Abschlusspräsentation der Pirmasenser Resonanzen am 30.07.2022. Foto: Wiltrud Föcking/Christian Wendling.

Zwischen Stadtpolitik und der „Kunst als Fest“: Ein Gespräch nach dem Besuch der “Pirmasenser Resonanzen“

am 09. November 2022 | in Allgemein, Resonanzen, Wagnisse des Neuen | von UND | mit Ein Kommentar

Was haben die „Pirmasenser Resonanzen“ bei den Menschen bewirkt? Ende Juli reisten Wiltrud Föcking und Christian Wendling nach Pirmasens, um die Abschlusspräsentation des zweimonatigen Projektes „Pirmasenser Resonanzen“ zu besuchen. Nach ihrer Rückkehr führen sie ein Gespräch über ihre Beobachtungen vor Ort. Sie unterhalten sich über die Geschichte und politische Lage der Stadt und über Fragen und Irritationen, welche die „Pirmasenser Resonanzen“ bei ihnen auslösten. Aus ihrer Perspektive diskutieren sie über die Intention des Kunstprojektes und besprechen Grenzen von künstlerischer und politischer Arbeit. Sie spannen Bögen zwischen Gestaltungswillen im Stadtraum, Ausstellungskonzepten, dem Begriff der Resonanz sowie den Potentialen und Freiräumen der Kunst.

 

WF    Wiltrud Föcking: Logopädin, Stimmtherapeutin, Künstlerin
CW    Christian Wendling: Architekt

 

Ende Juli sind wir nach Pirmasens gefahren, um die Abschlusspräsentation des zweimonatigen partizipativen Prozesses des Kunstprojekts zu sehen. Die Pirmasenser Resonanzen – ein mobiles, partizipatives Kunstprojekt im öffentlichen Raum der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft, fanden vom 02.06. bis 31.07.2022 in der Pirmasenser Innenstadt statt. Die Präsentation des Kunstprojektes fand in einem leerstehenden Ladenlokal in der Fußgängerzone statt. Die gesamte Fußgängerzone, die in den 80er Jahren gebaut wurde, ist in Kopfsteinpflaster ausgeführt, wellenförmig ornamental durchsetzt mit Steinen aus indischem Marmor. Um diese Marmorsteine kreiste der eine Teil des Projekts: Was erzählen die STEINE von Pirmasens? Und: „Wie wäre es, wenn der Marmor, über den die Pirmasenser 40 Jahre lang gelaufen sind, ihre Spuren hinterlassen haben, sich über die holprigen Steine gefreut oder geärgert haben, gedankenverloren flaniert sind, nun eine neue Form findet?”

Projektraum der „Pirmasenser Resonanzen“ in der Fußgängerzone mit Marmorsteinornamenten.

PassantInnen, die an dem Projektraum vorbeischlenderten, weil sie shoppen gingen oder auf dem Weg zur Arbeit waren, wurden aufgefordert, in den Raum zu kommen, um mit eigenen Beiträgen Teil des Projekts zu werden. Sie konnten sich z. B. draußen an einen Tisch setzen und mit der Künstlerin Martina Benz in Anlehnung an ihre eigene Arbeit Ketten aus Stein bauen. Aus geschäumtem Polystyrol hatte Martina Benz die Marmorsteine der Fußgängerzone nachgebildet. Die entstandenen Skulpturen der PassantInnen waren in der Abschlusspräsentation zu sehen. Außerdem waren großformatige Poster an den Wänden: Groß abgezogene Fotos von Menschen (aus Pirmasens), die einen Zettel vor sich in Händen hielten. Auf diesen Zetteln haben sie handschriftlich ihre Geschichten aufgeschrieben. Geschichten über ihre Beziehung zu den Marmorsteinen in Pirmasens…

Ein Gespräch.

