Es kommen Gäste. Wie viele werden es sein? Wie gestalte ich die Sitzgelegenheiten? Ist die Kaffeemaschine zu laut? Es ist 17.45 Uhr und der Beamer erwärmt sich. Hoffentlich auch bald der Raum.
15. Februar 2015, 18 Uhr
Ein Ladenlokal, ein temporärer Leerstand, wo früher Obst und Gemüse, alte Lampen und Möbel verkauft wurden, ist der Treffpunkt für Bürgerinnen und Bürger, die Sonntagsnachmittag nichts Besseres zu tun haben, als sich dort einzufinden, um an einer dieser Sprechstunden teilzunehmen, wo der Künstler präsent ist und Kommunikation betreibt. Neugier, Interesse und zu vertreibende Ahnungslosigkeit treiben die Menschen an, ins Lokal zu treten. „Guten Abend. Schön, dass Du da bist“, so wird man auch in den Kosmetikläden von „Lush“ begrüßt. Man duzt sich. Man wird ja absehbar zu einem eingeschworenen Kreis derer, die wollen, dass sich etwas verändert, bei sich selbst, im Wohnviertel oder gar in der ganzen Welt. Der Kreis soll sich vergrößern, bis er an den Rändern ausfranst und zu einer unkontrollierbaren Größe wird. Klischeeunterwanderung.
Ein Sofa, mehrere Sessel und Stühle stehen im Halbkreis, der vergrößert wird, sich zu einem Oval erweitert. Ein paar neue sind da, junge Leute. Gespräche werden in Gang gesetzt. Was ist die Sprechstunde? Erklärungsversuche zu einer offenen Veranstaltungsform. Es herrscht eine angenehme Atmosphäre. Die Erwartungen liegen in der Luft, aber leicht wie ein paar kleine Wölkchen am ansonsten klaren Himmel.
Mit dem Thema Drogen fahren wir in eine Einbahnstraße. „Was siehst Du, wenn Du aus Deinem Fenster schaust?“ „Bäume und eine Unterhose“, sagt die junge Frau, die Kunst und Pädagogik studiert. Ein Kreativschub über die Hose. Die Unterhose zieht sich thematisch durch den Abend. Fast alle sehen Bäume, wenn sie aus dem Fenster schauen. Matthias wird vorgestellt, Schauspieler aus Bochum, der in Zukunft ab und zu dabei sein wird. Wir hecken was aus. „Einkaufen im Viertel“ wird als Talk-Show-Thema angekündigt. Wo bleibt die Kunst? Sie krabbelt sich durch Ritzen und an Themen entlang, langsam aber stetig, steigt empor und ruht dann wieder in einer Sofaritze.
Wie Eingriffe ein Bild verändern können, zeigt sich in einem Film, der am Borsigplatz gedreht wurde – mit Tänzerinnen und einer Schwindel erregenden Kamerafahrt. Das gleiche Material, einmal mit Drehorgelmusik, einmal mit dem Gesang von Frau Bertoli unterlegt – Klassik und Alltagsbilder. Schon wähnt man sich an einem anderen Ort. Auch das könnte man ins Ladenlokal bringen, die verfremdete Realität.
Der Ungar Joszef kommt zurück. Er wohnt um die Ecke. Sein Ventilator im Bad war defekt und er erzählt, wie eine Gruppe Zuständiger immer größer wird und sein Bad bevölkert. Es gab ein Familientreffen des Eigentümers in seinem Bad. Er ist zurück, der Ventilator dreht sich wieder, macht aber ein merkwürdiges Geräusch. Vielleicht wurde der Ventilator künstlerisch repariert.
„Wo sind die migrantischen Mitbürger?“, sehe ich jemanden denken. Wir diskutieren noch über das Verbringen von Zeit, über Arbeit und das Rumhängen. Hin und wieder unterbricht die Kaffeemaschine mit einem international bekannten Geräusch.
Das Vorhaben
Es könnte ein Drehbuch entstehen, ein Hörspiel oder gar Theaterszenen. Dazu lädt der Autor, Regisseur und Schauspieler Rolf Dennemann sonntäglich um 18 Uhr die Bewohner um den Dortmunder Borsigplatz ins „Ladenlokal 103“, in die Oesterholzstraße 103 ein. „Sprechstunden“ nennt Rolf Dennemann dieses Format, welches im Rahmen des Kunstprojektes „Public Residence: Die Chance“ stattfindet. Ein Raum wird geschaffen, der ein Bürgertreff ist, aber andere Wege geht. Austausch steht hier an erster Stelle: das Erzählen, Zuhören und Präsentieren. Die Kunst spielt dabei eine große, wenn auch unaufdringliche Rolle. So sollen Geschichten nah an der Lebensrealität der Bewohner und Besucher – wird Alltägliches – in Kunst verwandelt werden. Die Texte, die dabei entstehen, nennt er „Borsig-Blinks“.
Foto: Guido Meincke