Veranstaltungsflyer "Nach der Flucht", Büro für soziale Innovationen, Gestaltung: Fons Hickmann m23

Nach der Flucht sind soziale Innovationen gefragt

am 13. August 2015 | in Allgemein, Diskurse | von | mit 0 Kommentaren

Mit der öffentlichen Veranstaltung „Nach der Flucht“ bot das Büro für soziale Innovation in der Düsseldorfer Bergerkirche die Gelegenheit, sich über die aktuelle Flüchtlingsthematik in lokaler wie in überregionaler Perspektive zu informieren und auszutauschen.

Im Mittelpunkt stand dabei die Vorstellung neuer zivilgesellschaftlicher Initiativen aus Berlin, Wien und Düsseldorf, die angesichts der vielerorts unzureichenden staatlichen Strukturen alternative Wohnungs-, Kultur- und Arbeitsangebote für Menschen entwickelt haben, die „nach der Flucht“ in Deutschland leben. Das Büro für soziale Innovation (BIS) strebte mit der Auswahl der Projekte vor allem an, Düsseldorfer Akteurinnen und Akteure, die beruflich oder ehrenamtlich am Thema interessiert sind, frische Impulse für Ihre Arbeit zu geben. Veranstalter Sandra Jasper und Thorsten Nolting riefen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gar dazu auf, Raum und Zeit als Inkubator für neue Projektideen und Kooperationen zu nutzen.

Veranstaltungsformat

Das Format der knapp dreistündigen Veranstaltung bestand neben einem einleitenden Teil von Thorsten Nolting und Miriam Koch aus drei Impulsvorträgen und einer sich daran anschließenden Fragerunde. Im zweiten Teil konnten dann alle Teilnehmerinnen gemeinsam mit den Referentinnen und Referenten an „runden“ Tischen die Themenfelder Arbeit, Wohnen und „Kreatives“, womit kulturell-künstlerische Initiativen gemeint waren, weiter diskutieren.

Der von Tobias Rehberger 2003 neu gestaltete Kirchraum der Bergerkirche war gut gefüllt und vermag schon rein visuell, anregende Diskussionen zu stimulieren. In puncto Vielfalt von Podium und Plenum schöpfte die Veranstaltung jedoch ihr Potenzial weniger aus: Mit Sebastian Rezvan war etwa nur ein Referent mit eigener Fluchterfahrung im Programm vertreten.

Die Referentinnen Gabriele Sonnleitner (ganz links) und Eileen Stiehler (2. v.r.) im Gespräch mit Teilnehmerinnen der Veranstaltung. Foto: MKG

Die Referentinnen Gabriele Sonnleitner (ganz links) und Eileen Stiehler (2. v.r.) im Gespräch mit Teilnehmerinnen der Veranstaltung. Foto: MKG

Willkommensworte: Thorsten Nolting, Vorstand der Diakonie Düsseldorf

Zur Begrüßung betonte Diakonievorstand Thorsten Nolting, wie wichtig es für Deutschland als Einwanderungsgesellschaft sei, offen zu sein für die Integration von Geflüchteten. Er nahm dabei die Perspektive der Mehrheitsgesellschaft ein und appellierte dafür, Geflüchtete willkommen zu heißen, da ihr Zuzug zwar von manchen als „Welle wahrgenommen würde, die uns überrollt hat“, jedoch unsere Gesellschaft vor allem „bunter“ mache. Gleichzeitig betonte er die Bedeutung von Projekten wie den eingeladenen, die versuchten, neue Wege zu gehen und zum Nachdenken über alternative Lösungen für die (ja nicht so neuen, Anm. der Autorin) gesellschaftlichen Herausforderungen des Zusammenlebens anregen.

Grußwort: Miriam Koch, Flüchtlingsbeauftrage der Stadt Düsseldorf

Die seit Februar 2015 amtierende erste (!) Flüchtlingsbeauftragte der Stadt Düsseldorf, Miriam Koch, scheute sich nicht die politischen Versäumnisse der Vergangenheit beim Namen zu nennen: Die aktuellen Probleme bei der kommunalen Unterbringung und Betreuung der Geflüchteten seien „hausgemacht“. So reichten etwa die Personalkapazitäten der Stadt eigentlich nur für eine Zuwanderung von 500 Flüchtlingen pro Jahr aus, die derzeitigen Prognosen lägen jedoch bei Zuweisungszahlen von 5.000 Personen für 2015. Angesichts der jüngsten Spitzenzahlen aus dem Juli und dem Bezug von neun Turnhallen und diversen Zeltunterkünften, sei es selbstverständlich, dass die Stadt Düsseldorf in den verschiedenen Stadtteilen die seit Anfang des Jahres durchgeführten Informationsveranstaltungen nun wiederhole, um die Kommunikation mit den Anwohnerinnen und Anwohnern zu intensivieren. Während Kochs Schilderungen der Düsseldorfer Flüchtlingsarbeit frei von jeglicher Schönfärberei waren, öffnete sie abschließend auch den Blick auf die bundesweite Debatte. Wie der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann forderte sie ein neues Einwanderungsgesetz mit Punktesystem nach kanadischem Vorbild.

