Das Verhältnis von Demokratie und Kunst ist nicht leicht zu durchschauen. Beide stehen füreinander ein, werden bisweilen wechselseitig in die Pflicht genommen, lassen sich aber nicht aufeinander reduzieren. Beide unter einen Hut zu bringen, ohne die eine oder die andere zu banalisieren, ist nicht einfach. Vor besonderen Herausforderungen steht dabei die partizipative Kunst. Die folgenden fünf Beobachtungen können die Lage nicht restlos entwirren, aber vielleicht ein paar Knoten lösen.
- Partizipative Kunst und Demokratie sind sich ähnlich: Dass partizipative Kunst und Demokratie sich in vielen Hinsichten ähneln, liegt auf der Hand. Beide brauchen die Öffentlichkeit und beziehen sich auf ein Gemeinwesen, beide setzen Freiheit voraus, beide sind inklusiv, fragil und ergebnisoffen.
- Partizipative Kunst und Demokratie sind gegensätzlich: Ebenso offensichtlich sind die Unterschiede. Im Gegensatz zu demokratischen Verfahren streben partizipative Kunstprojekte nicht nach Lösungen und Konsens, sondern irritieren und provozieren. Partizipative Kunst will die Gesellschaft nicht ordnen und kollektiv verbindliche Regeln schaffen, sondern Unbestimmtheiten und Sinnüberschüsse erzeugen. Sie operiert nicht mittels politischer Macht, sondern beeinflusst ihre Kontexte mittels Ästhetik.
- Partizipative Kunst und Demokratie sind einander nützlich: Wenn vom Verhältnis von partizipativer Kunst und Demokratie die Rede ist, geht es meist um wechselseitige Leistungen. Die Kunst soll im Sinne einer demokratischen Kultur mobilisieren und diese stützen, indem sie irritiert, Emotionen weckt, Pluralität wahrnehmbar macht, auf Missstände hinweist, Gesellschaftsfiktionen entwirft und vieles andere mehr. Andersherum soll demokratische Politik der Kunst Handlungsräume öffnen und Freiheit garantieren. All dies ist wichtig, kann aber partizipativen künstlerischen Formaten nicht genügen: Versteht sich partizipative Kunst vorrangig als nützliche Leistungserbringerin, verschwimmen leicht die Grenzen zu politischer Bildung, sozialer Arbeit und ähnlichem. Um glaubhaft für ein demokratisches Gemeinwesen eintreten zu können, muss sie ihre künstlerische Autonomie behaupten und braucht dafür eine eigene demokratische Qualität.
- Das Konzept der »Betätigungsdemokratie« bietet Orientierung für eine künstlerische Aneignung von Demokratie: Der französische Historiker und Politikwissenschaftler Pierre Rosanvallon versteht Demokratie als Gesellschaftsdemokratie und begreift das Politische auch jenseits von Formalstrukturen als Form des Zusammenlebens in einem Gemeinwesen. Sein Konzept der »Betätigungsdemokratie«, das auf das Verhältnis von Regierenden und Regierten blickt, bietet partizipativer Kunst wertvolle Impulse, um ihr eigenes Tun demokratisch zu reflektieren und eigene Formen zu entwickeln. Zentral sind dabei vier Prinzipien, die Rosanvallon für die Gestaltung demokratischer Gesellschaften einfordert und die sich für die Kunst übersetzen lassen: Lesbarkeit meint Sichtbarkeit und Transparenz, aber auch ein aktives Interpretationsverhältnis zwischen Künstler:innen und all jenen, die auf vielfältige Weise an partizipativen Projekten mitwirken. Verantwortung impliziert eine hohe Sensibilität für Kontexte, Publika und Wirkungen. Responsivität steht für ein aktives Hineinhorchen in die lokalen Projektkontexte mit dem Ziel, auch Antworten auf jene Fragen zu formulieren, die (noch) nicht gestellt wurden. Authentizität umfasst Aufrichtigkeit über die eigenen Ziele und Glaubwürdigkeit bei deren Umsetzung vor Ort.
- Partizipative Kunst findet ihre Autonomie durch eine eigene Balance: Allen Prinzipien gleichzeitig gerecht zu werden, ohne das künstlerische Moment zu unterlaufen, gelingt kaum. Jedes einzelne Projekt lässt sich aber danach befragen, in welche spezifische Balance es die Prinzipien Lesbarkeit, Verantwortung, Responsivität und Authentizität bringt. In dieser Balance, die stets dynamisch ist und immer wieder neue Formen annimmt, finden partizipative Kunstprojekte ihre eigene demokratische Qualität und markieren zugleich künstlerische Autonomie.
Die losen Enden der möglichen Entwirrung des Knotens werden als roter Faden in die weitere Arbeit der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft integriert und durch Projekte, Aktionen und Interventionen weitergesponnen – und vielleicht wird so aus dem Wirrwarr von Kunst und Demokratie ein Muster und Netz der Bezüge und Relationen.

Aus: Knotakte, partizipativer Workshop von Deborah Jeromin und Katrina Blach anläßlich der „Greifswalder Resonanzen“, 2021 Foto: Ruth Gilberger
Zum Weiterlesen:
Gilberger, Ruth/Herzog, Theresa/Moser, Evelyn (2024): »Verflechtungen von Kunst und Demokratie: Über den partizipativen Ansatz der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft«. In: eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 12/2024, 19.12.2024. Online verfügbar unter: https://www.buergergesellschaft.de/fileadmin/pdf/gastbeitrag_gilberger_herzog_moser_241219.pdf
Rosanvallon, Pierre (2016): Die gute Regierung, Hamburg: Hamburger Edition.