Foto: Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft

Jugend und Kultur: Störfall oder Chance?

am 03. Mai 2018 | in Allgemein | von | mit 0 Kommentaren

Am 7.2.2018 fand im Kunstmuseum Bonn eine von der agon – Gesellschaft zur Förderung von Theater und Musik e.V. veranstaltete Podiumsdiskussion zum Thema „Jugend und Kultur. Potenziale erkennen. Chancen nutzen!“ statt. Unter den Teilnehmenden des Gesprächs befand sich auch Ruth Gilberger, Vorständin der Stiftung Kunst und Gesellschaft, deren frühere Tätigkeiten im Bereich der Kunstvermittlung alle Altersgruppen der Gesellschaft praktisch mit einbezogen. Berichterstattung und Kommentar von Fiona Kubat.

Ein kleines Gedankenspiel:
Man stelle sich den Saal eines Konzerthauses von oben vor, aufgeführt wird ein klassisches Stück. Wie sieht der Saal von oben aus?
Die Antwort ist: grau.
Man stelle sich einen Theatersaal von oben vor, gespielt wird ein nicht-abiturrelevantes Stück. Wie sieht hier der Saal von oben aus?
Die Antwort lautet auch grau (oder halbvoll).
So sieht es dann wohl aus in der deutschen Kulturlandschaft, oder?
Oder nicht?

Wie könnte man das kulturelle Potenzial junger Menschen besser entfalten? Wie können Jugendliche verschiedener sozialer Schichten und Herkunft an Kultur und Gesellschaft teilhaben und sogar selbst als Multiplikator_innen agieren? Mit diesen Fragen setzt sich die agon – Gesellschaft zur Förderung von Theater und Musik e.V. aus Bonn auseinander. Gegründet von Arthur Abs und Johannes zu Oettingen-Wallerstein, zwei kulturell engagierten Studenten, die so ganz und gar nicht glauben, dass das in dem Gedankenspiel beschriebene Bild ergrauter Kultureinrichtungen das Desinteresse an Kultur ihrer Generation widerspiegelt.

Arthur Abs diskutierte an diesem Abend im Kunstmuseum zu dem Thema „Jugend und Kultur. Potenziale erkennen. Chancen nutzen!“ mit Dr. Stephan Berg, Intendant des Kunstmuseum Bonn, Hedwig Neven DuMont, Initiatorin diverser sozialer Kulturinitiativen in Köln, Louwrens Langevoort, Intendant der Kölner Philharmonie und Ruth Gilberger, Vorständin der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft in Bonn.

Zuerst einmal wurde das Licht des Saals gedimmt, unterstützt wurde die Podiumsdiskussion nämlich von der musikalischen Performance „Zeitraum. Spielraum. Freiraum.“ der Musiker Detlef Brenken und Rainer Weber sowie der Bonner Jugendlichen Julia Hingst, Sarah Frede, Johanna Fabricius, Victor Abs, Emma Latz, Anna Theresa Rickel, Sante Sidore, Nils Koch und Anna Dowling:

Vokabeln wurden durch den Raum gerufen, die einzelnen Wörter auf Englisch, Spanisch und Französisch überlagerten sich und bildeten chaotische Wortfetzen. Dazu wurde die Improvisation der Musizierenden immer lauter, schließlich fingen die Vokabellernenden an zu tanzen und verloren ihre steinernen Gesichtsausdrücke.

Musik, dachte man bei dieser Performance, die bewegt wirklich, die löst etwas aus, die geht tiefer, nicht nur bis zum Schulbuch, das zugeklappt und weggelegt wird.

Schließlich begann die Diskussion mit Arthur Abs’ Frage, warum es in Museen eigentlich mehr Angebote für kleine Kinder gebe als für Jugendliche. Darauf antwortete Dr. Stephan Berg, dass man versuche, kulturelle Bildung so früh wie möglich zu implementieren. Für Jugendliche sei die Bindung ans Museum aber schwieriger zu initiieren, und er wolle beispielsweise nicht, dass das Museum nur als Location für Kunstpartys genutzt würde, so wie es einige andere Museen versuchen. Daran schloss sich die Frage, ob kulturelle Institutionen wie die Philharmonie, dann eher keine Orte für Jugendliche seien. Louwrens Langevoort berichtete in diesem Zusammenhang, dass in der Kölner Philharmonie prinzipiell jeder willkommen und es besonders wichtig sei, Neugierde auf Kultur zu schaffen, beispielsweise bereits über Konzerte für Babys, wie sie die Philharmonie in Köln anbiete. Ruth Gilberger merkte daraufhin die immer noch starke Bedeutung des Elternhauses für die Entwicklung von kulturellem Interesse bei jungen Menschen an. Wichtig sei es zu vermitteln, dass Kunst und Kultur eben keine „Extras“ seien, sondern integraler Bestandteil von Bildung. Besonders wichtig sei es dabei, die richtige Sprache in unterschiedlichen Vermittlungssituationen zu finden. So könnten auch Künstler_innen selber in Vermittlungssituationen durch ihre Authentizität eine Brücke zu Kultur herstellen.

