Fotocollage Fotos: Eike Walkenhorst

LANDSCHAFFEN – Was bleibt

am 19. Oktober 2018 | in Allgemein, Landschaffen, Perspektive Umbruch | von | mit 0 Kommentaren

LANDSCHAFFEN – Was bleibt

Bei unserem Projekt LANDSCHAFFEN konnte über den Zeitraum von acht Wochen im öffentlich zugängigen Park der LVR Klinik für Psychiatrie Mönchengladbach-Rheydt mit acht Künstlerinnen und Künstlern gemeinsam mit sieben Tonnen Ton gearbeitet werden. Jede Woche hat ein Künstler, eine Künstlerin oder eine Künstlergruppe Einblicke in ihren Umgang mit dem Material gegeben, als auch Ideen und Impulse zum gemeinsamen Gestalten mit Ton ermöglicht. Hierbei stand weniger die Absicht des künstlerischen Individuums im Vordergrund, sondern vielmehr Impulse für ein Zusammenarbeiten in der Gruppe. Bei bestem Wetter entstand unter den alten Baumkronen im Klinik-Park ein Raum für Begegnung, Austausch und Kooperation. Individuelles wie gruppendynamisches Entwickeln von kleinen Objekten oder Großskulpturen konnte sich hier frei entfalten.

Von Mittwoch bis Samstag jeweils für gut vier Stunden traf man sich im Park. Mal waren fünfzehn Leute vor Ort, mal waren es gut achtzig Teilnehmende, die aus der Klinik – ob als Patientin oder Patient, als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter – kamen, aus der Nachbarschaft oder aus der Stadt Mönchengladbach und seinen umliegenden Gemeinden. Rentnerinnen und Rentner, Studierende der Fachhochschule Mönchengladbach, Mütter mit Kindern, Reha-Patientinnen und Patienten, neugierige Bürger – alle trafen sich zum Gestalten von Landschaft.

Fotocollage
Fotos: Eike Walkenhorst

Was ist hier entstanden?

Über den Zeitraum der acht Wochen sind zahlreiche kleine Skulpturen und Objekte entstanden, die manche ins Klinikzimmer oder mit nach Hause genommen haben. Es sind große skulpturale Setzungen im Park entstanden, an denen eine Gruppe Beteiligter über Tage und Wochen gemeinsam gearbeitet hat.
Mittlerweile sind einige Objekte verfallen, haben sich über den Zeitraum des Projekts durch Witterung auf natürliche Weise in die Parklandschaft integriert und sind dem Erdboden fast gleich geworden. Andere Objekte verbleiben noch über weitere Wochen und Monate im Park. Der Turm, eine singuläre Raumzelle, welche in der achten Woche gemeinsam mit dem Künstler Markus Karstieß gebaut wurde, bietet die Möglichkeit, sich voll und ganz von dem Material umschließen zu lassen. Akustisch, haptisch, visuell und olfaktorisch ist man in der kleinen Lehmbauarchitektur von dem Material umgeben. Lediglich der Blick nach oben gibt die Möglichkeit zur Aussicht auf freien Himmel.

Fotocollage
Fotos: Eike Walkenhorst

Unter einem Baum im Park hat sich seit der zweiten Woche des Projekts LANDSCHAFFEN in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Marie Heiderich eine wundersame Stadtlandschaft entwickelt, die stetig bis zum Projektabschluss weitergebaut wurde. Hier sind bis heute kleine Architekturen und Bauten zu bewundern, wie ein Steinbruch, modellierte Vogelnester und Tiere aller Art. Dieser entstandenen Modelllandschaft sind Objekte, menschliche Figuren und kleinen modellierte Tierwesen zugefügt worden; es ist eine gewachsene Kulturlandschaft entstanden.
Wandelt man weiter durch den Park, so wird man noch lange hier und da, in Baumkronen oder an Wurzelstücken kleine modellierte Objekte finden, die sich wie selbstverständlich in die Parklandschaft integrieren und von individuellen Geschichten und Erfahrungsräumen zeugen.

Foto: Eike Walkenhorst

Auch im dichten Baumbestand gegenüber dem Haupteingang der Klinik sind zahlreiche Objekte zu bewundern: Große Baumwurzeln wurden hier in einem Ensemble arrangiert, das vom Gestalten und den Austausch mit dem Künstler Jan Glisman inspiriert sind. Es wurden natürliche Fundstücke wie Wurzeln und Äste mit farbigem Ton ummantelt und modelliert, die wie zauberhafte Fabelwesen mit Augen, Gesichtern und Fühlern hier und da aus dem Dickicht der Bäume blinzeln.