CW       Wir haben uns zunächst das Betrachtungsobjekt des Kunstprojektes angeschaut, die Fußgängerzone selbst. Noch ist sie im Gestaltungszustand der 1980er Jahre. Doch bald weicht, auf Beschluss des Stadtrates, das kleinteilige Pflaster einem großflächigen Belag. Und was mir aufgefallen ist, ist diese besondere Topographie der Fußgängerzone in der Pirmasenser Innenstadt, ein von Gefälle und Steigung geprägtes Bild. Wir sind, vom Exerzierplatz kommend, eine Fußgängerzone hinunter flaniert, die beliebt und hoch frequentiert gewesen ist an dem Wochenende unseres Besuchs. Mit viel Außengastronomie, mit vielen kleinen Geschäften. Das belebte Bild wechselte allerdings in der Senke, kurz vor der Höhe des Ausstellungsraumes, eine Zäsur, dahinter ein kaum noch frequentierter Bereich, kein genutzter Aufenthaltsort, nur Durchgangszone.

WF        Aber der Marmor war über die gesamte Länge der Fußgängerzone vorhanden?

CW       So habe ich das gesehen, mehrere Hundert Meter lang. Eine belebte Zone, die in meinen Augen auch durchweg funktioniert und attraktiv ist. Die es in ihrer jetzigen Gestaltung mit kleinteiligem Steinpflaster bald nicht mehr geben soll. Und nun kommt die Frage der Montag Stiftung: Was erzählen die Steine, was haben die Menschen, die in Pirmasens leben, arbeiten, in den 40 Jahren dort erlebt? Haben die Steine einen maßgeblichen Anteil an der Erinnerung, oder sind es andere Gegebenheiten, andere Anlässe? Was ich auf den ausgestellten Plakaten ablesen konnte, auf denen die Erinnerungen der Bürger*innen in Bild und Text wiedergegeben sind: Die Steine haben tatsächlich eine hohe Aufmerksamkeit erhalten, man hat sich tatsächlich mit den Steinen und ihrer Gestaltung auseinandergesetzt und nicht nur mit der Fußgängerzone als solcher.

WF        Diese Steine sind aus Marmor, haben einen Wert und erinnern natürlich auch daran, dass die Stadt Anfang der 80er Jahre noch eine wirklich florierende Schuhindustrie-Stadt war und sich diese teuren Steine leisten konnte.

CW       Ja, die hochwertigen Marmorsteine wurden verwendet für die ausschmückenden, charakteristischen Bogenlinien des Naturstein-Kopfsteinpflasters. Ausgangspunkt des Projektes war doch im Grunde, dass der Bodenbelag der Fußgängerzone keine Zukunft mehr haben wird, und dass die Montag Stiftung diesen Status quo zum Anlass genommen hat, die Bevölkerung nach ihren Erinnerungen der letzten 40 Jahre mit diesen Steinen zu fragen. Es ging ja nicht darum, diese Entscheidung des Stadtrates zu hinterfragen und dort nochmal eine bürgerschaftliche Diskussion anzuregen oder einzufordern, ob der aktuelle Zustand nicht überdauern kann. Braucht man wirklich eine Neugestaltung, darum ging es meinen Augen nicht, und das habe ich aus den meisten Zuschriften oder ausgestellten Originalzitaten auch nicht rauslesen können.

WF        Der erste Impuls ist schon der, dass ich diese stadtpolitische Entscheidung erstmal im Vordergrund gesehen habe und dachte, Aha!, muss das sein, muss das alles umgebaut werden, was sind die Gründe dafür? Auf den ersten Blick habe ich mich mit diesem politischen Aspekt der Arbeit beschäftigt, und dann haben wir erfahren, dass es so aussieht, als wäre die Entscheidung schon gefallen. Das heißt, es ist schon längst entschieden, dass die Fußgängerzone umgebaut wird.

CW       Ich hatte auch erst den Eindruck, es geht vielleicht darum, die Entscheidung für eine Neugestaltung kritisch zu sehen und nochmal die Bürgerschaft zu mobilisieren, sich dafür einzusetzen. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass ich, und ja wir beide, ja aus Köln kommen, wo die Stadtgesellschaft oft die Entwicklungen des Städtebaus und der Stadtbildgestaltung kritisch diskutiert und hinterfragt, und in partizipativen Verfahren gemeinsam mit allen Beteiligten nach Lösungen gesucht wird. Und das im Hinterkopf habe ich damit gerechnet, dass in Pirmasens etwas ähnliches passiert. Ich musste aber feststellen, dass das von mir vermutete Konfliktpotenzial – die Umgestaltung der Fußgängerzone – offenbar gar nicht besteht. Am Abschlusswochenende haben sich keine Vertreter von politischen Parteien oder Bürgerinitiativen zu erkennen gegeben, und auch die Presse war da nicht präsent.