Hier wurde deutlich, dass es trotz zahlloser Methoden und Anstrengungen zur kulturellen Förderung junger Menschen immer noch kein klares Erfolgsrezept gibt, welches ein aufflammendes Kulturinteresse garantieren könnte. Viele institutionalisierten und mit Hochkultur assoziierten Kulturstätten können ihren monumentalen Schwellencharakter oft nicht hinter sich lassen. Sie bleiben somit oft unzugänglich für viele, die nicht mit ihnen aufgewachsen sind.

Trotzdem sei es wichtig, nicht die vermeintlich jugendliche Perspektive einzunehmen, von außen zu vermuten, was bei jüngeren Menschen gerade „cool“ sei und zu mutmaßen, welche Programme sie ansprechen würden, da waren sich die Diskutierenden einig.

Man solle die jungen Menschen ernst nehmen und nicht mit lediglich scheinbar zielgruppenorientierten Extraprogrammen langweilen.

Helen Neven DuMont berichtete von einem ihrer Projekte in Köln, bei dem Jugendliche ohne Schulabschluss gemeinsam ein Theaterprojekt entwickeln, dass mit einer großen Aufführung ende. Dies lehre die Jugendlichen Verantwortungsbewusstsein, da die gemeinsame Arbeit mit professionellen Multiplikator_innen den Jugendlichen Selbstbewusstsein und Perspektiven gäbe.

Plötzlich erhob sich eine Stimme aus dem Publikum und unterbrach die Diskussion. Sieben junge Menschen erhoben sich und brachten dem Publikum und Podium ihre Perspektive näher, indem sie selbstverfasste Texte vortrugen. Die Texte zeugten von Selbstsicherheit und Selbstzweifeln, von Eltern, die das Theaterspielen unterstützen, falschen Freunden in sozialen Medien und immer wieder von der Schule: zu viel Lernstress, zu viele Hausaufgaben, um noch den künstlerischen Hobbys und dem Träumen nachzukommen.

Mit dieser Performance holten sich die Jugendlichen ihren Raum zurück. So viel wurde hier schon über sie gesprochen, nun hatten sie selber die Möglichkeit, sich auszudrücken.

Danach fiel die Diskussion in ein bekanntes Streitthema bei Jung und Alt, die Diskussion um die „Generation Smartphone“, um digitales Leben und Erleben und die Frage, ob durch digitale Medien Kulturinstitutionen noch unpopulärer bei jungen Menschen würden. Dabei wurde deutlich, dass sich die kulturellen Institutionen einer Digitalisierung nicht verwehren können und im Gegenteil digitale Angebote nutzen sollten. Schließlich sollte man, wie Ruth Gilberger noch einmal herausstellte, nicht in starren Gegensätzen von analog und digital denken. So würden Studien zufolge Angebote wie digitale Ausstellungsformate im Internet dazu führen, dass mehr Besuchende gelockt würden, sich das Ganze auch einmal live anzuschauen.

Es ist wichtig, dass sich die Vorstandsetagen von Kunst- und Kultureinrichtungen eben nicht dem Digitalen entziehen oder mit dem „Ergrauen“ seiner Einrichtungen zufriedengeben, darüber waren sich die Teilnehmenden des Podiums einig. Diese Institutionen sind nun einmal leider nicht nicht-hierarchisch und haben über Generationen hinweg vor allem Bildungseliten angesprochen. Das Internet kann in diesem Zusammenhang als Medium demokratischer Teilhabe gesehen und genutzt werden, damit diese Hierarchie endlich aufgebrochen wird und eine junge Generation für die Partizipation an Kunst und Kultur begeistert werden kann.

