen im Folgenden eine Struktur für unseren ersten Rückblick auf das Erlebte bieten.

Ausgrabungen des ehemaligen Mercator Viertel. Foto: Ruth Gilberger

Die besondere Wahl des Ortes

Die Frage nach dem Ort ist für teilhabeorientierte künstlerische Prozesse und Projekte eine entscheidende. Unser Kick-off fand auf dem umbrüchigen Festivalplatz des ehemaligen Mercator Viertels mitten in der Innenstadt Duisburgs statt, historisch korrekt gesehen (und noch durch die Ausgrabungen sichtbar) aber an der Stadtmauer gelegen. Auf diesem Platz ist der Umbruch so evident sichtbar (und für viele Nachbarinnen und Nachbarn erinnerbar), dass er die ideale (Frei)Fläche bot für das Thema der diesjährigen Duisburger Akzente: „Umbrüche“. Dies war wiederum Anlass, unsererseits ein Experiment zu starten, das im Ausstellungskontext eher ungewöhnlich ist: nur einen Ausschnitt aus dem gesamten Projekt Welt im Umbruch zu zeigen, um für den erneuten Besuch im Sommer zu werben. Zugebenermaßen war diese Idee auch aus der Einsicht geboren, dass es wenig Sinn machen könnte, noch vor dem offiziellen Frühlingsbeginn ein Kunstprojekt im öffentlichen Raum zu starten, das von der Beteiligung der Gäste vor Ort lebt. Denn wer möchte sich bei acht Grad, Windstärke 6 und Dauerregen auf das Betrachten von Fotobüchern in ungeheizten Containern einlassen bzw. mit klammen Händen einen eigenen Katalog aus Bildern zusammenstellen? Ganz zu schweigen von einem Besuch des Café Courage, dem Kommunikationsherzen des Projektes, das zwar notfalls heizbar, aber dann doch sehr beengt sein würde. Höchstens eingefleischte Fotofans, weniger die Duisburger Bürgerinnen und Bürger, für die das Projekt doch gedacht war. Hundehalter sind hiervon ausgenommen. Dass das Wetter dann doch zunehmend frühlings- bis zauberhaft war (bis auf den schauderhaften Aufbau), war ein großes Glück und spielte uns in die Hände bzw. die Gäste in Scharen auf den Platz.

Foto: Christian Spieß

Der Faktor Zeit

Aber nicht nur die Witterungsbedingungen für Festivals kurz nach Karneval waren ausschlaggebend für die Entscheidung, das mobile Ausstellungsprojekt in Duisburg an mehreren Orten und über einen längeren Zeitraum stattfinden zu lassen. Die Erfahrungen aus Rostock Groß Klein, unserer ersten Station des Projektes im Oktober letzten Jahres ergaben, dass es jenseits der klassischen Kunst- und Kulturbesucher viele grundsätzlich interessierte Menschen gibt, denen es aber schwerfällt, sich intrinsisch motiviert auf den Weg zu einem Ausstellungsbesuch zu machen. Es fällt ihnen leichter, wenn sie einen Ansprechpartner haben, der sich den Bedürfnissen, Fragen und Ansprüchen der jeweiligen Gäste in spe widmet und vielleicht auch individuelle Regelungen zum Besuch treffen kann. Auch bei vielen Multiplikatoren in sozialen, kirchlichen oder kulturellen Einrichtungen geht der Weg nicht über eine E-Mail-Einladung zu einem künstlerischen Projekt, das ein nicht alltägliches Angebot macht, auch nicht über das pragmatische Format des offiziellen „Info-Cafés“ für Interessierte. Es braucht vielmehr Zeit, in den jeweiligen Einrichtungen die Schlüsselpersonen zu identifizieren und projektbedingt zu infizieren, damit sie dann ihre Gruppen motivieren können, sich individuell oder mit Begleitung zu dem Projekt zu begeben. Die Erfahrungen in Duisburg zeigten dies in aller Deutlichkeit, aber auch, dass es sich lohnt, diese „aufsuchende Kunstvermittlung“ vor allem im Vorlauf und in der Zwischenzeit dieses Projektes weiter auszubauen, um für die Veranstaltungszeit im Sommer dann genau die heterogene Zielgruppe zu erreichen, die wir uns für dieses Projekt wünschen.

