Zeichnungen von Theresa Herzog

Kissen, Katze und Krieg – Ein roter und ein blauer Faden in den Straßen von Rheydt

am 15. Mai 2020 | in Allgemein, Resonanzen, Wagnisse des Neuen | von | mit 0 Kommentaren

Was macht das mit den Menschen, wenn sie kontinuierlich darauf hingewiesen werden, bitte Abstand zu halten? Führt die Verordnung physisch Abstand zu halten auch dazu, dass wir uns emotional weiter voneinander entfernen? Was bedeuten Gespräche in Zeiten wie diesen: Wird der Austausch miteinander über „Normales“ weniger wichtig? Von was werden Gespräche in der aktuellen Zeit getrieben außer von der Angst, der potentielle Auslöser einer Krankheit zu sein?

 

Rheydt, 08.05.20

Katze und Krieg sitzen gerade am Tisch unserer Rheydter Projektzentrale, als ich von der Bäckerei nebenan zurückkomme und mich riesig freue das altbekannte Gesicht zu sehen, was da vor der Tür steht – zumindest die eine Hälfte erkenne ich, die andere ist mit einer hellblauen Maske verdeckt, die mit großer Sorgfalt durch die Stickerei einer Blumenwiese verziert worden war. Zu ihrem Outfit ganz in Blau trägt Doro eine rote Clownsnase und reicht mir wortlos das Ende eines blauen Seiles. Damit könne man praktischerweise den Abstand zwischen zwei Personen bemessen und irgendwie doch eine Verbindung zur Begrüßung eingehen. Ich vermute, dass sie unter ihrer Maske lacht und fügt sie hinzu: „Man muss doch das Beste aus all dem hier machen?!“

Ich freue mich wirklich sehr, sie nach all der Zeit so froh und munter wiederzusehen. Sie, ihre Stickereien und sonstigen Handarbeitsfertigkeiten waren aus unserem letzten Ladenlokal schon zu einem frühen Zeitpunkt des Projektes nicht mehr wegzudenken.
Als sie später auf einem der blauen Kissen in der Sonne sitzt und eine Zigarette raucht, frage ich sie, was für sie überhaupt hinter diesem Wort „Resonanzen“ steckt.

Da sitzen wir, nebeneinander, jeder auf einem blauen Kissen und schauen dieses Wort an der Ladenfront ein paar Meter vor uns an. Claudia, Max und die anderen hatten die Kissen in der vorigen Woche auf der Treppe ausgelegt und den verordneten Abstand von 1,50 m zwischen den Sitzflächen mit Kreiden eingezeichnet. Entstanden war ein Muster, welches sich wie ein Raster über die Treppe vor unserer Projektzentrale erstreckte. Dazwischen die blauen Sitzkissen-Inseln.

An diesem Tag hatten nun zum ersten Mal auch unsere neuen Nachbarn ihr neues Ladenlokal geöffnet, welches direkt links neben unserem gelegen ist. Wortlos hatten sie das auf der hiesigen Seite der Treppe angefangene Muster auf ihrer Seite erweitert und grüne Kissen in die mit Kreide gezeichneten Quadrate hineingelegt. Wir mussten am Morgen jedoch feststellen, dass die Sitzkissen unserer Nachbarn um eine Schaumstoff-Unterlage ergänzt worden waren und somit deutlich mehr Sitzkomfort boten!

„Das ist für mich etwas, dass immer weiter schwingt. Irgendwie etwas, das wie Wellen funktioniert. Etwas, das sich Stück für Stück für Stück für Stück immer weiter ausbreitet, wie ein Bild, was sich auf dem Wasser ausbreitet. Ich glaub das ist eine Resonanz für mich…“, antwortet Doro mir auf meine Frage. Ich schaue nach links wo die Seite der blauen Kissen übergeht in die Fläche der mit grünen Kissen bestückten Treppe.
Da wächst etwas und breitet sich aus! Ist genau dort nicht etwas total Schönes passiert, ganz still und heimlich? Sind die Kissen nicht irgendwie eine wahnsinnig schöne erste Resonanz, welche dieser Ort nun bereits in der ersten Woche hervorgebracht hat?