WF        Jetzt geht es mir ein bisschen zu schnell. Du versuchst bereits, diesen politischen Aspekt – den wir ja noch gar nicht wirklich betrachtet haben, oder bestätigt haben, ob es den überhaupt gibt, mit Köln zu vergleichen. In Köln ist auch nicht alles so rosig, da wird auch viel diskutiert, aber oft wird es dann auch einfach irgendwie gemacht und nachher finden‘s alle ********. Die Frage ist ja jetzt erstmal die: Ist dieser gesellschaftliche Aspekt, die Aufforderung zur Bürgerinitiative überhaupt intendiert? Will das Projekt überhaupt, dass eine öffentliche, politische Diskussion über den Umbau der Fußgängerzone initiiert wird? Ich hatte den Impuls, als ich ankam, dass es darum gehen könnte – und bin aber jetzt unsicher.

CW       Nachdem ich zuerst die Fußgängerzone gesehen und dann erst das Kunstprojekt kennengelernt habe, und ich persönlich die Fußgängerzone in ihrer jetzigen Gestaltung für erhaltenswert erachte, das Kunstprojekt hat aber tatsächlich – wie du sagst – einen anderen Impetus. Wie wir ja auch dann vor Ort durch Diskussionen erfahren haben, geht es davon aus, dass die Entscheidung des Stadtrates zur Umgestaltung gesetzt ist und dass es darum geht, diesen Moment des status quo noch mal festzuhalten, wie die Bevölkerung sich aktuell, und im Rückblick der 40 Jahre, ihre Erinnerungen an diese Fußgängerzone macht. Nun an die Position zurück, in der ich anerkenne, dass es nicht darum geht, eine Diskussion in der Stadtgesellschaft loszutreten. Muss ich das Kunstprojekt dann auch anders bewerten, weil es ein ganz anderes Ziel hat? Und da gefällt mir schon, auf welch niedrigschwellige Art alle Teile der Bevölkerung angesprochen wurden und sich auch aktiv beteiligen konnten mit Text und Bild, und Gestaltung in Form von diesen Workshops, in Stadtspaziergängen – das hat mir gut gefallen, und ich denke, dass das auch eine gute Idee war, das auch künstlerisch umzusetzen, was man also mit diesen Steinen machen kann, wie man diese Steine in Kunstobjekte transformieren kann, die vielleicht dauerhaft in der Fußgängerzone stehen. Und die ein Stück Erinnerungskultur auch als Ort definieren, so dass man – auch wenn die Fußgängerzone neugestaltet ist – immer noch Erinnerungsstücke, Versatzstücke hat einer Vergangenheit dieser Fußgängerzone.

WF       Es muss gar nicht dazu kommen, dass später ein Monument, ein Kunstobjekt aus den Steinen entsteht. Vieles hat ja schon in den Köpfen der Menschen stattgefunden, die für sich selbst eine Auseinandersetzung mit dem Stück Stadtgeschichte hatten. Ja, das wäre mir, ehrlich gesagt, zu schnell, wenn man direkt darüber nachdenkt: Was kann man mit diesen Marmorsteinen machen, die entfernt werden. Ich denke, der Punkt ist erstmal der, diese offene Situation auszuhalten. In einem Prozess, in dem die Frage aufkommt, was haben uns diese Steine bedeutet, in der Vergangenheit, wenn sie da so liegen? Und dann vielleicht mit der Fantasie zu spielen: Welche Gebilde könnten jetzt aus den Steinen, die plötzlich zur Verfügung stehen, entstehen? Oder was kann spielerisch, modellhaft aus Polystyrol entwickelt werden: Figuren, dynamische Skulpturen oder statische Strukturen. Die Steine liegen nicht mehr nur in der Horizontalen, man kann sich diese Marmorsteine plötzlich auch in der Vertikalen vorstellen – ganz unabhängig davon, ob das tatsächlich in der Realität gebaut wird – das wäre mir fast ein Schritt zu weit.

Im Projektraum sind die entstandenen Modelle, Skulpturen, Zeitzeugnisse ausgestellt.


