Foto: Ruth Gilberger

Rückwärts ist vorwärts

am 08. Dezember 2015 | in Allgemein, Dialog und Teilhabe, Diskurse, Summercamp | von | mit 0 Kommentaren

Gedanken zum Summercamp der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft 2015

Als Künstlerin, mit dem Hintergrund eine Bildhauerwerkstatt in einem Gefängnis zu leiten und in meinem Atelier zu arbeiten, bin ich sowohl eine Kommunikation mit den Insassen als auch mit meinen Künstlerkollegen gewohnt. Der Verein „Mauern öffnen e.V.“ in Bremen zeichnet sich über Jahre dadurch aus, dass bewusst eine Arbeitskollegialität zwischen Kunst und Gefangenschaft herstellt wird. Im Zentrum der Arbeit steht die selbstbestimmte Arbeit am Werk, was dem einen aufgezwungen wird, ist der andere im Atelier gewohnt. Dem ungeachtet haben sich im Laufe der langjährigen Zusammenarbeit kooperative Arbeitsformen bewährt, doch es bleibt immer eine Tätigkeit ohne größere Kenntnisnahme von Methoden, wie sie in anderen partizipativen Kunstprojekten existieren. Mich interessiert also ein Blick auf die Möglichkeiten, in der Praxis zwei Lebenswelten in Verbindung zu bringen, sowohl in der Vermittlung untereinander, als auch der Schaffung eines gemeinsamen kreativen Raumes – trotz seiner räumlichen (JVA) und zeitlichen (Haftstrafe) Begrenztheit. Das Summercamp ist dabei ebenfalls räumlich (Campus Bonn) und zeitlich (zwei Tage) begrenzt, aber auf freiwilliger Basis.

So betrachte ich es als meine Aufgabe, neben der gemeinsamen Arbeit an den Skulpturen interessante Neuigkeiten in den Knast zu tragen, und war sehr gespannt auf Studenten und junge Berufsanfänger. Was sind die aktuellen Fragen, was wird gedacht was wird diskutiert?

Foto: Gerhard Wolff

Foto: Gerhard Wolff

Bei der anfänglichen Vorstellung der Teilnehmenden des Summercamps auf dem Campus in Bonn erstaunte mich die Methode – mittels dreier Hashtags. Die Selbstverständlichkeit, komplexe Themen soweit herunter zu kürzen, bis nur noch ein einzelner Begriff als Identifikationsschlagwort bleibt, der eine Kette von vorherigen Überlegungen voraus setzt, gehört nicht zu meinen Übungen.

Gewinn dieser Methode ist die Priorisierung von eigenen Werten/Leitmotiven, die nicht mehr in langen Vorstellungen der eigenen Arbeiten mündet, sondern Wertigkeiten setzt, die dann wieder ein Gespräch erleichtern können.

Das grundsätzlich offene Format des Summercamps kam meinen Gewohnheiten und meinen Beobachtungsabsichten sehr gelegen, wenn es auch durch freiwillige Workshopformate behutsam gegliedert war.

1: Papp-Steine

Ich schloss mich dem Workshop von Frank Bölter an und faltete Pappkartons. Ich mag Gespräche, die nicht in einer sitzenden Haltung stattfinden. Also Gespräche mit meinen „FaltkollegInnen“ am selben Arbeitstisch über den Grund unserer Anwesenheit und unseren jeweiligen Interessen – und zwischendurch Selbstbeobachtungen. Es ist ganz interessant, dass man bereits nach der Faltung des etwa zehnten Kartons seine Handbewegungen rationalisiert und einen gewissen Stolz über die verbesserte Geschwindigkeit empfindet.

Aber was wäre wenn man unter fremdbestimmten Vorgaben bei Akkordlohn ständig so handeln müsste?

Mir ist der kreative Gesamtzusammenhang des Workshops klar. Ich falte mit meiner PartnerIn einen Karton und übergebe sie einer anderen Person – übrigens tolles System und erstaunliche Statik–, die dann Leim aufträgt. Weitere Personen fügen die Bausteine zusammen.