Flüchtlingsbeauftragte der Stadt Düsseldorf, Miriam Koch, hält ihr Grußwort. Foto: MKG

Flüchtlingsbeauftragte der Stadt Düsseldorf, Miriam Koch, hält ihr Grußwort. Foto: MKG

Impuls: Sebastian Rezvan und Jonas Kakoschke, Flüchtlinge Willkommen, Berlin

Dass provisorische wie permanente Sammelunterkünfte in Turnhallen, Hotels oder Heimen ohnehin kein sinnvoller Wohnraum für Menschen sind, die nach Deutschland flüchten, davon sind die Macherinnen und Macher der in Berlin gegründeten Wohnplattform „Flüchtlinge Willkommen“ (FW) überzeugt. Jonas Kakoschke, einer der Mitbegründer des Onlineportals, und Sebastian Rezvan, ein erfolgreich vermittelter Mieter, erklären im ersten Impulsvortrag wie das Internetportal „Flüchtlinge Willkommen“ stattdessen die individuelle Unterbringung von Geflüchteten in Privatunterkünften erleichtert.

Über die Wohnbörse, die zukünftig auch international expandieren will, können bundesweit WG-Zimmer oder Wohnungen von Privatpersonen an Geflüchtete – mit oder ohne Papieren – vermittelt werden. Man nimmt es Jonas Kakoschke sofort ab, dass dahinter nicht nur ein trendiges Geschäftsmodell mit einer beachtlichen Medienpräsenz steckt. Wichtig sei für FW vor allem auch die Idee einer direkten und individuellen Willkommenskultur von der „beide Seiten etwas haben“, wie Kakoscke betont. So kritisiert er etwa die in Bayern immer noch bestehende „Lagerpflicht“, die vorsieht, dass im Bundesland alle Flüchtlinge im Asylverfahren und mit Duldung in Sammelunterkünften untergebracht werden müssen und erzählt von den Erfahrungen, die er selbst mit seinem Mitbewohner gemacht hat.

Sebastian Rezvan, der, wie er ganz offen erzählt, aufgrund seiner sexuellen Orientierung und Religion vor zwei Jahren aus dem Iran nach Deutschland geflohen ist und inzwischen in einem von FW vermittelten WG-Zimmer lebt, spricht dem Projekt dann auch beste Empfehlungen aus. Es wird in seinem Vortrag deutlich, wie wichtig es für ihn war mit der privaten Unterkunft auch wieder seine Privatsphäre zurückzugewinnen. Ebenso deutlich macht Rezvan aber auch, dass ein WG-Zimmer nur ein allererster Schritt zur gesellschaftlichen Teilhabe ist und fragt das Publikum, weshalb es ihm auch nach zwei Jahren des laufenden Asylverfahrens nicht erlaubt sei, sein Medizinstudium fortzusetzen. Eine Antwort darauf bekommt er nicht.

Impuls: Gabriele Sonnleitner, magdas Hotel, Wien

Das „magdas Hotel“ in Wien ist kein Flüchtlingswohnprojekt, sondern ein sechs Monate junger Hotelbetrieb, bei dem fast ausschließlich Menschen mit Fluchthintergrund arbeiten. Upcycling, Weltoffenheit und Mehrsprachigkeit in 23 Sprachen seien die Alleinstellungsmerkmale des magdas, wie Gabriele Sonnleitner in ihrem Impulsvortrag mit Begeisterung ausführt. Flyer und Webseite des Hotels bewegen sich ästhetisch nah an einer Airbnb-Optik und treffen damit sicherlich den Nerv des global mobilen Klientels, das es auch beherbergen will. Eine allzu große konzeptionelle Nähe zum Grandhotel Cosmopolis in Augsburg vermutet man zu vorschnell. Anders als beim Augsburger Modell, das sich als „soziale Plastik“ versteht und nur 16 Hotel- und Hostelzimmer vermarktet, scheint das magdas mit über 78 von Kunststudierenden gestalteten Zimmern vor allem einen hohen unternehmerischen Anspruch zu haben. Sonnleitner erklärt, ein wichtiges Ziel des Betriebes sei es, der Wirtschaft zu zeigen, dass auch Unternehmen, die Geflüchtete einstellen, schwarze Zahlen schreiben können. Diese gewünschte Rentabilität sei bei einer Auslastung von 75% im Jahr zu erreichen.