 

CW       Ja, beide Aspekte werden ja durch das Kunstprojekt auch berücksichtigt. Also einmal die Retrospektive. Menschen erinnern sich und sprechen aus, welche Erinnerungen sie haben. Und ein anderer Aspekt: Was kann man mit diesen Steinen alles machen? Natürlich ist das nicht so zu sehen, dass das ein Ideenwettbewerb, ein Realisierungswettbewerb war für ein Kunstobjekt, das später im öffentlichen Raum steht. Aber es ist sicherlich eine Vorstufe davon, wie kann man Stadtgeschichte erlebbar machen? Eine Stadt, die Stadtgestaltung so versteht, dass man Tabula rasa macht und komplett neu baut, zeigt ihre Geschichte nicht mehr. Mir erscheint es wichtig, und das Kunstprojekt setzt ja auch so an, dass eine Stadt aus verschiedenen Schichten besteht, die historisch angewachsen sind. Man muss also irgendwas mitnehmen in die neue Zeit, wenn man modernisiert, und muss erlebbar machen, dass es früher was anderes gab und dass die Neugestaltung irgendwie auch eine Konsequenz dessen ist, was es früher gab, eine Reaktion darauf. Und da sind jetzt die Entwürfe, die dort durch die Bevölkerung mitgestaltet wurden, ein erster Schritt dazu. Es wird jetzt niemand erwarten, dass man diese Entwürfe tatsächlich in die Realität überführt.

WF        Es geht letztendlich genau um diese Vielfalt der Möglichkeiten, um die Offenheit und nicht um eine Realisierung. Das ist keine politische, sondern eine künstlerische Arbeit. Und was unterscheidet denn so eine künstlerische Arbeit von einer politischen Arbeit? Natürlich sind die Grenzen fließend, gerade wenn man an partizipative Kunstprojekte denkt. Aber dennoch finde ich das einen wichtigen Punkt: Zu überlegen, was ist das Künstlerische an der Arbeit jenseits von den stadtpolitischen Fragestellungen?

CW       Diese künstlerische Auseinandersetzung der Teilnehmer*innen aus der Bevölkerung fängt ja damit an, dass man die Stadt mit eigenen Augen sieht; dass man auf Details achtet, auf die man vielleicht bisher nicht so geachtet hat; dass man erkennt, was ist da, wie ist das gestaltet, gibt es dort einen Gestaltungswillen oder ist das alles willkürlich entstanden. Also Auseinandersetzungen mit vorhandener Gestaltung an sich, nicht nur mit möglichen zukünftigen Gestaltungen. Nicht: Was macht man mit den Pflastersteinen, sondern auch zu sehen: Was ist Gestaltung in einer Stadt? Wie setzt sich die Stadt zusammen, welche Rolle spielen Material, Formen, Farben, der Kontext der Stadt. Und das ist ja in den Stadtspaziergängen thematisiert worden, dass ein offenes Auge geschult wurde für das, was da ist. Angeregt durch die Kauris, die erstmal für Irritation sorgen, weil sie Fremdkörper im gewohnten Stadtraum sind. Es ging nicht primär darum, ein Kunstobjekt zu schaffen, was dann später mal zu sehen ist, sondern auch sich erst einmal über Gestaltung zu unterhalten.

Eine Kauri im Pirmasenser Stadtraum, gegenüber dem Forum Alte Post (Künstlerin: Nicola Schudy).

 

WF        Gestaltung, ja, das ist sicherlich auch ein wichtiger Aspekt von Kunst. Und das Projekt ist auch aus künstlerischer Sicht noch komplexer. Es geht um ein Thema, zu dem Menschen befragt wurden; sie haben ihre Äußerungen auf Zettel geschrieben. Es wurde ein Porträt von ihnen gemacht. Auch in Abwägung: Sieht das auf dem Bild auch gut aus? Sie konnten vielleicht auch ein bisschen mitentscheiden, das weiß ich gar nicht, vor welchem Hintergrund sie stehen, ob sie alleine oder zu zweit auf dem Foto sind. Und diese Fotos wurden dann aufgezogen auf große Poster; und die Poster wurden alle in einer bestimmten Anordnung in diesem großen Raum in der Fußgängerzone an die Wände gehängt. Eine ganze Wand war voll mit großformatigen Postern. Das heißt doch zweierlei: Auch wenn es ein partizipatives Kunstprojekt ist, kann man sich doch dafür entscheiden, die Ergebnisse in einer institutionalisierten, konventionellen Ausstellungsform zu präsentieren. Ja, es ist letztendlich eine eindeutig erkennbare Kunstausstellung entstanden. Auf der einen Seite des Raumes sieht man die kleinen Figuren, die aus den Pflastersteinen entstanden sind, und auf der anderen Seite sieht man die großen Poster, diese gestalteten Bilder mit den Geschichten drauf. Ich als Zuschauerin kann durch die Ausstellung gehen, wie ich das von einer professionellen Ausstellung erwarte: Ich gehe in diesen Ausstellungsraum hinein; kann mir die einzelnen Kunstwerke anschauen. Ich guck mir das an; ich schaue, wie ist das aufgehängt, ja, welches Ergebnis ist aus diesem künstlerischen Prozess herausgekommen?

