Sprechstunde: Der Abend der Welturaufführungen

am 26. Mai 2015 | in faktor kunst 2013, Public Residence: Die Chance | von | mit 0 Kommentaren

Der mit Spannung erwartete erste Abend mit Welturaufführungen wurde erfolgreich absolviert. Ein großes Wort – Welturaufführung – aber ebenso großmäulig wie wahr.
Die kleine Form des „Wohnzimmertheaters“ saugt Interessierte an. Die Reihen aus Holzkästchen mit kleinen Kissen, alten Sofas, Wohnzimmerstühlen und Behelfssitzplätzen wurde gefüllt, eine kleine Bühne ist montiert und Licht deutet auf die Szenerie.

22. März 2015

Aus gehörten Geschichten, Interviews und Gesprächen entstanden Dialoge. Josef und Jacek (klingt wie ein osteuropäisches Komiker- oder Pianisten-Duo) aus der Nachbarschaft präsentierten den ersten Text, „Der Ventilator“. Erstauntes Lachen und gebührender Applaus.

Der Bochumer Schauspieler Matthias Hecht und Kollegin Denise Rech präsentierten die anderen Premieren, zu denen auch „Szenen aus der Wirklichkeit“ gehören, die unter Mitwirkung des Publikums und trotz der vielen Rollen chaosfrei über die Bühne gehen.

„Schöner Abend“, ein wiederholt gehörter Satz.

Die anschließende Diskussion konzentriert sich darauf, ob man echte Namen besser nicht nutzen solle. Richtig. Das werden wir beim nächsten Mal vermeiden. Wie öffentlich ist eigentlich die Sprechstunde? Ab wann ist was wie öffentlich? Antworten offen.

Abendprogramm:

Einführung
Musik
Dialog 3 – Josef und Jacek – „Ventilator-Versammlung“
Dialog 1 – Rolf – „Kommt alle!“
Dialog 2 – Matthias und Denise – „Die Hose im Baum“
Dialog 4 – Matthias und Denise – „Das Paar“

Einführung
Szene 1 – Matthias, Denise, Publikum – „Beim Frisör“
Szene 2 – Matthias und Denise und Publikum – „Eines Tages im Kiosk“
Szene 3 – Matthias, Denise, Josef, Publikum – „Drogen“


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Foto: Rolf Dennemann

Die Ventilator-Versammlung

Autor: Rolf Dennemann, nach einer erzählten Begebenheit von Josef Toth aus der Nachbarschaft.
Darsteller: Jacek W. spielt Jacek und Josef T. T. spielt Josef. Jacek spricht mit leicht polnischem und Josef mit leicht ungarischem Akzent.

Jacek sitzt da und wartet. Er telefoniert.
Jacek: Geh dran, Mann!
Nach kurzem Warten.
Jacek: Hier bin ich. Du gehst nicht dran. Ich bin hier und warte.
Er legt auf…
Jacek: Der Pole ruft an und der Ungar geht nicht dran. So kommen wir politisch nicht weiter.
Josef kommt hineingehetzt. Setzt sich. Begrüßt Jacek mit Umarmung.
Jacek: Warum bist du nicht dran gegangen?
Josef: Wo dran?
Jacek: Na, ans Telefon.
Josef: Ich konnte nicht drangehen. Ich war im Bad. Was war denn?
Jacek: Ich hätte gesagt, dass ich hier bin und Du nicht.
Josef: Aber jetzt bin ich doch da.
Jacek: Ja.
Josef: Also, nicht da. Ich bin jetzt hier.
Jacek: Was war denn, dass Du erst jetzt hier bist?
Josef: Mein Ventilator im Bad war stumm.
Jacek: Stumm? Du meinst: nicht an?
Josef: An ja, er war an, aber er lief nicht.
Jacek: Wie kann er an sein und nicht laufen?
Josef: Man hörte immer so ein Tack-Tack.
Er macht eine stockende Kreisbewegung mit einem Finger und immitiert damit den fehlerhaften Ventilator, der wie bei einem Sprung in der Platte festhängt.
Jacek: Oder so ein Tack-Tack?
Er wiederholt Josefs Geste, führt den Finger dabei aber in die andere Richtung, will ihn auf den Arm nehmen.
Josef: Jetzt sei mal höflich. Ein Bad ohne Fenster braucht die Luft.
Pause.
Jacek: Läuft er jetzt wieder?
Josef: Ich weiß es nicht genau.
Jacek schaut fragend.
Josef: Ich hab den Hausbesitzer, den Üzgür, angerufen. Der sagte, er will sofort kommen. Fünf Minuten später klingelt es und er hat sich die Chose angesehen und meinte, dass der Ventilator ja nur noch Tack-Tack macht, sich aber nicht bewegt. Er will seinen Bruder fragen, der kennt sich mit den Geräuschen aus. Er ruft also seinen Bruder, den Ali an. Fünf Minuten später war er da und brachte einen Schraubenzieher mit.
Jacek: Aha, ein Fachmann. Und dann hat er das schnell repariert?
Josef: Nicht direkt. Erst kamen noch seine Cousinen, seine Schwester und dann seine Frau mit seinem Schwager, den Brüdern seines Schwagers.
Jacek: Hast Du dann schnell eine Ventilator-Party gemacht?
Josef: Der Türke braucht seine Familie, so wie ich den Ventilator und Du Deine Piroggen.
Jacek: Zehn. Also zehn Personen. In Deiner Wohnung am Sonntagnachmittag.
Josef: Es waren elf und alle in meinem Bad.
Jacek: Tack-Tack.
Jacek macht eine Wischbewegung vor dem Kopf.
Josef: So, was liegt an, Kollege?
Jacek: Ich habe eine neue Geschäftsidee.
Jacek flüstert Josef etwas ins Ohr. Jacek flüstert zurück. Sie nehmen sich ein Bier und prosten sich zu in ihren Landessprachen.