Ich wandere mit meinem Blick zum Ende der Treppe und stelle mir vor, wie es wohl aussehen würde, wenn nun auch die dahinterliegenden Nachbarn das Muster um ein paar Sitzkissen-Inseln erweitern würden und die daneben Wohnenden auch und die daneben Arbeitenden auch und sich so die Kisseninseln Stück für Stück für Stück für Stück immer weiter über Rheydt ausbreiten würden…. Ha! Am Ende könnten alle RheydterInnen überall in den Straßen und alle im rechtmäßigen Abstand zueinander sitzen und miteinander reden. Eine Kissenwelle, die immer weiter wächst und die erst Rheydt, dann Mönchengladbach und dann die nächsten Städte „überschwemmt“ mit der Einladung sich gemeinsam hinzusetzen.

Am späteren Nachmittag folge ich Katze und Krieg durch die Straßen von Rheydt. Die beiden Künstlerinnen, die sich hinter diesem Namen verstecken, erscheinen genauso geheimnisvoll und vielversprechend, wie sie klingen. Der Name triggert: Er erinnert mich an ein Teeservice mit Katzenmotiv, eine starke anmutige schwarze Raubkatze und eben auch an Gewalt, Hass, Terror, Trauer und Tränen.

Sie hatten sich im Ladenlokal eingerichtet und bereits eine Nacht dort übernachtet. Heute gehen die Beiden auf Streifzug. Bei sich tragen sie ein großes Mikrofon an einer Stange, die genau so lang ist, dass der Mindestabstand eingehalten werden kann. Sie ziehen durch die Straßen, halten Ausschau und wollen in Kontakt treten mit den Menschen.

Ohne dass die Befragten es merken, ziehen die beiden einen roten Faden zwischen den einzelnen Personen, nehmen die Freude des Mannes, der gerade seinen Falafel isst mit zu der Frau, die dort auf der Parkbank sitzt. Nehmen ihre Trauer mit zu dem Herrn mit dem Fahrrad und machen eine Frage daraus. Niemand merkt, dass in jeder Frage, die sie stellen auch ein Stück der Antwort des zuvor Befragten zugrunde liegt. So ziehen sie ihren roten Faden durch die Straßen von Rheydt.

 

Ein Tag später…

Die Stimmen derjenigen, die gestern in den Straßen von Rheydt unterwegs waren, die Katze und Krieg begegnet sind und mit ihnen gesprochen haben, sind jetzt am Fenster unserer Projektzentrale zu hören. Sie zeichnen ein erstes Bild von dem Raum, inmitten dem wir uns hier befinden. Sie geben Einblicke in fröhliche Momente, traurige Begebenheiten und Banalitäten der Menschen von Rheydt. Sie geben Einblicke in das turbulente und ganz normale Leben Einzelner stellvertretend für das turbulente und ganz normale Leben an sich.

Katze und Krieg stellen den Menschen sehr persönliche Fragen. Obwohl in dem Moment völlig Fremde aufeinandertreffen, scheinen sie sich gegenseitig aufeinander einzulassen. Der physische Abstand zwischen ihnen scheint keine Rolle zu spielen. Die Gespräche zeichnen ein bewegendes Bild von Rheydt, nur aus Stimmen und persönlichen Geschichten, welches erwächst zu einem hoffnungsvollen Bild davon, dass Menschen trotz des physischen Abstandes immer noch den Austausch und die zwischenmenschliche Nähe auf emotionaler Ebene brauchen und suchen. Vielleicht sogar mehr brauchen, als sie es seit einer langen Zeit zuvor gebraucht haben.

Die Zeichnungen dieses Beitrages wurden von der Künstlerin Theresa Herzog vor Ort gezeichnet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

« »