Foto: Theresa Herzog

Der gläserne Raum im Raum

am 29. April 2020 | in Resonanzen, Wagnisse des Neuen | von | mit Ein Kommentar

In der nächsten Woche startet unser Projekt „Rheydter Resonanzen“ in Mönchengladbach. Nach dem Projekt „Neuland“ sind wir wieder in Rheydt, dieses Mal aber an einem anderen Standort. Erste Eindrücke der Künstlerin Theresa Herzog aus unserem neuen Ladenlokal:

 

Rheydt HBF. Ich gehe die Treppe hinab und durch die altbekannte, zugetaggte Bahnhofshalle. Die Eingangshalle ist um diese Uhrzeit sonnendurchflutet, ansonsten leer und still. Im Gegenlicht sehe ich nur eine Frau, welche die schwerfällige Tür versucht zu öffnen und ihr Fahrrad reinzuschieben. Auf den Straßen scheint alles normal, nur ein paar Leute tragen bereits eine Maske. Der Mann am Kiosk an der Bushaltestelle ist noch derselbe und die Schaufensterdeko in dem Klamottenladen auch. Letztes Jahr bin ich an der großen Kreuzung immer geradeaus gegangen, jetzt biege ich rechts ab und gehe an dem Taxistand vorbei. Letztes Jahr war Rheydt „Neuland“ für mich, jetzt kommt mir alles so vor, als kehrte ich nach einer längeren Reise zurück an einen Ort, der mir vertraut ist.

 

Foto: Theresa Herzog

Und dann stehe ich zum ersten Mal in unserem neuen Ladenlokal. Als ich hörte, dass wir mit all unseren Sachen ein paar Straßen weiterziehen würden, war – das muss ich zugeben, einer meiner ersten Gedanken, dass ich den schwarzen Tee und den Kaffee unserer Nachbarn in der Hauptstraße vermissen würde. Jeden Tag kam einer der Herren von nebenan mit diesem quadratischen weißen Tablett mit den rosa Blumen darauf und brachte eine variierende Anzahl an Heißgetränken und sehr viel Zucker. Irgendwie war der tägliche Austausch und das gemeinsame Teetrinken mit den Nachbarn in der Hauptstraße über die Monate zu einem besonderen Ritual geworden. Die Stühle und Sessel schienen von Woche zu Woche weiter in unsere Richtung zu rücken, bis wir irgendwann alle um einen Tisch, oder besser einen Teppich saßen. Es war schade, diese Nachbarschaft aufzugeben, aber als Teresa berichtet, dass sie hier in der neuen Straße auch schon erste Bekanntschaft mit einigen Leuten durch die Scheibe geschlossen hat, werde ich neugierig – was diese Straße zu bieten hat, wer hier seine Zeit verbringt, wessen Zuhause hier ist.

Als Claudia dann Kaffee aus einem Laden nebenan holt, kommt eine diffuse Vorfreude auf zukünftige Teestunden in mir hoch. Teestunden, die hoffentlich immer wieder auch mit Altbekannten stattfinden, die uns in unserer neuen Lokalität besuchen kommen; aber eben auch mit neuen Gesichtern, die zufällig vorbeischlendern und ein Weilchen ihrer Zeit hier mit uns verbringen werden, um diesen Ort mit neuen Geschichten zu besetzen.

Irgendwann setze ich mich auf einen Hocker irgendwo mitten in den Raum und kann einfach meinen Blick nicht von dieser Ecke zwischen den beiden Eingangstüren abwenden.

Ständig verschwinden Leute darin, Kinder, ein älterer Herr mitsamt seinem Rollator, Fahrräder, ein ganzes Auto! Eben ist noch ein kleiner Hund um die Ecke gelaufen, jetzt ist er weg. Ach, da ist er wieder – aber jetzt ist sein Frauchen weg.