Ende –

 

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Foto: Rolf Dennemann

Die Hose im Baum

Autor: Rolf Dennemann, nach einer Beobachtung von Nora Reul aus der Nachbarschaft.
Darsteller: Matthias und Denise.

Mann und Frau in der Wohnung. Sie setzen sich. Schauen. Sie reden nicht viel im Tagtäglichen.
Er: Hattest Du einen schönen Tag?
Kurze Pause, die in der Folge immer ca. 5 Sekunden dauert.
Sie: Ja.
Pause.
Er: Was hast Du gemacht?
Sie: Aus dem Fenster geschaut.
Kurze Pause.
Er: Aus dem Fenster Schauen? Mmh. Das ist ja mal ein Fortschritt. Sonst schaust Du ja nur auf Deine Displays.
Sie: Blablabla…
Kurze Pause.
Er: Was siehst Du denn, wenn Du aus dem Fenster schaust?
Sie: Einen Baum.
Er: Platane oder Eiche, Linde oder Buche?
Sie: Einen Baum mit Ästen. Groß. Braun-grün.
Er: Und sonst?
Kurze Pause.
Sie: Eine Hose. Eine Unterhose.
Er: Eine Unterhose. Wo?
Sie: Im Baum. Sie hängt im Baum.
Er: War es windstill? Dann flatterte sie also nicht, die Unterhose.
Er geht zum Fenster und schaut. Kommt zurück, überlegt.
Sie: Und?
Er: Sie hängt noch da. Wie eine Frucht. Vielleicht ist es ein Hosenbaum.
Er lacht.
Sie: Ich wohne in einer Gegend, wo Unterhosen im Baum hängen.
Er: Es war bestimmt ein Notfall. Oder er hat vor lauter Fröhlichkeit und Glück seine Hose aus dem Fenster geworfen. Freiheit! Weg damit! Wie damals ihr Frauen mit den Büstenhaltern.
Sie: Was?
Er: In den 60-, 70ern. Freie Liebe und so.
Pause.
Er: Oder die Hose hat fliegen wollen wie ein Vöglein, hinaus in die Welt. Hast Du mal hingehört? Vielleicht zwitschert sie? Oder sie ist vom Himmel gefallen. Orgien auf Wolke Sieben. Hast du mal auf andere Bäume geschaut? Vielleicht wimmelt es hier von umherfliegenden Unterhosen. In der Gegend! Vorstellbar. „Tal der fliegenden Unterhosen“. Das wäre ein Touristenziel. „Schaut“ Dort oben wieder eine, eine rosafarbene mit einem Elefanten drauf! Und die Kinder reimen Reime. Und einer erfindet eine App zur Ortung von fliegenden Slips. Slip-App.
Sie: Warst Du eigentlich schon mal so ausgelassen, wenn wir…
Er: Was meinst Du? Du möchtest, dass ich meine Unterhose hinausschleudere?
Sie: Damit würdest Du mir Deine Freude und Dein Glück zeigen.
Er: Bei geöffnetem Fenster?
Sie: Ja.
Sie steht auf, tut so, als habe sie eine Hose in der Hand und schleudert sie.
Sie: Yippie! Freiheit! Weg damit!
Er: Was ist los? Stehst Du unter Drogen?
Sie: Du machst ja sogar das Licht aus, bevor Du sie ausziehst.
Er: Ist das überhaupt eine Herrenunterhose in dem Baum?
Er geht nochmal schauen. Sie setzt sich eine Sonnenbrille auf, nestelt an ihrer Tasche. Er kommt zurück. Erkenntnisreich.
Er: Sie hat rote Ränder am Bein und hat mich 12,99 gekostet bei H&M.

– Ende –

Fotos: Jullian Sankari (oben) und Rolf Dennemann

 

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