Der Künstler und Musiker Ivan Txaparro gründete mit KünstlerkollegInnen das Kollektiv „resonar lab“, um sich mit unterschiedlichen Resonanzformen zu beschäftigen und künstlerische Aktivismus-Projekte umzusetzen. Beim ResonanzCAMP führte er im Rahmen der Pirmasenser Resonanzen 2022 einen Workshop für Studierende durch. In seinem Blogbeitrag beschreibt er zunächst die ereignisreiche Anreise mit dem Fahrrad von seinem Studienort Berlin aus quer durch die Republik. In Pirmasens freuten sich die vorwiegend jungen TeilnehmerInnen nach der Coronazeit über seinen körperorientierten Arbeitsansatz, bei dem die erstaunliche Wirkung von Musik auf das Zeitempfinden eben nicht nur Ohren und Köpfe öffnen konnte…
Es war für mich schwer vorhersehbar, dass meine Reise von Berlin nach Pirmasens so verlaufen würde: Radfahren und Musizieren auf der Straße mit meinen Freunden Mateo und Carlos. Ich besuchte Pirmasens zum ersten Mal im Dezember 2021, um mit Theresa Herzog ein Experiment im öffentlichen Raum der Stadt durchzuführen, das wir „kaputtes Telefon“ nannten (siehe: Ohne Bewegung gibt es kleinen Klang). Ein paar Monate später, im Juni 2022, war ich täglich mehrere Stunden mit dem Fahrrad unterwegs und musizierte in abgelegenen Dörfern in Mitteldeutschland, bevor ich Anfang Juli zum ResonanzCAMP kam.
Als das Jahr 2022 begann, habe ich viel darüber nachgedacht, wie ich den Staub der letzten zwei Jahre abschütteln könnte. Obwohl ich mich in dieser Zeit als ziemlich privilegiert betrachten konnte, hatte ich das Gefühl, dass ich viel von der Erfahrung, als Musiker aufzutreten und draußen zu sein, verpasst hatte. Ich wurde eingeladen kurz vor dem Pirmasenser Projekt in Kassel und Karlsruhe aufzutreten und einige Vorträge zu halten, und da die Termine zusammenfielen, kam ich auf die Idee, mit dem Fahrrad von Berlin nach Pirmasens zu fahren, mit ein paar Zwischenstopps auf dem Weg.
Die Fahrradtour und die Erfahrung, als reisender Musiker im öffentlichen Raum und in den verschiedenen Veranstaltungsorten, in denen wir eingeladen waren, zu musizieren, war zweifellos intensiv und erfreulich. Die ganze Reise verlief reibungslos, und selbst die kleinen technischen Probleme und Pannen, die wir als Team hatten, führten zu interessanten Begegnungen und Anekdoten.
Es fühlte sich auf jeden Fall befreiend an, mit dem Fahrrad in den Süden Deutschlands zu fahren, was mir eine breitere Perspektive auf das Land eröffnete und mir gleichzeitig bewusst machte, wie sehr ich mich seit meiner Ankunft auf Berlin konzentriert hatte und wie sehr sich die Stadt vom Rest des Landes unterscheidet. Ich kam mit meinen Teamkollegen rechtzeitig zum Camp in Pirmasens an, nachdem wir zwei Wochen lang bei überwiegend gutem Wetter geradelt, gezeltet und Musik gemacht hatten.
Ich begann meinen Beitrag in Pirmasens mit einem Vortrag, in dem ich einige der Projekte vorstellte, die ich im letzten Jahr durchgeführt habe, wobei ich mich auf die Arbeit mit partizipatorischen Kunstexperimenten, Musikaktivismus und dekolonialer Politik konzentrierte. Ich habe Erfahrung darin, Vorträge mit multimedialen Inhalten zu halten, also habe ich einige meiner letzten Projekte in Berlin vorgestellt, bei denen Musik eine wichtige Rolle in der künstlerischen Vermittlung spielte. Ich veranschaulichte anhand von Beispielen, wie partizipatorische Experimente mit afro-panamerikanischer Musik (z.B. Hip-Hop, Reggae, Blues, Salsa, etc.) zu einem hohen Maß an Motivation führen, wenn man in unterschiedlichen Umgebungen arbeitet, insbesondere mit jungen Menschen, was die Entwicklung von Experimenten zum kritischen Denken in Bezug auf Geschichte, Identität und partizipatorisches Schaffen ermöglicht. Die Gespräche, die nach dieser ersten Präsentation meiner Arbeit begannen, führten zu mehreren Diskussionen über unsere Rolle als KünstlerInnen bezüglich Fragen der sozialen Gerechtigkeit, des Umweltschutzes, der Identitätspolitik und des Aktivismus, um nur einige zu nennen. Es hat mich gefreut zu sehen, dass die Themen und Beispiele, den Teilnehmer*innen sehr am Herzen lagen.