Ein weiterer wichtiger Faktor Zeit zeigt sich auch auf formaler Ebene: Baugenehmigungen, Absprachen, das Aushandeln von Kooperationen, Raumanfragen und Veranstaltungslogistik braucht eine Vorlaufzeit mit Puffer für alle Unwägbarkeiten – und die richtigen Ansprechpartner vor Ort. Hier kamen uns vorhandene Kontakte zugute, die wieder aufgefrischt hoffentlich zu neuen Synergien führen können und wichtig und notwendig sind, um das Projekt im Innenhafen im Sommer gut realisieren zu können.

Ausstellungsrundgang. Foto: Ruth Gilberger

Aspekte der Kommunikation

Wie lässt sich die Idee des Projektes an potenziell Teilnehmende kommunizieren? Wie lassen sich Kommunikationsanlässe schaffen, die offen für alle Menschen sind, auch für diejenigen ohne künstlerische (ob theoretische oder praktische) Vorerfahrung? Ein wichtiger und grundlegender Aspekt war es für uns zunächst, Sichtbarkeit zu erzeugen und Gesprächsanlässe zu schaffen. Sich auf einem Platz mit hohem Diskussionspotenzial mit einem Kunstprojekt zu positionieren, scheint vielleicht auf dem ersten Blick gewagt. „Wird die Kunst nicht wieder einmal instrumentalisiert?“, wurden wir oft gefragt. Eine gute Grundlage für spannende Gespräche. Mit 15 großformatigen Fotografien auf Palettenkonstruktionen befestigt und zwei blauen Containern, waren wir nur schwer übersehbar auf einem Platz, zwischen Hügeln aus Bauschutt, Ausgrabungen des historischen Stadtkerns und großen Bannern der GEBAG, die für ihr neues Immobilienprojekt wirbt, dahinter das große Festivalzelt. Ärger über Lärmbelästigung, Frust über den Abriss der Schulgebäude, die einmal auf dem Platz standen, Kritik an den neuen Bauvorhaben – diese Dinge standen bei vielen Gesprächen zunächst im Vordergrund. Auch unsere Rolle an diesem Ort des Umbruchs. Wird Kunst genutzt um städtebauliche Entscheidungen am Bürger vorbei zu rechtfertigen? Fragen, die direkt in ein Gespräch zum Thema Umbruch und Perspektiven des Umbruchs münden und die durch die von uns gezeigten Fotografien bestärkt und in einen globalen Zusammenhang gebracht wurden. Sei es aus Perspektiven der Duisburger Umbrüche, die den Besucherinnen und Besuchern am Herz lagen oder auch aus den Perspektiven der gezeigten Fotografien, die stellvertretend für die Fotobücher standen, die im Sommer in der Ausstellung gezeigt werden: Gesprächsanlässe lagen viele auf der Hand und wurden zwischen den ausgestellten Fotografien auf dem Platz und im Café Courage miteinander geführt.

Teresa Grünhage zeigt Besuchern die Ausstellung. Foto: Ruth Gilberger

Unser Bildatlas, in dem aus jedem Fotobuch eine Auswahl an Bildern zu sehen ist, bot noch mehr Gesprächsstoff und regte viele Menschen dazu an, über die Rolle der Fotografie und des Fotobuches in der Gesellschaft und im Kontext des Themas Umbruch ins Gespräch zu kommen. Anwohnerinnen und Anwohner wurden von uns mit Briefen direkt eingeladen, uns zu besuchen, was auch viele nicht nur einmal taten. Auch der Einladung ein eigenes Foto zum Thema Umbruch mitzubringen folgten einige Besucherinnen und Besucher, so dass sich auf einer Wand im Werkstattcontainer weitere spannende Perspektiven auf das Thema ergaben und wieder neue Kommunikationsanlässe geschaffen wurden, die nicht mit dem Verschwinden der Fotos und Container von dem Platz zu Ende sein werden Vielmehr zeigt sich jetzt schon, das die „Beziehungsarbeit vor Ort“ eine anfängliche Neugier auf das Projekt weckte, was sich in konkrete Nachfragen nach weiteren Angeboten im Sommer zeigte. Die zum Teil sehr persönlichen Geschichten über Umbrüche, die die gesamte Bandbreite zwischen Umbruch und Aufbruch zeigten, konnten auch nur deshalb erzählt werden, weil das gesamte Team vor Ort bereit war, sich darauf einzulassen und ihnen einen Freiraum zu bieten, der Gestaltungsmöglichkeiten aufscheinen lässt.

