Während die Kunst und Kultur lahmgelegt werden, verändern sich in der Pandemie private, öffentliche und virtuelle Räume. Neue Chancen werden eröffnet, neue Grenzen werden gesetzt.
Warum der öffentliche Raum aber trotzdem nicht zu ersetzen ist und gerade jetzt nicht aufgegeben werden sollte.
Die Haltung gegenüber dem Kunst- und Kulturbereich wurde ziemlich früh durch den spalterischen Begriff „systemrelevant“ klar. Wen das noch nicht aus der Fassung brachte, dann spätestens die zweite Welle, als erneut sämtliche Einrichtungen in diesem Sektor geschlossen wurden. Ich dachte da wären wir schon einen großen Schritt weiter, hätten den Konsens, dass Kunst und Kultur ein viel höheren Wert haben. Aber so wird man auf schmerzliche Weise eines Besseren belehrt. Mindestens genauso schlimm ist der duckende Umgang vieler Institutionen und was das Ganze mit dem Potenzial der Auseinandersetzung mit dem Außenraum macht
Der öffentliche Raum ist multifunktional. Er dient der Zirkulation von Verkehrsströmen, Menschen, Waren und Informationen. Er stellt Öffentlichkeit her, die nach der Theoretikerin Hannah Arendt Demokratie, durch Versammlungs-, Demonstrationsrecht und Meinungsfreiheit, sichert. Denkt an Proteste, Plakatierungen, Platzierungen, Mahnwachen und Unterschriftensammlungen. In Zeiten der Pandemie zeigen Institutionen wo sich dieser befindet: Er wird gekennzeichnet, eingeschränkt, abgeriegelt, polizeilich kontrolliert, sanktioniert. Der Risikofaktor im öffentlichen Raum wird plötzlich durch soziale Kontakte definiert, nicht mehr durch Straßenverkehr und Kriminalität.
Der digitale Raum. Virtuelle Räume sind nicht an Standorte gebunden. Ich kann an einem Seminar an der Hochschule in Mönchengladbach teilnehmen und kurz darauf einem Webinar in Berlin beitreten. Ich kann mir im Zug eine Vorlesung anhören oder auf dem Sofa Gremiumsarbeit machen. Das ist super für eine Leistungsgesellschaft, weil man so leicht mehr in seinen Tag packen kann. Dir geht es nicht so gut? Die nächste Sitzung ist doch nur ein Mausklick entfernt, danach kannst du direkt ein Homeworkout anschließen, während du ein Bananenbrot backst.
Digitalisierung löst Raumordnungen auf. Der digitale Raum ist seit Monaten so präsent wie nie. Die Grenzen zwischen privatem und digitalem Raum verwischen und existieren zur gleichen Zeit miteinander. Es ist Privileg, daran teilzunehmen. Welche Menschen haben Zugang zu diesen Räumen und wer fällt dabei hinten über? Wer nutzt diese Räume aufgrund seiner beruflichen Aufgaben oder persönlichen Lebenslage nicht? Es ist auch ein Privileg, den privaten Raum im digitalen Raum zu schützen und sich das Homeoffice auf 12 Quadratmeter WG- Zimmer im Pinterest- Stil einzurichten.
Wir haben sie alle gesehen, Streams und Webinare ohne Ende. Künstler:innen und Kulturschaffende, die sich kreative Formate überlegt haben. Es hat sicher seinen Reiz, diese Form zu entdecken. Videokonferenzen sind Teil der Lebensrealitäten von vielen Menschen und werden deshalb zu einem zu behandelnden Subjekt in der Kunst.
Aber wer übernimmt denn die Hegemonie im öffentlichen Raum, während wir im Internet „Ohne Kunst und Kultur wird’s still“ twittern? Speaking of Leipzig, Berlin, …
Wie paradox ist das denn, wenn sogar Hochschulen ihre Seminare zur Kunst im öffentlichen Raum in den virtuellen Raum verlagern und daraus „Online Performances“ machen? Kontakte sollen vermieden werden, das ist unbestreitbar, aber das bedeutet doch nicht im Umkehrschluss, dass deshalb keine Kunst mehr stattfinden darf. Kunst im öffentlichen Raum sorgt für Demokratisierung von Kultur und Interventionen im städtischen Raum. Das geht in keiner Videokonferenz.
Den gesamten Sommer über hatte ich während meines Praxissemesters bei den Rheydtern Resonanzen die Möglichkeit zu erfahren, wie wichtig es ist vor Ort zu sein. Die Menschen spüren zu lassen, dass man da ist. Sich nicht von den Umständen verstummen zu lassen.
Die Dinge gehen. Man muss ständig schauen, was erlaubt ist, was nicht, wo sich Schlupflöcher finden lassen. Auch das ist ein Privileg, diese Ressourcen zu haben. Aber wenn man sie hat, muss man sie nutzen. Denn es gibt keine sinnlichen Erfahrungen auf Zoom. Es gibt keine feinen Zwischentöne auf Jitsi. Es gibt keinen informellen Austausch auf Skype. Es gibt keine Raumsignale auf Webix. Es gibt kein sinnliches Erleben des öffentlichen Raums im Virtuellen. Und genau deshalb müssten alle demokratieerhaltenden Maßnahmen, wie die Kunst im öffentlichen Raum, „systemrelevant“ sein.