Foto: Volker Hartmann Langenfelder

Straßenfunk

am 16. April 2020 | in Allgemein, Neuland, Resonanzen, Wagnisse des Neuen | von | mit 0 Kommentaren

Radioworkshop und temporär kleinster Radiosender Deutschlands

November 2019, einer der ersten richtig kalten und grauen Tage des beginnenden Winters. Mit dem Auto unterwegs von Mannheim nach Mönchengladbach, freue ich mich auf ein Treffen mit dem Organisationteam des Projekts „Neuland“, das in diesem Jahr in Mönchengladbach-Rheydt stattgefunden hatte. Zusammen mit diesem Team, Künstlerkollegen und Teilnehmenden des Neulandprojekts, sollen Ideen für das kommende Projekt, Resonanzen, gesponnen werden.

Ab Koblenz wird der Himmel immer grauer, und spätestens auf der Höhe von Kerpen fängt es tatsächlich an zu schneien. Und je trüber und ungemütlicher das Wetter, desto unwohler wird mir in meiner Haut. Kann ich als interdisziplinärer Künstler, der sich aktuell hauptsächlich mit abstrakten Klang- und Rauminstallationen befasst, wirklich etwas Sinnvolles zu den Resonanzen beitragen?

In meiner Arbeit bin ich den direkten Austausch mit anderen nicht gewohnt. Auch wenn ich teils immersive Rauminstallationen schaffe, die ohne Menschen nicht funktionierten; sobald mein Teil der Arbeit beendet ist, ziehe ich mich zurück und übergebe den Raum dem meist fachkundigen oder zumindest kunstaffinen Publikum. Und was verbinde ich mit dem Begriff Resonanzen? Als Klangkünstler denke ich an ein Instrument, den Klangkörper einer Gitarre etwa, der mit den Saiten mitschwingt und deren Schwingung in runden, vollen Klang übersetzt.

Aber welche Saite kann ich bei den Rheydter Resonanzen anschlagen? Was soll soll der Klangkörper sein? Treffe ich den richtigen Ton? Und wie wird er, von welchem Klangkörper auch immer, übersetzt und transportiert werden? Bis ich in Rheydt ankomme, stehe ich vor einer schier unüberwindlichen Wand von Zweifeln und Fragen. Und es ist eine alte Dame, die um die Ecke des ehemaligen Ladenlokals wohnt, in dem unser Treffen stattfindet, die diese Wand binnen Sekunden zum Einsturz bringt. Ich nutze eine Pause, um vor der Tür etwas frische Luft zu schnappen, da kommt sie langsam, ihren schweren Einkaufswagen hinter sich her ziehend, die Fußgängerzone entlang in meine Richtung gelaufen. Wenige Meter von mir entfernt stellt sie den Wagen sichtlich erschöpft ab und legt eine Verschnaufpause ein. Ich spreche sie an, ob ich helfen könne. Nein, nein, sie habe nur mal wieder viel mehr eingekauft, als auf ihrem Einkaufszettel gestanden hätte. Aber ihr Sohn habe morgen Geburtstag und da muss sein Lieblingsessen gekocht werden. Und ein paar Extras müssen natürlich auch noch auf den Tisch. Fünfzig wird er. Es dauert nicht lange und ich weiß, dass sie seit siebzig Jahren Fan der Borussia ist. Dauerkarte hat sie in ihrem Alter natürlich nicht mehr. Unter ihr wohnt eine türkische Familie, und wenn die kocht, das riecht so lecker, das sagt sie dann auch immer. Dann bringt man ihr oft einen Teller nach oben. Klar, dass sie vom Sonntagskuchen auch was nach unten bringt. Und die Frau dort drüben am Trödelstand … So geht es noch eine zeitlang weiter und mir wird klar, ich muss in Rheydt gar keine Saite anschlagen, keinen Ton treffen, der dann hoffentlich auch gut klingt. Der Ort selbst schwingt, erzeugt Resonanzen aus sich heraus, offensichtlich positive und sicherlich auch negative. Ich muss hinhören, zuhören und allenfalls unterstützen, die vorhandenen Schwingungen zu verstärken und hörbar zu machen.

Was eignet sich dazu besser als Radio, ein Medium, das in seinen Anfangszeiten im Do-it- Yourself-Verfahren überwiegend von Amateuren entwickelt wurde, um sich darüber mitzuteilen? Das einfach zu erlernen und demokratisch ist, weil es nur geringer Mittel bedarf, es sich anzueignen. Das es auf einfache Weise ermöglicht, die eigen Geschichte zu erzählen, anstatt Geschichten über sich erzählt zu bekommen. Radio kann das Gewicht der eigenen Stimme ins Bewusstsein bringen. Räumlich begrenzt, sicherlich, aber auch hier lässt sich mit ein wenig subversivem Elan die Reichweite erhöhen.

Deshalb die Idee einen Radioworkshop zu initiieren und mit dem Straßenfunk, temporär, den kleinsten Radiosender Deutschlands ins Leben zu rufen. Einen einfachen digitalen Rekorder zum Aufzeichnen von O-Tönen und Soundscapes, einen alten Laptop zur Audiobearbeitung und einen winziger FM-Transmitter, mehr braucht es nicht. Und da diese einfache Technik auch nach dem Radioworkshop vor Ort bleibt, kann und wird der Straßenfunk am Ende hoffentlich unabhängig von mir weiter betrieben werden. Ich bin gespannt!

 

Foto: Volker Hartmann Langenfelder

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