"Maria macht Pause." Eine künstlerische Intervention der Künstlerinnen Julia Scherzl und Evi Blink im April/Mai 2022 in Rheydt im Rahmen von "ÜBENÜBENÜBEN³". Foto: Julia Scherzl und Evi Blink.

Da, wo das Flatterband ist – auf der anderen Straßenseite.

am 06. Mai 2022 | in Allgemein, ÜBENÜBENÜBEN³, Wagnisse des Neuen | von UND | mit Ein Kommentar

Evi Blink und Julia Scherzl arbeiten und leben in Köln. Seit April wohnen sie im Rahmen des Mentoring-Programms ÜBENÜBENÜBEN³ nun für zwei Monate in Rheydt und beginnen ihre künstlerische Erforschung des Maria-Lenssen-Garten mit einer visuellen Sperrung des halböffentlichen Parks. Im Folgenden berichten sie von dieser Unternehmung, ihren ersten suchenden Schritten vor Ort, von Irritationen vor, hinter und durch einen Zaun hindurch und vom ersten gemeinsamen Umtrunk.

 

„Äh? – Wo geht’s hier denn zum Maria-Lenssen-Garten?“

„Keine Ahnung – wo soll der sein?“

„Warum finden wir den nicht?!!“

 

Die erste Suche nach dem Eingang: Wir scheitern kläglich. Auch unsere Nachfragen helfen uns nicht weiter.

Und dann steht da der ZAUN…

Zur Mühlenstraße mit einem Metallzaun abgegrenzt, zur Werner-Gilles-Straße durch eine unscheinbare Holztür verschlossen, bleibt der Garten für uns und auch für andere Vorbeikommende von der Straße aus unentdeckt. Schade eigentlich, denn hinter seinen Grenzen zeigt er sich romantisch verwunschen, mit alten Bäumen und historischer Bauhausarchitektur gestaltet. Der erste Eindruck: Ein „Secret Garden“ mitten in Rheydt. Jetzt kennen wir den Weg!

Nicht mehr ganz so desorientiert wie auf der ersten Suche, kommen wir ein paar Monate später mit einem Sprinter voller bunter Dinge an.

Im Rahmen des Mentoring-Programms „ÜBENÜBENÜBEN³“ der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft sind wir angereist, um für zwei Monate den Garten mit partizipativen und künstlerischen Methoden zu bespielen. Einquartiert im denkmalgeschützten Schülerinnenwohnheim direkt im Garten werden wir zu temporären Anwohnerinnen mit der Aufgabe hier den Garten ein Stück für die Nachbarschaft zu öffnen.

Maria Lenssen war Begründerin der staatlichen Handels- und Gewerbeschule für Mädchen. Der früher bewirtschaftete Garten der Schule und die Wohnanlage haben mit der kleinen Holztür ebenfalls einen Eingang auf Seite des heutigen Maria-Lenssen-Berufskollegs.

 

Visuelle Sperrung des Eingangs Maria-Lenssen-Garten Mühlenstraße. Foto: Evi Blink und Julia Scherzl.

 

Wir fragen uns:

Wer nutzt überhaupt diesen Garten? Sind es die Schülerinnen und Schüler? Wer könnte von den künstlerischen Angeboten profitieren bzw. wen würde das interessieren? Anstatt erstmal ewig lange Interviews zu führen mit der Nachbarschaft, wer jetzt den Garten nutzt oder nicht, haben wir uns die Freiheit genommen, uns dieser Frage mit einem etwas radikaleren Unternehmen anzunähern. Eine Schließung des Gartens sollte es sein, nach dem Motto: wir nehmen etwas weg, was schon existiert, um zu überprüfen, ob anderen der Garten überhaupt fehlen würde?

Eine absolute Schließung des Gartens ist leider nicht möglich, denn das Wohnheim liegt ja innerhalb der abschließbaren Grenzen und wird aktuell bewohnt. Trotzdem: Wir wollen uns von einer Sperrung nicht abhalten lassen und sperren „visuell“ den Zaun an der Mühlenstraße. Wir wollen Irritation hervorrufen und ein sichtbares Signal nach außen senden. Der Zaun: zwanzig Meter lang, zwei Meter hoch, Metall, eine Toreinfahrt, ein Briefkastenelement mit 30 Briefkästen, eine Eingangstür, die gelegentlich abgeschlossen ist.

 

Maria macht Pause: Die Künstlerinnen pausieren am Zaun. Foto: Julia Scherzl und Evi Blink.

