Stimmen... Künstlerische Dokumentation: Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft.

Gestrandetes Abendland: Ein Wal stiftet Unruhe.

am 26. Oktober 2021 | in Allgemein, Perspektive Umbruch, Resonanzen, Wagnisse des Neuen | von | mit 0 Kommentaren

Leo Stöber war helfende Hand und „Whalewatcher“ bei den GreifsWALder Resonanzen. Er assistierte nicht nur im Projektzeitraum an den verschiedenen Aktionsorten, sondern fasste seine persönlichen Resonanzen auf das Projekt im Nachgang noch einmal zusammen.

Als ich im Juni zusagte, als helfende Hand die GreifsWALder Resonanzen zu unterstützen, rechnete ich nicht damit, im August Teil einer von Papst Franziskus iniziierten Verschwörung zu werden, die zum Ziel hatte, den Untergang des christlichen Abendlandes zu befeuern. Dazu später mehr.

Alles fing ganz unverfänglich an. Ein Wal solle im Dom aufgebaut werden und dafür brauche es tatkräftige Unterstützung. Viel mehr wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Ich wurde zwar bereits seit Wochen jeden Tag mit der Frage „Was macht der Wal im Dom?“ konfrontiert, die auf einem Plakat an einer Litfaßsäule vor meiner Haustür prangerte und omnipräsent in der restlichen Stadt die Aufmerksamkeit von Einheimischen und Touristinnen gleichermaßen zu erhaschen suchte. Eine Antwort auf diese Frage kannte ich jedoch noch nicht.
Wir trugen also die fünf Einzelteile des lebensgroßen Abdrucks eines in Südafrika gestrandeten Buckelwals auf dreißig Händen durch den Seiteneingang in den Greifswalder Dom. Dort verbrachten wir einige Zeit mit der Frage, in welcher Position der Wal am ehesten zur Geltung kommt. Letztlich lag der Wal etwas schräg, doch zentral platziert im Mittelschiff. Dort konnte er von Besucher
innen einmal gänzlich umrundet und begutachtet werden. Wenige Tage später begannen die GreifsWALder Resonanzen und ohne es vorher geplant zu haben, war ich plötzlich mittendrin.

 

Foto: Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft.

Vermutlich ist auch dieser Aspekt Teil des partizipativen Anspruchs der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft. Ich solle den anwesenden Besucher*innen im Dom als Ansprechpartner des Projektes dienen, sagte man mir. Sofort kam mir das Bild von gelangweilten Museumsmitarbeitenden in den Sinn, die in Manier des Wachbataillon die Böden deutscher Museen auf Standfestigkeit prüfen.

Glücklicherweise blieb mir dieses Schicksal erspart, denn der Wal zog die Massen in seinen Bann und sorgte für einige Irritationen, für die ich dann als Projektionsfläche diente. Einige der BesucherInnen sind überhaupt erst aufgrund des Wals nach Greifswald gereist. Viele blieben andächtig vor der mächtigen Walfigur stehen, näherten sich ihr nur langsam und berührten sie zaghaft. „Ein unglaublicher Anblick!“, bekam ich oft von staunenden Gästen zu hören. Viele der anwesenden Walinteressierten fragten mich, was der Wal denn nun im Dom mache. Ich ließ die Frage stets unbeantwortet und verwies darauf, dass die Antwort nur individuell von den Betrachtenden gegeben werden kann. Individuell waren dann auch die Antworten, die gegeben wurden. Der Wal war Symbol der Auferstehung, des Todes, der Vergänglich- und der Ewigkeit, er diente als Kritik an der Zerstörung unserer Umwelt, führte uns vor Augen, wie klein wir Menschen sind und war überdies auch immer wieder konkreter Bezug zur Geschichte Jonas aus dem alten Testament. Religion war für viele BesucherInnen ein zentraler Aspekt. Ohnehin war der Greifswalder Dom mehr als nur ein Ausstellungsort. Er war Teil des Kunstwerks und vielleicht sogar wichtiger als der Wal selbst. Die häufig religiös-spirituellen Bezüge wären in einem Museum vermutlich nicht aufgetreten.

Auch die Kritik, mit der ich konfrontiert wurde, hätte es in einem Museum nicht gegeben. Einigen stieß es sauer auf, ein als unchristliches Kunstwerk identifiziertes Objekt in einer Kirche zu sehen. „Mein Haus soll ein Bethaus sein!“, war dabei eine eher subtile Kritik, die eine auf dem Fundament der Bibel fußende Begründung vorweisen konnte. Andere Kritik war jedoch teilweise plumper und überdies noch diskriminierender Natur. So behauptete eine offenbar aus dem Westen Deutschlands stammende Person, dass die Ausstellung des Wals in einem Gotteshaus so nur im Osten möglich wäre, womit sie vermutlich auf den historisch bedingten hohen Anteil konfessionsloser Bürger*innen in Greifswald anspielte.

Der Wal entzückte und erzürnte Menschen auch über Landesgrenzen hinweg. Der italienische Journalist Carlo Franza widmete dem Wal einen Artikel im Blog der rechtspopulistischen Zeitung „Il Giornale“. Dort sieht er in dem Wal ein weiteres Zeichen für den von Papst Franziskus befeuerten bevorstehenden Untergang des christlichen Abendlandes. Nachdem der in konservativen christlichen Kreisen offenbar zu liberale Papst bereits dafür gesorgt habe, dass Kirchen in Moscheen umgewandelt und das europäische Volk durch Geflüchtete ersetzt worden wären, sei der Wal im Greifswalder Dom ein letzter notwendiger Beweis für die Verkommenheit des modernen Christentums. Wow! Ich war wirklich Teil von etwas ganz Großem. Der Wal hinterließ bei mir und in Greifswald sicher mehr als nur einen Abdruck auf dem Kirchenboden.

 

Foto: Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft.

Foto: Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft.

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