Foto: Ruth Gilberger

Ungehinderte Raumerkundung?

am 13. Mai 2020 | in Allgemein, Resonanzen, Wagnisse des Neuen | von | mit 0 Kommentaren

Eine Aufforderung zum Schreiben.

An die möglichen Teilnehmenden meines Workshops „Literarische Raumerkundung“ (und andere)

Durch die Stadt wollen wir streifen. Flanieren. Unter Menschen sein. Verschwiegene Orte entdecken. Das Straßennetz durchkreuzen und große Plätze überqueren. Menschen nah sein. Auf Bänken wollen wir sitzen, in der Sonne. Neben anderen vielleicht. Leute vorübergehen sehen. Einem Parfüm hinterherträumen. Einen Song mitsummen, der aus einem Café zu uns herüberschallt. Atmosphäre spüren. Mit Haut und Haaren wollen wir dabei sein! Um später über all das zu schreiben, zu berichten, zu dichten.

Und nun?

Unsere Literatur-Tour ist für den 22. und 23. Mai geplant. Bis dahin werden wir noch nicht wieder frei und ungehindert im öffentlichen Raum unterwegs sein können, werden immer darauf bedacht sein müssen, Abstand zu anderen zu halten. Werden eventuell Masken tragen. Werden nur in kleinen Gruppen an einem Tisch sitzen und arbeiten können.

Doch das alles soll uns nicht vom gemeinsamen Schreiben abhalten!

Vielmehr nehmen wir diese besondere Situation auf und lassen sie in unsere Texte einfließen: die eigenartige Stimmung auf den Straßen – Misstrauen? Sorge? Euphorie? Geschlossene Geschäfte, die möglicherweise auch nie wieder öffnen, weil ihre Besitzer pleite gegangen sind. Menschen, die aufeinander zugehen, dann aber abrupt stoppen, weil sie sich an die Abstandsregel erinnern. Masken-Gespräche.

Und in der Zwischenzeit?

Greifen wir auf unsere Imagination zurück, auf unsere Phantasie, auf das, was wir mit uns tragen: Bilder, Töne, Gerüche – alles haben wir abgespeichert.

Erinnern wir uns!

Um künstlerisch tätig zu sein, brauchen wir das Leben. Das Leben führt uns zur Kunst, und die Kunst führt uns ins Leben. Dann wieder brauchen wir den Rückzug. Um Gedanken und Gefühle zu sortieren. Um zu reflektieren, zu interpretieren. Um Ruhe und Muße zu finden für die nächste Arbeit, das nächste Kunstwerk, das nächste Musikstück, das nächste Gedicht. Jetzt, wo wir möglichst noch zu Hause bleiben sollen, schöpfen wir aus unserer gedanklichen Fülle. Was haben wir in unseren Köpfen notiert, skizziert? Welche Bilder schieben sich vor unser inneres Auge? Denken wir gerne an die Begegnung mit jemandem zurück, beim Bäcker vielleicht oder als wir mit dem Hund im Park spazieren gingen? An einen Handschlag, eine Umarmung? Haben wir noch die Stimme der jungen Frau im Ohr, die laut telefonierend hinter uns im Bus saß? Oder den Geruch, der aus einem Restaurant drang, in der Nase? Gab es eine Situation, in der wir laut loslachen mussten? Oder eine, in der wir eine Gänsehaut bekommen haben?

Spielen wir mit diesen Erinnerungen!

Und dann schreiben wir kurze Geschichten dazu, lange Gedichte, ein paar Zeilen, ein paar Wörter, experimentieren wir. In der Stille und Abgeschiedenheit. Alleine.

Es wird uns gelingen, etwas aufs Papier zu bringen!

Wir schreiben, um nicht zu vergessen, wie das Leben da draußen läuft, wie es vor dem Lockdown lief. Um nicht aus der Übung zu kommen, jonglieren wir mit Worten. Um die Texte später wieder hervorzukramen. Um sie möglicherweise anderen zu zeigen oder vorzulesen.

Dann werden wir uns wieder begegnen – in natura – und zusammen arbeiten, künstlerisch tätig sein. Darauf freue ich mich!

 

Foto: Ruth Gilberger

 

 

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