Mit blauer Arbeitskleidung eingedeckt, mit rot-weißem Flatterband, blauer Plane und Baustellenschild ausgerüstet, bedienen wir uns der klassischen Baustellenästhetik.

Es dauert nicht lange und wir erhalten Reaktionen.

„Was soll das denn werden?“

„Soll ich mein Auto wegfahren?“

Die Irritation scheint zu klappen. Jetzt liegt es an uns die Gespräche aufrecht zu halten und zu vertiefen. Einem Nachbarn gestehen wir den wahren Grund unserer Aktion. Er lässt sich auf einen intensiven Austausch mit uns über den kaum bewusst genutzten Garten und den un-einladenden Zaun ein. Wir erfahren, dass der Zaun auch eine Schutzfunktion hat und zugleich dem Garten eine unfreundliche Außenwirkung vermacht.

Was wäre, wenn der Zaun nicht wäre?

Wen schützt der Zaun und wen grenzt er ab?

Allmählich kommen wir der Bedeutung des Zauns näher.
Unsere Annäherung an den Garten durch seine Grenzen klingt plausibel. Hier können wir vielleicht die Bedeutung des Gartens für die Nutzenden erfassen.

Mit der visuellen Sperrung des Zauns an der Mühlenstraße beginnt die erste Phase der künstlerischen Recherche um den Garten. Für die nächsten drei Tage kommen wir als Handwerkerinnen mit Pausenbrot und Thermobecher zum Zaun, haben unsere Handwerkertools in der Tasche und pausieren.

 

Fail Vollsperrung!

Nach drei Tagen Pausieren am Zaun, wollen wir eine Vollsperrung des Eingangs an der Mühlenstraße inszenieren, um die visuelle Sperrung noch einmal zu erhöhen. Wir erhoffen uns mehr Irritation und mehr Gesprächsanlässe. Leider kommt unsere inszenierte Vollsperrung samt Umleitung so realistisch einher, dass wir gar nicht mehr irritieren. Wir leiten erfolgreich Passantinnen um, ohne Wenn und Aber. Hatten wir zu viele reale Tools am Set? Wo waren die künstlerischen Strategien? Sind sie uns abhanden gekommen? Ein Trost an diesem Tag ist allerdings, dass wir alle umgeleiteten Personen einen etwa 4 Minuten Weg durch den Garten schenkten und sie vielleicht auf bisher unbekanntem Pfad den anderen Ein/Ausgang entdeckt haben.

 

„Maria macht Pause“

Die Pausenzeit vor dem Zaun bedeutet nicht nur ein Verweilen an der Grenze des Gartens, sondern vor allem das Treiben zu beobachten und beobachtet zu werden.

Das Pausieren nutzen wir als bewussten Moment der Beobachtung, um zu protokollieren und Gespräche weiterzuführen. Der Nachbar, der sich bereits am vergangenen Tag einem intensivem Austausch mit uns widmete, kommt erneut auf uns zu und gibt bekannt: „Die Idee vom Zaun weg ist gut, wie machen wir das?“

Etliche Pausengespräche später, zeigt sich der Zaun als streitbares Objekt zwischen Schutz und Grenze. Dem muss nachgegangen werden – wir gründen eine IG-Zaun und sind auf Instagram zu finden unter @maria_macht_pause.

 

Ankündigungsplakat zum IG-Zauntreffen am Zaun des Maria-Lenssen-Gartens in der Mühlenstraße. Foto: Julia Scherzl und Evi Blink.

 

Was passiert, wenn zwei Künstlerinnen eine IG-Zaun gründen?

Um ein konkreteres Stimmungsbild zum Zaun einzuholen und einen gemeinsamen Diskurs über die Bedeutung des Zauns für die Nachbarschaft zu starten, gründen wir die IG-Zaun. Vor allem wollen wir uns den Fragen stellen: „Was schützt der Zaun und was begrenzt er? Wie trifft hier privater und öffentlicher Raum aufeinander?“

Auf unserem Instagram-Account von maria_macht_pause werden wir darauf hingewiesen, dass der Zaun ebenfalls denkmalgeschützt ist.

Denkmalschutz?? Wieso das denn?

Uns erreichen weitere skeptische Anmerkung vor dem angekündigten Treffen. Wir reagieren mit einem eindeutigen Zeichen, dass wir den Hinweis des Denkmals verstanden haben.