 

Foto: Theresa Herzog

Eigentlich starre ich nur die Spiegelsäule direkt am Eingang unserer neuen Rheydter Schaltzentrale an, aber manchmal sind es nun mal diese kleinen Dinge, die einen verzaubern können. Dieser Raum reicht jedenfalls völlig aus – so leer er auch noch ist, mich ganz in seinen Bann zu ziehen.

Ständig vergesse ich wieder, dass da Scheiben um mich sind. Da sitze ich auf diesem Hocker, auf diesem Holzparkett und irgendwie sitze ich doch mitten auf der Straße. Ich höre, wie sich der Schlüssel in einem Schloss direkt hinter mir umdreht und schaue mich erschrocken um. Die Tür hinter mir geht auf und eine Mutter schiebt erst ihren Sohn und dann ihren Kinderwagen durch die Tür und brüllt irgendwas auf einer Sprache hinterher, die ich nicht verstehe. Ich bin verwirrt. Was machen die beiden da hinten, ich wusste gar nicht, dass da noch eine Tür ist und wann hatten sie überhaupt diesen Raum betreten? Dann merke ich, dass die Frau hinter einer anderen Scheibe steht, die ich bisher noch gar nicht bemerkt hatte und nicht unser Ladenlokal, sondern das Nachbarhaus betritt. Zum Glück bemerke ich die Scheibe bereits jetzt und nicht erst, wenn ich gegen sie renne.

 

Foto: Theresa Herzog

Jetzt am Nachmittag scheint die Sonne bis tief in unseren Raum hinein.
Menschen gehen direkt an mir vorbei. Der Herr mit dem riesigen Staubsauger zieht seine Runden um unseren Glaskasten. Ich muss grinsen und freue mich total ihn zu sehen – im letzten Jahr habe ich mit ihm unseren riesigen Teppich gestaubsaugt. Ich glaube zwar er erinnert sich gar nicht mehr an mich, aber nachdem er einige Minuten gedankenverloren seine Runden über die Straße und um unseren gläsernen Würfel dreht und den Boden säubert, fühle ich mich, als könnte ich nun definitiv bedenkenlos und voller Zuversicht in dieser Straße starten. So lange er hier die Ordnung hält wird es schon schief gehen.

 

Foto: Theresa Herzog

Ein Vater mit seinem Kind und dessen Eis gehen um mich herum und winken, zwei Männer sitzen auf der Treppe gegenüber und rauchen. Immer wieder vergesse ich, dass da diese Scheiben sind. Jetzt noch viel mehr, seit der Boden draußen genauso sauber ist wie hier drinnen. Der Holzboden geht direkt über in die Pflastersteine der Straße. Ein bisschen ist es, als würden wir alle gemeinsam hier drinnen sitzen. Nur der etwas gedämpfte Sound ihrer Gespräche und das nur leise zu vernehmende Wummern der Motoren verrät, dass sie doch weiter weg sind, als es scheint.

Ich schließe die Augen. Die Sonne scheint warm auf mein Gesicht. Ich lausche – vernehme das Rauschen der vorbeifahrenden Autos, die Stimmen des freundlichen Eisverkäufers von nebenan und der älteren Dame, die sich so sehr freut, dass sie endlich wieder sein Eis kaufen kann, nachdem er doch die letzten Wochen seinen Laden wegen der Pandemie vorerst schließen musste. Laut ihr ist es das beste Eis, da haben wir also richtig Glück gehabt mit der Ortswahl.

Was sie wohl heute noch vorhat, oder morgen. Ich schaue mich um und frage mich, was der Herr dort vor der Spielothek wohl bei seiner Zigarette denkt. Er betrachtet das Ladenlokal lange und skeptisch. Vielleicht kommt er ja irgendwann in den nächsten Monaten vorbei. Dann frag ich ihn mal, was er dachte, was wir hier so machen.

 

Foto: Theresa Herzog

 

Foto: Theresa Herzog

 

Foto: Theresa Herzog

 

Foto: Theresa Herzog

Eine Antwort zu Der gläserne Raum im Raum

  1. Axel Schweppe sagt:

    Danke Theresa für Deine Impressionen. Das macht Lust auf das NEUE!

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