Ausgedruckte Portraits von zwei Pirmasenser Bürgerinnen mit ihren Zitaten im Ladenlokal.

 

Der zweite Aspekte ist der, der aus dem partizipativen Gedanken entsteht. Diese Ausstellung gibt es nur, weil zufällig zusammengekommene Menschen gemeinsam an ihr gearbeitet haben. Das ist vielleicht was Atmosphärisches, was dazu kommt: Mit Gadamer könnte man von der Kunst als Fest sprechen, dass das „alle Vereinigende ist“, an diesem Atmosphärischen ist deutlich spürbar, „dass es für keinen etwas ist, als nur für den, der daran teilnimmt“[1]. Dieser zweite Aspekt ist ein sehr wichtiger. Das ist gut gelungen und schwer zu beschreiben. Das reicht; mehr muss Kunst gar nicht, als diesen offenen Prozess auszuhalten und ihn dann in irgendeiner künstlerischen Form (Ausstellung) zu präsentieren.

Und die ganze politische Diskussion, ob die Steine jetzt gut oder schlecht sind, ob die wegmüssen oder dableiben, findet eigentlich auf einer anderen Bühne statt und muss nicht Teil der Ausstellung sein. Und ob das jetzt so ist, dass dieses Projekt nochmal Diskussion angeregt hat oder nicht, ist eigentlich nicht das Thema der Kunst, sondern das muss man sozusagen wie einen Vogel, den man mal gefangen hat, wieder freilassen, und der fliegt dann, und mal gucken wohin er fliegt – also, das ist nicht die Verantwortung der „Pirmasenser Resonanzen“ – auch wenn das der Begriff natürlich impliziert. Das ist ja wiederum interessant, dass der Begriff Resonanz natürlich andererseits wieder den Anspruch erhebt: Ich stoße etwas an.

 

Konzert der Variétellies während der Abschlusspräsentation der Pirmasenser Resonanzen am 30.Juli 2022.


CW       Was das dann genau ist, bleibt eigentlich vage. Insofern finde ich das ganz interessant, dass diese Aktion im Grunde aus sich selbst heraus ein Kunstprojekt gewesen ist. Es gibt ja viele andere Situationen, in denen es eine Diskussion in der Stadtgesellschaft gibt. Oft ist es so: Man will ein Thema voranbringen und fragt erst dann eine Gruppe von Künstlern oder Gestaltern, ob sie nicht dazu was beitragen möchten. Dann ist aber die Stoßrichtung schon klar, in die es gehen soll. Insofern war das jetzt hier eigentlich sehr erfrischend, und auch so, wie es war, genau richtig. Ein reines Kunstprojekt zu machen, das keinen Anspruch hatte, politisch eine Entscheidung herbeizuführen. Sondern es einfach mal so stehen lässt. Und jetzt liegt es natürlich über das Kunstprojekt hinaus an der Stadtgesellschaft in Pirmasens, was sie daraus macht; ob sie sagt: der Impuls war uns so wichtig, er hat uns so die Augen geöffnet dass da was nicht so richtig läuft in dieser Stadt; wir werden uns organisieren und werden versuchen, im Rahmen unserer Möglichkeiten was draus zu machen. Oder die Menschen sagen: Ja, wir sind froh, dass wir uns daran erinnern dürften – möchten aber auch der Zukunft unserer Stadt durch die Modernisierung nicht im Wege stehen.