 

„Heute bin ich kein Zaun, heute bin ich ein Denkmal!“

steht auf einem in Goldfolie gerahmten Schild am Zaun, darunter zwei Säulen aus Pappe. Unter diesem Motto starten wir unser erstes IG-Zaun-Treffen am 28.4. und laden Anwohnende und Akteure um den Garten ein, mit uns zu diskutieren und eine gemeinsame Recherche zu betreiben.

Unsere Message soll klar werden: Wir werden den Zaun nicht abreißen, aber wir wollen ihn zur Diskussion stellen. Der Garten hat ein freundliches Gesicht nach außen verdient. Vielleicht lässt sich der Zaun ja darauf ein, etwas verändert zu werden. Schließlich hängt an ihm auch ein Zigarettenautomat, der sicher nicht unter Denkmalschutz steht.

Auch das Briefkastenelement für die Anwohnenden der Mühlenstraße 33 wurde nachträglich hinzugefügt und hilft nicht gerade dabei, das Gelände als öffentlichen Raum zu erkennen. Was kann er noch, der Zaun? Heute dient er uns als Pinnboard für Antworten und Ideen, als Sammlung von Inspirationen und Timeline. Wir freuen uns über insgesamt 10 Teilnehmende an diesem Abend: Anwohnende, Aktive aus der Arbeitsgruppe Maria-Lenssen-Garten, eine Mitarbeiterin für Denkmalschutz, ein Vertreter des Quartiersmanagements, Bewohner vom Wohnheim, Vertreter der Gebäudeverwaltung. Es wird durch „den Zaun gesagt“ und beantwortet: Welche Grenzen hat dieser Ort für dich?
Die Teilnehmenden unterhalten sich durch den Zaun über den Zaun. Alle 3 Minuten einen Platz weiter. Entwürfe der Veränderungen  werden gezeichnet, Werbeslogans für den Garten entwickelt. Die Stimmung ist angenehm und gemeinschaftlich.

 

IG-Zaun Treffen am 28.4.22, Gespräche über den Zaun am Zaun. Foto: Ruth Gilberger.

Nachdem offiziellen Teil geht der rege Austausch über den Zaun weiter. Überraschend viel Aufmerksamkeit hat er erregt. Nachdem die anfängliche Skepsis abgelegt ist, wird nun über Möglichkeiten der Veränderung gesprochen. Ganz so starr scheint der Zaun wohl doch nicht zu stehen. Was wir mit diesem Abend erreicht haben, ist ein Perspektivwechel. Vom Vertreter der Gebäudeverwaltung bekommen wir das Feedback, er würde den Zaun nun auch mal von der anderen Seite betrachten, von der Straßenseite und nicht nur aus der Sicht der Gebäudeverwaltung. Vielleicht macht die Abgrenzung ja auch gar nicht so viel Sinn?

Die Frage nach dem Anderen werden wir mit einer beispielhaften Intervention am Zaun noch einmal stellen. Auf Basis der Anregungen von diesem Abend freuen wir uns auf die Auswertung und vor allem auf weitere Reaktionen auf das mögliche Andere. Zum 20.5., am Tag der Nachbarn, werden wir am Zaun und im Garten noch einmal zur gemeinsamen Diskussion einladen.

 

IG Zaun-Treffen vom 28.4.22, Gespräche über den Zaun durch den Zaun. Foto: Evi Blink und Julia Scherzl.

Ein Pop-Up Kiosk, der am 11.5. für die Nachbarschaft im Garten öffnet, steht bereits in den Startlöchern. Er soll ein Dialograum sein, der die Bedürfnisse der Nachbarschaft aufnimmt und mal eben schnell aufzeigt, wie es eigentlich sonst noch sein könnte, hier an diesem verwunschenen Ort hinter und vor dem Metallzaun.

Der IG-Zaun Abend endet mit einem Getränkeausschank eines Nachbarn, der plötzlich mit einem Tablett voller Gläser noch einmal auf die Straße herunter kommt und mit Gedanken zum Zaun, die noch mehr Fragen aufwerfen.

Eine Antwort zu Da, wo das Flatterband ist – auf der anderen Straßenseite.

  1. […] Übrigens: Dieser Blogeintrag ist bereits der Zweite, der im Rahmen des Praxismentorings entstanden ist. Wer neugierig ist, welchen Fragestellungen sich die beiden Künstlerinnen noch gewidmet haben, bitte auf diesen Link klicken und mehr erfahren:  Da, wo das Flatterband ist – auf der anderen Straßenseite. | Blog der Montag Stiftung Kunst und G… […]

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