Die Künstlerin Dr. Nica Junker widmet sich mit Leidenschaft der Photographie und dem bewegten Bild. Als Dozentin an internationalen Hochschulen gibt sie ihr Wissen weiter und inspiriert andere, visuelle Geschichten zu erzählen. In ihrer künstlerischen Praxis steht partizipative Fotografie im Mittelpunkt – das Miteinander, das Gestalten im Dialog.
Im Rahmen des Auftaktfests „Teilhaben, Mitmachen, Gestalten – Partizipation in der Kunst“ im Maria-Lenssen-Garten in Mönchengladbach-Rheydt wurde sie als Moderatorin von der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft sowie dem Kulturbüro Mönchengladbach eingeladen. Es folgt ein persönlicher Rückblick auf die Veranstaltung und die Bedeutung der künstlerischen Partizipation.

„Teilhaben, Mitmachen, Gestalten – Partizipation in der Kunst“, Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft & Kulturbüro Mönchengladbach, Maria-Lenssen-Garten. Foto: Jana Bauch.
Ankunft in Rheydt
Als ich in Rheydt ankomme, regnet es in Strömen. Ich weiß so gut wie nichts über diesen Ort und bin daher unvoreingenommen. Die besten Voraussetzungen für ein partizipatorisches Projekt, denke ich mir. Gleichzeitig bin ich diesmal nicht als Künstlerin unterwegs, sondern als Moderatorin für ein Symposium mit dem Titel „Teilhaben, Mitmachen, Gestalten – Partizipation in der Kunst“, am 22. Juni 2024 in Mönchengladbach-Rheydt.
Zuvor habe ich mich bereits mit Sonja Tucinskij der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft und Irina Weischedel vom Kulturbüro Mönchengladbach, die zusammen die Veranstaltung ausrichten, über Partizipation ausgetauscht. Uns ist wichtig, während des Symposiums verschiedene Perspektiven und Rollen in der Partizipation aufzuzeigen. Denn die Rolle, in der ich mich in die Partizipation begebe, bedingt ein anderes Handeln. Partizipation bedeutet für mich, eine Einladung auszusprechen. Dazu gehört auch ein Aufeinander zugehen, also eine aktive Bewegung, aufeinander zu – gemeinsam aufeinander zu.
Ausgangspunkt Praxis: ÜBENÜBENÜBEN³
Genau das hatten Evi Blink und Julia Scherzl, die ich nun als Podiumsteilnehmerinnen des Symposiums kennenlerne, im vorangegangenen Mentoring-Programm ÜBENÜBENÜBEN³ in der Praxis experimentell vorgemacht: In einer Performance hatten sie den Eingang des Maria-Lenssen-Gartens in Mönchengladbach-Rheydt als Bauarbeiterinnen für einen kurzen Zeitraum durch ein Bauband gesperrt. Eine Irritation, die die Frage des Warum bei den Anwohner:innen auslöste. Irgendetwas war anders! Evi Blink und Julia Scherzl hatten die Aufmerksamkeit der Anwohner:innen durch diese sichtbare neue Grenze gewonnen. Es war ein Angebot zur Reflexion, diese konstruierte Grenze zu hinterfragen.
Wo(zu) ist die Grenze? Popup versus Denkmalschutz
Nun bin ich also da, in Mönchengladbach-Rheydt, zum Auftaktfest und Symposium „Teilhaben, Mitmachen, Gestalten – Partizipation in der Kunst“. Pünktlich zur Veranstaltung ist der Sommer zurück. Evi Blink und Julia Scherzl erzählen mir gleich bei meiner Ankunft im Maria-Lenssen-Garten, dass sie im Austausch mit den Anwohner:innen gerne den seit Jahren existierenden Zaun um den Garten herum auflösen würden, denn er gibt doch eine Grenze des Außen und Innen vor. Nur kann er nicht weg: Er steht unter Denkmalschutz. Die Menschen haben diese Grenze als festgegeben gespeichert – das sind die Regeln des Denkmalschutzes. Interessant, dass eine vom Denkmalschutz gesetzte Grenze weniger hinterfragt, wird als eine im Rahmen einer Performance gesetzte Popup-Bauabtrennung!
Partizipation bedeutet für mich, dazu einzuladen, feststehende Barrieren zu hinterfragen, aufzulösen und aus diesen Herausforderungen gemeinsam Lösungen zu zaubern. Der Zaun könnte vielleicht, so denke ich mir, gedreht werden und als Dach im Sommer Schatten spenden oder bei Regen Schutz. So wäre er noch da, nur seine Funktion wäre eine andere. Denn es geht in der Partizipation auch um Perspektivenwechsel, ein Zuhören und Nachvollziehen der unterschiedlichen Sichtweisen, sie wertschätzend und respektvoll anzunehmen und sie – so wie den Zaun – unter unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. So kann es gelingen, die Grenzen, die in uns strukturell verankert sind, aufzulösen, um neue, offene, inklusive Räume zu gestalten.