Fotocollage
Fotos: Eike Walkenhorst

Und es ist noch eine große Gemeinschaftsarbeit aller Beteiligten – Künstlerinnen und Patienten, Mitarbeiterinnen und Nachbarn, Rentnerinnen, Familien, Studierenden, Projektassistentinnen und ehemalige Patienten – im Park entstanden, die nachhaltig aber nicht sichtbar ist:
Wir haben eine soziale Plastik gebaut! Damit wandeln wir in Mönchengladbach auf den Beuyschen‘ Spuren. Der Begriff Kunst wird im Projekt vielmehr auf die Gestaltung gemeinschaftlicher, gesellschaftlicher Entwicklungen und sozialer Beziehungen bezogen. Wir haben es hier mehr mit einem „sozialen Organismus“ zu tun, als dass es ausschließlich um formal ästhetische Ausprägungen ginge. Es gilt vielmehr perspektivisch für die Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft die Frage zu stellen, was es im 21. Jahrhundert bedeutet, einer traditionsreichen künstlerischen Haltung zu folgen.

 

Gibt es heute Bedarf an sozialer Plastik?

Wir sind doch alle längst miteinander verbunden, über das Internet, durch die Globalisierung und durch unsere möglichen Omnipräsenz und Vernetzung in den sozialen Medien. Vernetzung, Automatisierung, Globalisierung und Digitalisierung verändern unsere Gesellschaft und führen zwangsläufig zu neuen Verhaltens- und Kommunikationsystemen. Mobilität und Flexibilität sind gefordert, social networking – sowohl im Privatem als auch besonders im Beruf. Und bisweilen bringt dieses „überall zugleich präsent sein“ eine Überforderung mit sich. Es fehlen Räume der physischen Verortung, Rückzugsorte, Raum für Konzentration, sowie Orte der Begegnung in Gesellschaft, die frei sind von dem Druck der Selbstrepräsentanz, die vielmehr Raum geben für Selbstakzeptanz. Hierzu zählen u.a. auch das Äußern von Bedürfnissen und das Erleben eines sozialen Miteinanders, eines Erfahrungsaustauschs, eines freien kreativen Gestaltens, ganz ohne Kosten-Nutzenrechnung und einer zielführenden Handlungsstrategie.

Foto: Eike Walkenhorst

Im Projekt LANDSCHAFFEN waren wir um eine größtmögliche Offenheit und prozessuale Arbeitsweise bemüht um Raum für Begegnung und gemeinsames Gestalten zu gewährleisten. Die Offenheit konnte aufgrund günstiger Bedingungen vor Ort mit Leichtigkeit ihre Umsetzung finden. Der von allen Seiten öffentlich zugängige Klinikpark lud mit seinem alten Baumbestand nicht nur zum schlendern und verweilen ein, das künstlerische Gestalten und gemeinsame Arbeiten unter freiem Himmel bot eine einzigartige Atmosphäre. Das große Interesse an Kunst, die Offenheit und das Vertrauen der Klinikleitung, wie auch aller Mitarbeiter der LVR-Klinik Mönchengladbach, ermöglichte ein freies, experimentelles Arbeiten und verorten in der Parklandschaft. Hier konnten die Künstlerinnen und Künstler in größtmöglicher Offenheit ein laboratives prozessuales Gestalten ermöglichen. Mit der Wahl des Werkstoffs Ton konnten alle Teilnehmenden eine Offenheit im Material erleben, die sich in ihrer Körperlichkeit und Sinnlichkeit unmittelbar erschloss.

Foto: Eike Walkenhorst

Mit dem zentralen Anliegen des Stifters Carl Richard Montag den Gemeinschaftssinn in unserer Gesellschaft zu fördern, verfolgt die Montag Stiftung Kunst und Gesellschaft in dem Projekt LANDSCHAFFEN folgendes Ziel: Imagination und eigeninitiatives Handeln für alle Teilnehmenden über kreative Handlungsräume und Begegnung im Freiraum der Kunst zu ermöglichen.
Im Verlauf der acht Projektwochen wurden zahlreiche Erfahrungen gemacht, es wurde sich ausgetauscht, alle haben viel Herzliches erlebt, viel Offenheit, Anrührung und Persönliches erfahren und mit eingebracht. Die entstandenen Objekte und Skulpturen dienen als Symbol für das Zusammenwachsen einer Gruppe von Teilnehmenden. Kunst hat hier einen Freiraum auf der Basis des Miteinanders gegründet, der in Teilhabe, Teilgabe und Teil sein mündete.

Was wir alle im Projekt LANDSCHAFFEN erlebt haben, ist die Kunst in Gesellschaft zu sein!

Wir danken den Künstlerinnen und Künstlern Klaus Kleine, Marie Heiderich, Jellyspoor, Frank Bölter, Christina Doll, Karin Hochstatter, Jan Glisman und Markus Karstieß für ihre Projektbeiträge.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

« »