In den folgenden Tagen leitete ich den Workshop, den ich für jede der drei Untergruppen von Teilnehmer*innen vorbereitet hatte, in einem großen Raum an der Hauptstraße der Stadt, den Theresa, Claudia und Ruth zweckmäßig eingerichtet hatten. Dies war auch der Ort, an dem sich die NachbarInnen an einigen unserer künstlerischen Interventionen beteiligen und einen Blick auf die von uns geleistete Arbeit werfen konnten. Dieser Raum wurde zu einer Art Hauptquartier, in dem ich die Gelegenheit hatte, lange Gespräche mit Martina und Nicola, den beiden anderen eingeladenen Künstlerinnen, zu führen. Am Abend gingen wir zum Camp selbst, das am Stadtrand lag, wo wir die Gelegenheit hatten, bis spät in die Nacht am Lagerfeuer zu tanzen und Musik zu machen.
Die meisten TeilnehmerInnen waren Studierende, die sich mitten im Bachelor-Studium befanden, und einige von ihnen begannen ihr Master-Studium. Da ihre Lernerfahrung in den letzten zwei Jahren viel Bildschirmzeit in Form von Webinaren, Online-Kursen, hybriden Seminaren usw. beinhaltete, beschloss ich, einen praktischen, körperbetonten Workshop durchzuführen, in dem sie somatische Bewegung und musikalische Improvisation in Kombination mit partizipatorischen Kartografien, der Schaffung von Klanglandschaften und Datenvisualisierung im Zusammenhang mit dem öffentlichen Raum von Pirmasens erkunden konnten. Normalerweise verwende ich digitale Medien, um mit kollektiven Formen der Kartierung und Visualisierung zu arbeiten, aber dieses Mal hielt ich es für besser, es ganz analog und erfahrungsorientiert zu machen.
Impressionen aus dem studentischen ResonanzCAMP 2022 in der Pirmasenser Innenstadt mit Workshops von Nicola Schudy, Martina Benz und Ivan Txaparro. Fotos: Mateo Matiz.
Die gemeinsame Verinnerlichung des Rhythmus war für meinen Workshop in Pirmasens von grundlegender Bedeutung, was sich unerwartet in der Nacht bemerkbar machte, wenn wir als Gruppe tanzten. Ein paar Mal nutzten wir die Gelegenheit mit Mateo und Carlos, um Trommelmuster, Gitarrenriffs und Tanzschritte in die Feier einzubringen. In meiner jüngsten praxisbasierten Forschung habe ich festgestellt, dass die musikalische Zeit das Potenzial hat, die chronologische Zeit in besonderen Momenten der gemeinsamen Freude zu überwinden und die Art und Weise zu verändern, wie wir Dauer und Zeitlichkeit wahrnehmen. In diesen magischen und schwer fassbaren Momenten kann die Zeit einige der Eigenschaften eines Objekts annehmen.
Meine Absicht in Pirmasens war es, einen Raum zu bieten, in dem aktives gemeinsames Zuhören geübt werden kann. Ich betonte gegenüber den Teilnehmer*innen, wie diese Art des Zuhörens in unser tägliches Leben integriert werden kann, indem wir Gewohnheiten entwickeln, die eine tiefe Aufmerksamkeit für das, was uns umgibt, kultivieren. Durch subtile Praktiken können wir lernen, präsenter zu sein und uns selbst und andere bewusster wahrzunehmen. Außerdem können wir die Musik von ihrer Rolle als tägliche Hintergrundmusik in Form einer Playlist befreien und ihr ihre ursprüngliche Kraft verleihen.