Plakatierung in Duisburg. Foto: Katharina Nitz

Die ästhetische Dimension

Die Reaktionen auf das Setting des Projektes waren ebenso erstaunlich wie positiv: Die Realisation des Kick-offs war von Anfang an auf eine hohe visuelle ästhetische Stimulanz ausgelegt. Angefangen von der auffälligen großflächigen Plakatierung in ganz Duisburg bis hin zur künstlerischen Gestaltung des Café-Courage-Containers in Anlehnung an die ästhetische Sprache des Fotobuches Wilde Pigeon von Carolyn Drake hat das Projekt eine professionelle, spezifische und inspirierende Gesamtgestaltung, die durchweg allen Besuchenden augenfällig war. Die ausliegenden Programmhefte für das Projekt waren mit Ende des Kick-offs komplett ausgegeben, wobei viele die ebenso einfache wie animative Gestaltung hervorhoben (Teile des Heftes lassen sich als Foto-Poster herausfalten und sind zum Aufhängen gedacht).

Kongruent dazu gestaltete sich die räumliche Präsenz, die das Projekt durch die Container und die aufgestellten Bilder einnimmt – es schreibt sich in den Raum ein und reagiert gleichzeitig auf den Umraum, indem es ihn inszeniert. (Interessanterweise sowohl in Rostock wie in Duisburg mit Reminiszenzen an Zirkus jenseits des mobilen Konzeptes an sich.) Vorbeigehende, Autofahrer, Festivalbesucher, Besuchende des Projektes, zufällige Passanten jeden Alters wurden von der visuellen Prägnanz der Fotos angezogen, animiert und irritiert – die besten Voraussetzungen für eine ästhetische Erfahrung bestenfalls, für eine Reaktion auf jeden Fall.

Diese „visuelle Stimulanz“, im Projekt intendiert, hatte einen langen Vorlauf, galt es doch, aus der Unzahl von Fotobüchern diejenigen herauszusuchen, die stellvertretend für einen inhaltlichen Bereich und/oder eine künstlerische Position stehen sollten und dann noch ein Foto herauszusuchen, das stellvertretend für das Buch steht.

Die ästhetische Dimension des Fotobuches wird erst im Sommer in den drei Ausstellungscontainern sichtbar werden. Es gab allerdings unvermutet viele Anfragen, schon im Vorfeld die Bücher in die Hand zunehmen und anschauen zu können. Besonders im Vergleich wurde dann vielen Besuchenden deutlich, wie individuell und unterschiedlich die grafische und haptische Gestaltung eines künstlerischen Fotobuches sein kann und worin der Unterschied zu einem „herkömmlichen Fotobuch“ besteht.

Das ästhetische Gesamtkonzept im öffentlichen Raum auf hohem professionellen Niveau (hier durch die Installation der mobilen Ausstellungselemente umgesetzt)wird weiterhin Anliegen nicht nur dieses Projektes, sondern auch der zukünftigen Stiftungsarbeit allgemein sein.

Aufbruchstimmung nach dem Festival. Foto: Teresa Grünhage

Ausblick

Mit den beim Kick-off gemachten positiven Erfahrungen und inspiriert von Gesprächen mit Besucherinnen und Besuchern entwickeln wir nun weitere Programmpunkte und freuen uns auf den Sommer. Bis zum Highlight des Projektes, der großen Ausstellung der Fotobücher im Innenhafen, wird es weitere Möglichkeiten geben, sich mit dem Thema Welt im Umbruch und Fotobüchern zu beschäftigen. So werden in Duisburg Foto-Spaziergänge für Jugendliche und Erwachsene angeboten, bei denen in Begleitung eines Fotografen eigene Fotos gemacht werden können. Dabei entstehen vielleicht völlig neue Perspektiven auf Umbrüche in Duisburg oder es werden Orte neu entdeckt. Das Angebot „Hausbesuch Fotobuch“ bietet Gruppen und Einrichtungen die Möglichkeit schon vor der Ausstellungseröffnung ausgewählte Fotobücher kennenzulernen und ins Gespräch zu kommen. Bei diesem ca. 1 stündigen Format besuchen ab Mai Kunstvermittlerinnen Gruppen und Einrichtungen und bringen Bücher zum gewählten Thema mit. Alle Formate sind kostenfrei buchbar. Das gesamte Programm steht zum Download hier bereit.

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