Der Koffer, den Sonnleitner für ihre Präsentation aus Wien mitgebracht hat, kann man in diesem Sinne dann auch nicht bloß als häufig strapaziertes Symbol für die Migrationsgeschichte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des magdas verstehen, sondern dient samt Inhalt als Produktbeispiel für ein weiteres Geschäftsfeld des Hotels: der Verkauf von Deko- und Gebrauchsartikeln im… ja genau, Upcycling-Design. Wie sich diese Produktlinie durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Der eigentliche Hotelbetrieb aber ist bereits in aller Medien Munde und es fällt leicht, das „mag-das“ zu mögen, nicht zuletzt weil es in seiner Außendarstellung gänzlich auf den gebräuchlichen Flüchtlingshilfejargon verzichtet.

Impuls: Eileen Stiehler, Flüchtlingsberatung der Diakonie Düsseldorf

Eileen Stiehler vertrat die Diakonie Düsseldorf und stellte den Teil der diakonischen Flüchtlingsberatung vor, der künstlerische Praktiken verfolgt. Gemein sei allen Projekten mit diesem Ansatz, so Stiehler, dass das Thema Flucht nicht im Vordergrund stehe. Eine Band und eine Fotografieausstellung über die ersten 100 Tage in Deutschland, die auch Biographien von nicht geflüchteten Neuankömmlingen mit einbezieht, seien zwei der drei Kulturprojekte. In der anschließenden Diskussion am „Tisch der Kreativen“ berichtet sie darüber hinaus noch von einer Kunstpädagogin, die Kurse für Schwangere anbietet.

Auf Akzeptanz stoßen die Projekte, reflektiert Stiehler, vor allem deswegen, weil sie aufgrund individueller Anfragen seitens der Geflüchteten entstehen, die bei dem kultursensiblen Team der Diakonie Düsseldorf auf offene Ohren treffen. Ein Pluspunkt sei es auch, dass sie selbst mit einem Großteil der meist jungen Zielgruppe die gleiche Altersklasse teile. Das helfe dabei, Vertrauen aufzubauen und individuelle Interessen zu erkennen. Wichtig erweist sich in der weiteren Diskussion auch, dass das Management der Diakonie die nötigen Rahmenbedingungen für die Entwicklung künstlerisch-kultureller Projekte bietet. Eileen Stiehler hat einen Teil ihrer Arbeitszeit für Kulturprojekte reserviert, außerdem arbeite man, wenn nötig, mit passenden Kooperationspartnern zusammen und vernetze sich fachlich auch bundesweit innerhalb der Diakonie, ergänzt der Fachvorstand der Diakonie Adolf-Leopold Krebs.

Ausblick

Nach knapp drei Stunden regen Austauschs lösten sich die Runden allmählich auf und einzelne Teilnehmerinnen knüpften noch die ein oder andere Querverbindung zum Nachbartisch. Ob neue Innovationen dabei entstanden sind, wird man früher oder später aus der Presse erfahren, so lassen zumindest die gerade gehörten Erfahrungsberichte vom magdas und Flüchtlinge Willkommen darauf vertrauen.

 

Teilnehmer und Teilnehmerinnen im intensiven Austausch. Foto: MKG

Teilnehmer und Teilnehmerinnen im intensiven Austausch. Foto: MKG

Veranstaltungsprogramm „Nach der Flucht“

Willkommensworte

Thorsten Nolting, Vorstand der Diakonie Düsseldorf

Grußwort

Miriam Koch, Flüchtlingsbeauftrage der Stadt Düsseldorf

Impulsvorträge

Sebastian Rezvan und Jonas Kakoschke: Flüchtlinge Willkommen, Berlin

Gabriele Sonnleitner, magdas Hotel, Wien

Eileen Stiehler, Flüchtlingsberatung der Diakonie Düsseldorf

Veranstalter

Büro für soziale Innovation; Sandra Jasper, Thorsten Nolting

 

Abbildung oben: Veranstaltungsflyer „Nach der Flucht“, Büro für soziale Innovation, Gestaltung: Fons Hickmann m23

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