Verbinden trotz Grenzen – Zaun überwinden in drei Stunden von Evi Blink & Julia Scherzl im Rahmen des Auftaktfests. Foto: Jana Bauch.
„Zaun überwinden in drei Stunden“
Heute in unserer Veranstaltung heißt das Projekt von Evi Blink und Julia Scherzl passenderweise „Verbinden trotz Grenze – Zaun überwinden in drei Stunden“. Bei der ersten Station nähern sich die Teilnehmenden durch Zaungespräche dem Thema „Grenze“ an. Natürlich bin ich sofort dabei: Auf der einen Seite des Zauns sitze ich, auf der andern Evi Blink. Ich soll die Frage beantworten, was für mich eine Grenze bedeutet. Als Saarländerin bin ich damit aufgewachsen, dass die grüne Grenze zwischen Deutschland und Frankreich im Wald hinter Saarbrücken liegt. Als Kind hat mich das fasziniert, denn so richtig war da keine Grenze für mich zu erkennen. Für mich gab es eher einen Raum, in dem alles irgendwie verbunden ist. Wenn sich eine Gesellschaft verändert, so verändern sich auch die Räume, in denen diese Strukturen verankert sind. So fiel mir zu dem Wort Grenze das Wort „Transformation“ ein.
Diesen Gedanken finde ich direkt in einem Moment unseres Plenums wieder. Es ist eine Situation, die mir zeigt, wie wichtig die Transformation in unseren Köpfen, das Aufeinanderzugehen und das Auflösen von Grenzen in der Ermöglichung von Partizipation sind: Es ist die Fragerunde im Anschluss des Plenums. Das Publikum hat nicht gleich eine Frage an uns. Vielleicht liegt es daran, dass wir auf einer Bühne sitzen und es einen Abstand gibt zwischen uns und dem Publikum – für ein Panel ein etabliertes Format. Gibt es dadurch auch eine unsichtbare Grenze, denke ich, so wie den Zaun um den Maria-Lenssen-Garten? Ruth Gilberger nimmt das Mikrofon in die Hand und durchkreuzt diese imaginäre Trennlinie, geht auf das Publikum zu und fragt einfach einzelne Personen aus dem Publikum nach ihren Erfahrungen. So löst sie die etablierte Raumteilung zwischen „Expertinnen“ und Publikum auf – es ist eine dieser strukturell verankerten Grenzen, hier zwischen privilegiertem Wissen und passiv Zuhörenden. Gewissermaßen eine Hierarchie, die sich durch die Nutzung und Markierung des Raums bedingt. Wir kennen das Format so. Nur ist es das richtige Format, um Teilhabe du ermöglichen?

„Teilhaben, Mitmachen, Gestalten – Partizipation in der Kunst“, Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft & Kulturbüro Mönchengladbach, Maria-Lenssen-Garten. Foto: Jana Bauch.
Räume zum Trauen und Vertrauen
Durch das Durchqueren wird Ruth Teil des Publikums. Die Raumteilung ist aufgehoben. Sie schafft dadurch einen neuen Raum des Dabeiseins: die Hand dem Gegenüber einladend reichen, auf das Gegenüber zugehen und so einen gemeinsamen Raum gestalten. Das ermöglicht Vertrauen. Und zu Vertrauen gehört es auch, sich zu trauen. Um sich zu trauen, gehört es dazu, einen gemeinsamen Raum zu schaffen, der das Sich-Trauen ermöglicht. Darum geht es uns in der Kunst: Räume zu öffnen, um sich zu trauen. Inklusive Räume transparent zu gestalten, einzuladen, gemeinsam die Räume zu gestalten, wie wir sie uns vorstellen und gemeinsam erträumen wollen. Raumvisionen pragmatisch in die Wirklichkeit zu übersetzen.

Gesprächsrunde v.l.n.r.: Susanne Bosch, Evi Blink, Ruth Gilberger, Julia Scherzl, Nica Junker, Agnes Jaraczewski. Foto: Jana Bauch.
Letztendlich geht es bei der Partizipation darum, eine Art Party zu veranstalten. Susanne Bosch, eine Teilnehmerin des Symposiums, erzählte mir im Vorgespräch eine Anekdote, in der es darum ging, dass in Partizipation auch das Wort „Party“ steckt: Wir bereiten alles vor, verschicken Einladungen, gestalten einen Raum zum Aufhalten und hoffen schließlich, dass viele kommen und teilnehmen. Insofern ist Demokratie in unserer Gesellschaft auch eine Art Party, die nur dann gut wird und Spaß macht, wenn wir alle daran teilhaben und mitmachen können, wenn wir einen Raum des Miteinanders inklusiv gestalten. Zu einer Party gehört auch, dass wir auf unsere Gegenüber offen und herzlich zugehen, um zu einem gemeinsamen barrierefreien Raum einzuladen: die Vielfalt in der Inklusion aller Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit im Zusammenhalt miteinander und füreinander leben. Hier und an jedem Ort sind die Menschen am Ende schließlich das, was eine gute Party ausmacht!