Kann ich mich mit meiner Aufgabe identifizieren, wie ist es wenn mir das Formergebnis nicht gefällt, sollte ich mich da mehr einmischen um meine Wünsche an den herzustellenden Raum zu diktieren. (Logik Bauklotz, Wand, Raum?)

Foto: Ruth Gilberger

Foto: Ruth Gilberger

Die Gedanken führen zu Rückschlüssen zu meiner Arbeit mit den Insassen. In der Bildhauerwerkstatt sind meine künstlerischen Vorstellungen und Erfahrungen gefragt, aber der Arbeitsprozess nimmt häufig eine andere Richtung.

(Was ich erzähle, ist mehr etwas über den leiblichen Empfindungsprozess als die Vorgabe „Anatomie“ oder „Steinmetzkunst“, mehr die Konzentration auf das Besondere und dessen Wert als dessen technische Umsetzung. Also bleibt nur loslassen und eine schlaue Matrix als Vorgabe für partizipatorische Projekte zu entwickeln. (Wahrnehmungslogik als gemeinsames Spielfeld.)

Ähnliches beobachte ich an der im Laufe des Tages gemeinsam entstehenden Wandmalerei an der Hofmauer: Einfach machen lassen, führt zu künstlerisch unbefriedigenden Ergebnissen. Gemeinschaft und Anregung sind….

Ich denke, das ist eine wichtige Frage bei der Arbeit mit Laien, die Frage nach dem künstlerischen Steuerungsprozess.

2: Tafel- und Grillrunde

Foto: Ruth Gilberger

Foto: Ruth Gilberger

Das abendliche sehr leckere Grillen, bei dem sich alle mal sehen: In meiner Umgebung wird über das Bürgerhonorar gesprochen, 1000 € für jeden. Also bleibt das schon seit etlichen Jahren aktuell. Angesichts der Frage nach der Teilhabe an Ressourcen ist neben der kulturellen und der geistigen die wirtschaftliche wesentlich. Interessant für mich, der Austausch über die Möglichkeiten, die das Kapital der Erben-Generation erschließen würde. Ich gehöre zu dieser Generation, dies ist eigentlich mein gedanklicher Lichtblick, wenn die Information über die zu erwartende Rente des BVA im Postkasten liegt. Denkt man die Strukturen der wirtschaftlichen Umverteilung weiter, wo sollen die Jungs aus dem Knast dann klauen gehen?

3: Feuergespräch

Am nächsten Tag habe ich mich an dem Feuergespräch mit Martin Gehri beteiligt und hatte äußerst anregende Gespräche. Das Feuer ist eine gute Idee und (originell in seiner Form als ein Streichholzfeuer), weil es die Tradition des Erzählens animiert, alle schauen dort hin, es entspannt wie Yoga und animiert eine freie Rede im Hinblick auf die rein theoretische Ebene, eine eher literarische oder erzählerische Struktur. Zum Beispiel erzählten wir uns von Situationen aus unserem Alltagsleben mit Partizipanten, sprachen über Irritationen, die spontanes Handeln verlangen, über unser eigenes Verhalten und wie erfolgreich wir damit waren.

Foto: Gerhard Wolff

Foto: Gerhard Wolff

4: Schlussendlich

Um den Austausch über Projekte im künstlerischen Umgang mit allen Beteiligten bereichert, kann ich abschließend sagen, dass mir die offene Organisation als eine sehr gut bedachte Struktur erscheint. Nicht nur, dass ich mir durch die Parallelität der Veranstaltungen meinen eigenen Pfad aussuchen konnte, für jede Art des Austausches wurde Form gefunden: Hashtag als Grundlage für die Wertediskussion, Workshops für die Praxis, Gespräche am Feuer für den Austausch von Erlebnissen. Der Gewinn liegt in der Offenheit, da sie an eigenwilligen Schnittstellen gedankliche und informative Ebenen verbindet und zu nachhaltigen Impulsen führt. Mein Interesse, sich über die Inhalte, Umstände und Strukturen anderer Projekte auszutauschen, mein Wissen über verschiedene künstlerische Denkansätze zu erweitern, dazu hat das Summercamp einen großen Beitrag geleistet.

Ich würde mich über eine Wiederholung des Sommercamps freuen.

 

Bild oben: Ruth Gilberger

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