Diese Entscheidung trifft jeder für sich selbst; und das ist nicht Aufgabe des Kunstprojektes. Ja, zu begrüßen wäre das aus meiner persönlichen Sicht; weil ich es schade finde, dass diese wirklich gut gestaltete Fußgängerzone umgestaltet wird. Aber das hat jetzt nicht primär mit dem Kunstprojekt zu tun, sondern dass ich eben das erste Mal in Pirmasens war und ich mich mit meinem eigenen persönlichen Hintergrund auf eine andere Art und Weise dafür stark machen würde. Wir haben ja vorhin festgestellt: Das war eben genau nicht der Impuls für dieses Kunstprojekt. Es ist viel Werbung gemacht worden; man hat ja über Wochen hinweg gesehen, wie in der Fußgängerzone was passierte: durch die Objekte, die dort installiert wurden; es gab auch in der Presse Berichterstattung; insofern haben die Pirmasenser*innen sicherlich gewusst, was da gerade passiert und sie hatten alle die Möglichkeit, über den ganzen Zeitraum hinweg zu partizipieren, hinzugehen und sich das anzuschauen. Und da finde ich es einfach nicht primär wichtig, wieviele kommen, sondern ob diejenigen die kommen, was für sich persönlich mitnehmen.

WF        Und da ist der gewählte Begriff „Resonanzen“ wieder vieldeutig. Er kann auch dafür stehen, dass er ein atmosphärisches Phänomen ist und man spürt: Da sind Schwingungen, die sozusagen von dem Kunstwerk ausgehen – ohne jetzt esoterisch werden zu wollen – und die lösen etwas aus bei den Menschen, die von diesen Schwingungen beeinflusst werden, berührt werden. Und es bleibt letztendlich offen, wie diese Wirkung ist, was diese Resonanzen in den jeweils individuellen Menschen hervorrufen, ausgehend von ihrer Offenheit, von ihrer eigenen Schwingungsfähigkeit die erlebten Resonanzen in sich zu verstärken sozusagen.

CW       Eine Frage, die mir gerade noch kommt, aber eher an das Projektteam adressiert ist. Es gibt ja neben der Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft auch die Montag Stiftung Urbane Räume, die ja genau das tut, worüber wir eben auch gesprochen haben: Eben diesen politischen Aspekt mit reinzubringen, eine Stadt aktiv verändern zu wollen mit gezielten Maßnahmen, die auch sehr stark darauf abgestimmt sind, wie können wir die Entscheider erreichen. Mich würde jetzt interessieren, ob es zwischen diesen beiden Stiftungen einen Austausch dazu gibt, ob im Grunde die Entscheidung auch bewusst war: Das ist ein reines Kunstprojekt. Oder ob man die Kompetenz der Montag Stiftung Urbane Räume auch mit hätte einfließen lassen können; ob es diesen Diskurs in der Stiftung gegeben hat.

WF        Ja, wenn das möglich ist, dass solche Themen politisch sind. Letztendlich hat jede künstlerische Arbeit im öffentlichen Raum mit partizipativem Anspruch eine politische Dimension; das ist ja kein l’art pour l’art mehr, wenn es inmitten des Trubels der Öffentlichkeit (ent)steht. Kein Elfenbeinturm, sondern ein ganz bewusstes – wie du vorhin sagtest – niedrigschwelliges Arbeiten, wo versucht wird, jede/n ganz unabhängig von seiner künstlerischen Bildung anzusprechen und zu erreichen, mit Themen, die ihn oder sie ja sogar persönlich betreffen. Ja, es kommt sozusagen von außen relativ wenig in dieses Kunstprojekt hinein, sondern alles dreht sich um die Stadt Pirmasens. Es ist ein Thema der Stadt Pirmasens, die Menschen vor Ort werden angesprochen, sollen berichten, was ihre individuellen Erfahrungen sind.