An dieser Stelle frug Arthur Abs gezielt nach, ob denn dann nicht Jugendliche selbst die richtigen seien, andere Jugendliche für Kunst und Kultur zu begeistern. Im Museum gebe es dies schon oft, antwortete Dr. Stephan Berg, Studierende übernähmen Führungen für andere Studierende. Es wurde an dieser Stelle der Diskussion deutlich, dass es jedoch keine bahnbrechenden Konzepte für das Lernen von Jugendlichen durch die Hilfe anderer Jugendlicher gibt. Wahrscheinlich ist man da aber auch aus strukturellen Gründen bei vielen institutionalisierten Kultureinrichtungen nicht an der richtigen Adresse. Obwohl das Lernen von Gleichaltrigen sicher eine gute Möglichkeit wäre, Jugendliche zu begeistern. Dies könnten Organisationen wie die agon Gesellschaft in Angriff nehmen, die Ideen von Gleichaltrigen finanziell fördern oder beispielsweise Workshops mit Schauspieler_innen anbieten.

Die jungen Menschen aus dem Publikum bestätigten dies, als sie nach der Diskussion (endlich selbst) zu Wort kamen. Ein gleichaltriger Mensch könne einen einfach mehr begeistern als die ganze 50+-Generation in den Schulen und Kulturinstitutionen. Besonders wichtig war es einer jungen Frau aus dem Publikum zu betonen, dass die Verallgemeinerung von „den Jugendlichen“ sehr schwierig und herablassend sei, da man doch auch von Menschen mit vielerlei verschiedenen Interessen und Unterschieden spreche. Der ein oder andere auf dem Podium oder im Publikum fühlte sich hier wohl ertappt. Wie oft vergisst man beim Umgang mit Jugendlichen trotz allen Wohlwollens solche einfachen Grundsätze? Die junge Frau betonte, man wolle nicht auf der „Kinderschiene“ bedient werden, nicht „von oben herab“. Freier Eintritt sei hingegen etwas Sinnvolles, das allen Menschen, unabhängig vom Einkommen, Kulturzugänge ermögliche.

Mein Fazit des Abends: kein Störfall sein. Einfach hingehen und ausprobieren – das sollte doch möglich sein.

Wenn da nicht immer noch die Eintrittsgelder wären. Zusätzlich ist nicht zu verleugnen, dass es eine Barriere schafft, wenn man die Namen der ausstellenden oder auftretenden Künstler_innen gar nicht kennt und die sprachlichen Codes der kulturellen Institutionen so schwer verständlich sind. Klar, Kultur sollte auch fordern und mit Differenz reizen, aber hier entscheidet immer noch viel zu oft das Elternhaus. Schulen könnten hier Barrieren beseitigen, aber wie die Schüler_innen im Publikum schon berichteten: keine Zeit dafür wegen Zentralabitur. Kulturelle Institutionen wie Museen, Schauspielhäuser und Philharmonien sollten sich hier nicht aus der Verantwortung ziehen, sondern müssten am besten gemeinsam mit jungen Menschen Möglichkeiten und Programme gestalten. Das Potenzial ist da. Was aus meiner Sicht spielt auch eine Rolle spielt, sind interkulturelle Phänomene. So sind die genannten Institutionen immer noch hauptsächlich Häuser westlicher, europäischer Kultur. Unserer aktuellen pluralen Jugendgeneration werden sie so nicht mehr gerecht – hier sollte thematisch und strukturell umgedacht werden.

Zuletzt bleibt für mich noch eine Frage offen, die so gar nicht diskutiert wurde: Wozu denn eigentlich Kultur für Jugendliche oder warum Kultur überhaupt? Soll Kultur eine Disziplinierungs- oder reine Bildungsmaßnahme sein, die nur einen Wert hat, wenn sie hilft, gesellschaftlich und wirtschaftlich funktionierende Bürger_innen zu erziehen? Ist der einzige Zweck von klassischer Musik, sie Babys vorzuspielen, damit sie intelligentere werden?

Wollen wir für junge Menschen also wirklich das Staunen ob einer ästhetischen Erfahrung? Das Innehalten beim Betrachten eines Bildes oder die Gänsehaut beim Hören eines Konzerts? Den flow beim Theaterspielen? Oder wollen wir, dass sie sich ein kluges Hobby wie Klavierspielen oder Zeichnen suchen, um schließlich doch „etwas Anständiges“ zu studieren?

Würden wir auch den Selbstzweck, das völlige Loslassen tolerieren, akzeptieren, fördern?

Wenn nicht, darf man sich nicht wundern, wenn sich junge Menschen dem klassischen Kulturmilieu verweigern.

 

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