CW       Und ich glaube auch, wenn ich weiterdenke, dass es tatsächlich eine bewusste Entscheidung des Projektteams war, eben eine neutrale Position einzunehmen und nicht schon eine Richtung vorzugeben, ob man das denn gut findet oder schlecht, wie diese Umgestaltung der Fußgängerzone sein soll. Denn die Projekte, die von der anderen Stiftung Urbane Räume kommen, die haben – soweit ich mich da richtig erinnere – immer den Bestandteil, dass die Stiftung sich aktiv vor Ort einbringt. Und nicht eine Aktion macht und wieder raus geht, sondern sie ist vor Ort, sie bleibt vor Ort; sie gründet Strukturen vor Ort und treibt es auch über lange Zeiträume voran. Und das ist dann eben kein Kunstprojekt mehr. Vielleicht ist das aber auch das geniale Zusammenspiel der Stiftungen, das eben beides möglich ist – sowohl das sich selbst aktiv einbringen, indem man ein(en) Akteur vor Ort wird – und das andere, indem man einfach nur eine temporäre Intervention macht und dann auch wieder weggeht.

WF        Ich bin jetzt nochmal bei diesem Begriff Resonanzen und denke: Resonanz entsteht, wenn von einem Zentrum eine Schwingung ausgeht, die andere affiziert, berührt, zum Schwingen bringt. Und das geschieht bei den Pirmasenser Resonanzen; das ist ja passiert dadurch, dass diese situativen, wirklich sehr spontanen, augenblicklichen, kleinen Geschichten erzählt werden, ihre Assoziationen, die sie mit diesen Steinen verbinden. Und die Erzählungen sind sehr individuell, sehr schön, sehr unterschiedlich. Material an Schwingungen, das von den Resonanzen zurückgekommen ist. Und man könnte fast sagen: Als Ergebnis ist eine Art Pirmasenser Gedächtnisarchiv entstanden, dessen Bestand letztendlich, wie du auch sagtest, völlig wertneutral ist, völlig offen, als solches genügt…

CW       … und auch eben vielleicht in dem einen oder anderen Teilnehmer*innen den Blick dafür geschärft hat, was es denn sonst noch in der eigenen Stadt, im eigenen Umfeld gibt. Was eventuell aktuell zu wenig Aufmerksamkeit hat. Dem man jetzt, solange es existiert, nicht nur mehr Aufmerksamkeit, sondern auch Wertschätzung entgegenbringt, und man sich für den Bestand und den Erhalt engagiert. Dass man einfach mit anderen Augen durch die Stadt geht. Wir kennen das ja, wenn wir zehn Jahre in derselben Stadt leben und jedes Mal die gleiche Straße entlang gehen, dann sehen wir ja nicht die Veränderungen, dass plötzlich etwas anders ist. Man wird ja dann auch mit der Zeit ein bisschen blind dafür, was passiert. Und ich glaube es ist wichtig, immer wieder den Blick zu schärfen und immer wieder aufmerksam durch sein eigenes Umfeld, durch seine Stadt zu gehen und zu schauen: was passiert da gerade, was bedeutet mir das persönlich? Um sich dann wiederum auch dafür einzusetzen, dass etwas passiert oder dass etwas erhalten bleibt.

WF        Jetzt hört man den kulturpolitischen Menschen aus dir sprechen. Und sozialpolitisch, auch wahrnehmungstheoretisch. Menschen sollen angeregt werden, besser wahrzunehmen. Den Menschen, die in einer der ärmsten Städte Deutschlands leben, das Gefühl geben, dass sie gehört werden… Aber so didaktisch sollten wir den Blogbeitrag nicht beenden. Lieber über partizipative Polyphonie sprechen, über die Kraft, die man in Pirmasens bei dem Projekt, im Gespräch mit den Ausstellerinnen und den Teilnehmerinnen erleben konnte und die aufgrund ihrer Intensität Spuren in Pirmasens hinterlassen wird. Und letztendlich lässt diese erlebte Kraft – um es mit den Worten von Merleau-Ponty zu sagen „diesseits des Lärms der Worte das ursprüngliche Schweigen ahnen“[2].

CW       Ich kenne nur Merlot… (lacht)

Ende

 

Text und Fotos: Wiltrud Föcking + Christian Wendling

[1] Gadamer, Hans-Georg (2012) Die Aktualität des Schönen. Reclam, Stuttgart, S.80.

[2] Merleau-Ponty, Maurice (1966) Phänomenologie der Wahrnehmung. De Gruyter, Berlin, S.218.

 

1 Antworten zu Zwischen Stadtpolitik und der „Kunst als Fest“: Ein Gespräch nach dem Besuch der “Pirmasenser Resonanzen“

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